Leser und Branche sind erschüttert: Der vielfach geehrte „Spiegel“-Starreporter Claas Relotius ist als Fälscher entlarvt. Der renommierte Ulrich-Wickert-Preis 2018 wurde ihm umgehend entzogen. Der Deutsche Journalisten-Verband fordert rückhaltlose Aufklärung.

Hamburg - Auf die Bekanntgabe des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, seit Jahren einem Geschichtenfälscher aufgesessen zu sein, hat die Branche mit Entsetzen und der Forderung nach – vom „Spiegel“ auch zugesagter – rückhaltloser Aufklärung reagiert. Der vielfach ausgezeichnete Reporter Claas Relotius, 33, hat eingestanden, über Jahre hinweg viele große Geschichten ganz oder in Teilen erfunden zu haben.

 

Die Jury des Ulrich-Wickert-Preises hat Relotius umgehend den Peter Scholl-Latour Preis 2018 aberkannt, der alljährlich für die Berichterstattung über das Leid von Menschen in Krisen- und Konfliktgebieten vergeben wird. Prämiert wurde Relotius für seine Reportage „Löwenjungen“, die zum Teil gefälscht ist. Neuer Preisträger ist Stern-Korrespondent Raphael Geiger für seinen Beitrag „Unter Ruinen das Leben“. Ulrich Wickert kommentierte: „Ich bin tief erschüttert über diesen Betrug. Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Gut eines Journalisten.“

Zweifel an allen Aussagen

Die katholische Kirche will dagegen noch abwarten, ob sie Relotius den von ihr vergebenen Medienpreis wieder entzieht. Die Bischofskonferenz hatte Relotius 2017 den mit 5 000 Euro dotierten Katholischen Medienpreis in der Kategorie „Printmedien“ für seine „Spiegel“-Reportage „Königskinder“ über ein syrisches Geschwisterpaar verliehen.

Relotius, der nach dem Eingeständnis seiner Verfehlungen seinen Redakteursvertrag beim „Spiegel“ nach Angaben des Magazins gekündigt hat, bestreitet bislang, dass er bei dieser Geschichte unsauber und mit Fake News gearbeitet habe. Aus der Stellungnahme von „Spiegel“-Chefredakteur Ullrich Fichter auf „Spiegel Online“ sprechen aber tiefe Zweifel an allen diesbezüglichen Angaben des bereits als Märchenerzähler Entlarvten.

Vertrauen zurückerobern

Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat die Verfehlungen von Relotius scharf kritisiert und die möglicherweise betroffenenen Medienhäuser zu raschen Reaktionen aufgefordert. Nur so ließe sich verloren gegangenes Vertrauen der Leser zurückerobern. Zu den Zeitungen, für die der Reporter Relotius ebenfalls geschrieben hat, gehören laut „Spiegel“ die „Neue Züricher Zeitung am Sonntag“, „Cicero“, die „Financial Times Deutschland“, „taz“, „Welt“, das SZ-Magazin, „Zeit online“ und die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“.

„Der vermeintliche Reporter hat nicht nur dem ‚Spiegel’ großen Schaden zugefügt, sondern die Glaubwürdigkeit des Journalismus in den Dreck gezogen“, erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall in Berlin. Dem Mann habe offenbar jegliches Verantwortungsgefühl für sein Blatt und die Leser gefehlt. Überall hob die „Informationsoffensive“ von „Spiegel“-Chefredakteur Ullrich Fichtner als „wichtigen ersten Schritt“ positiv hervor. Nun komme es darauf an, die interne Qualitätssicherung journalistischen Arbeitens auf den Prüfstand zu stellen.