Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut wertet das erneute Scheitern der Abstimmung über das Austrittsabkommen als „schlechtes Signal“ für die Exportwirtschaft im Südwesten. Die LBBW hält einen Rücktritt vom Brexit mittlerweile für zweitwahrscheinlichstes Szenario.

Stuttgart - Theresa Mays EU-Austrittsabkommen hat auch im zweiten Anlauf keine Mehrheit im britischen Unterhaus gefunden. Das erneute Scheitern eines Brexit-Deals verunsichert auch die Exportwirtschaft im Südwesten zunehmend. „Für unsere Wirtschaft bedeutet das wenige Tage vor dem geplanten Austrittstermin ein Höchstmaß an Unklarheit darüber, wie es ab dem 30. März 2019 weitergeht und zu welchen Bedingungen der Handel mit Großbritannien überhaupt noch möglich sein wird. Das ist für alle Seiten sehr unbefriedigend und enttäuschend“, sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Käme es nun zu einem harten Brexit ohne Austrittsabkommen, würden beim Export von Waren aus Baden-Württemberg in das Vereinigte Königreich beispielsweise Zölle anfallen. Produkte müssten möglicherweise auf zukünftige britische Standards angepasst werden. „Aufgrund der Unklarheit über den zukünftigen Status Großbritanniens haben viele Unternehmen bereits in den letzten Monaten und Jahren wichtige Investitions- und Zukunftsentscheidungen gescheut. Daran wird sich nach der gestrigen Entscheidung so schnell nichts ändern“, so Hoffmeister-Kraut.

 

Wolfgang Grenke, der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK), bezeichnet die erneute Ablehnung des nachgebesserten Brexit-Deals im britischen Unterhaus als „weiteren Tiefschlags aus Sicht der Wirtschaft“. Ein Austrittsvertrag so kurz vor Ablauf der Frist scheine damit für die Südwestenbetriebe „unerreichbar wie eine Fata Morgana“ – allen jetzt noch kommenden Bekenntnissen zum Trotz, doch noch ein Abkommen erreichen zu wollen. Grenke weiter: „Wenn ich mir dazu die aktuelle Ankündigung der Regierung in London anschaue, im Falle des Hard Exit auf 87 Prozent der Zölle bei britischen Importen und auf Zollkontrollen an der irischen Grenze verzichten zu wollen, wird es für mich als Unternehmer umso weniger nachvollziehbar, den guten Deal auf dem Tisch weiter kategorisch abzulehnen.“ Selbst diese für zwölf Monate angedachten Maßnahmen würden keine echte Planungssicherheit für die Betriebe schaffen. Ihr kategorisches ‚No‘ werde vor allem die Briten einen in Zukunft ökonomisch hohen Preis für ihr politisches Tauziehen kosten, prognostiziert der BWIHK-Präsident: „Das sagen die Zahlen schon heute: Seit dem Volksentscheid und mit Beginn des Tauziehens stehen Milliardenverluste im Export und eine dreiviertel Milliarde Euro im Import in den Büchern der Südwestbetriebe.“

LBBW bewertet vier unterschiedliche Szenarien

Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hält einen Rücktritt vom Brexit mittlerweile für das zweitwahrscheinlichste Szenario. Im Vorfeld der derzeitigen Abstimmungsrunde im Parlament hatten die Analysten der Landesbank ihre Einschätzung, dass es dazu kommt, von 25 auf 30 Prozent erhöht. Dass ein geändertes Abkommen die Zustimmung in Großbritannien und EU findet, bewerten sie mit 50 prozentiger Wahrscheinlichkeit. Die Prognose für ein No-Deal-Szenario, also einen Ausstiegs ohne Abkommen, ist von den LBBW-Analysten zuletzt von 35 auf 15 Prozent gesenkt worden. Die übrigen fünf Prozent entfallen auf die sogenannte „Norwegen-Plus“-Lösung. „Unsere Wahrscheinlichkeitseinstufung lassen wir zunächst unverändert“, teilte die Bank am Mittwoch auf Anfrage unserer Zeitung mit.

Am Mittwochabend soll das Unterhaus nun darüber abstimmen, ob das Vereinigte Königreich Ende März 2019 ohne Austrittsabkommen aus der EU ausscheiden soll. Sollte die britischen Volksvertreter diese Option mehrheitlich ablehnen – wovon auszugehen ist –, wird das Parlament am folgenden Tag debattieren, ob die Regierung eine Verlängerung des Austrittsdatum nach Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union stellen soll.

Familienunternehmen warnen vor Konsequenzen des harten Brexit

Beim Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf aus Ditzingen rechnet man nicht mit einer deutlichen zeitlichen Verschiebung. „Wir sind ungeachtet eines möglichen harten Brexit dennoch davon überzeugt, dass unsere Geschäftsbeziehungen keinen negativen Auswirkungen unterliegen werden“, sagt ein Trumpf-Sprecher. Zwar rechnet auch der Werkzeugmaschinenbauer mit der Erhebung von Zöllen und anderen Zusatzkosten. „Insgesamt glauben wir diese jedoch auf einem überschaubaren Niveau halten zu können“, so der Sprecher.

Bei Stihl setzt man auf einen Ausstieg aus dem Brexit. „Das britische Parlament wird seiner Verantwortung nicht gerecht, daher sollte das britische Volk nochmals über den Brexit entscheiden. (. . .) Ich bin sicher, das Votum würde heute anders aussehen“, sagt Nikolas Stihl, der Vorsitzende des Beirats und Aufsichtsrats des Motorsägen- und Gartengerätehersteller unserer Zeitung. Ein „harter Brexit“ sei der „Worst Case“ für die Wirtschaft und die Menschen auf beiden Seiten des Ärmelkanals. „Ein ungeregelter Austritt bedeutet Chaos und würde zu hohen Kosten für Unternehmen und unkalkulierbaren Folgen für Arbeitnehmer und Verbraucher führen. Wir sind gleichwohl gut vorbereitet auf den Brexit“, so Stihl. Die Verschiebung des Austrittstermins mache nun am meisten Sinn.