Es ist ein ungeheurer Verdacht: Eine Anwältin bekommt Todesdrohungen gegen ihre zweijährige Tochter – und eine Spur führ in ein Polizeirevier. In Frankfurt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen einer rechtsextremen Chatgruppe.

Frankfurt/Berlin - Der Fall hat das Zeug zum handfesten Skandal: Eine Anwältin aus dem NSU-Prozess erhält Drohungen gegen ihre zweijährige Tochter. Als sie Anzeige erstattet, stößt der Staatsschutz durch Zufall auf eine rechtsextreme Polizistengruppe in einem Frankfurter Revier.

 

Gibt es bei der Frankfurter Polizei eine Neonazi-Zelle?

Ob die Gruppe eine feste Struktur hat, ist unklar. Sicher ist bisher, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt und das Landeskriminalamt gegen mindestens fünf Beamte des 1. Polizeireviers ermitteln. Diese stehen im Verdacht, in einem geschlossenen Chat Nachrichten mit rechtsextremistischem und volksverhetzendem Inhalt, Hakenkreuzbilder sowie ausländer- und behindertenfeindliche Parolen ausgetauscht zu haben. Es soll sich um vier Männer und eine Frau handeln. Diese Ermittlungen sind auch die einzigen, welche die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nadja Niesen, offiziell bestätigt.

Wie kamen die Ermittlungen ins Rollen?

Das ist der alarmierendste Teil der Geschichte: Nach den bisher vorliegenden Informationen kam die Polizei der Gruppe nur auf die Spur, weil die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz einen Drohbrief erhielt und Strafanzeige erstattete. Darüber hatte am Wochenende die „Frankfurter Neue Presse“ (FNP) berichtet. Die Rechtsanwältin erhielt am 2. August ein Fax. Basay-Yildiz ist nicht zimperlich, sie vertrat Nebenkläger im Prozess gegen den rechtsterroristischen NSU und verteidigt zur Zeit den islamistischen Gefährder Sami A.. Mit Drohungen von Neonazis hat sie Erfahrung. Der Ton des Telefax war massiv: „Miese Türkensau! Du machst Deutschland nicht fertig. Verpiss dich lieber, solange du hier noch lebend rauskommst, du Schwein! Als Vergeltung schlachten wir deine Tochter (…)“, zitiert die Zeitung aus dem Schreiben. Auch die Privatadresse steht in dem Fax. Unterzeichnet war es mit „NSU 2.0“.

Wo liegt die Verbindung zur Polizei?

Die Staatsschützer stießen bei ihrer Recherche auf einen Dienstcomputer im 1. Polizeirevier, von dem aus die Melderegister-Einträge der Anwältin abgerufen worden waren. Nur dadurch gerieten die Beamten in Verdacht. Im Oktober wurden Arbeitsplätze und Wohnungen durchsucht und Mobiltelefone und Rechner beschlagnahmt. Bisher ist es nicht mehr als eine Mutmaßung, dass einer oder mehrere der Chat-Gruppe die Register abgefragt und das Drohfax geschrieben haben könnten. Die Staatsanwaltschaft äußert sich nicht einmal zu dem Verdacht.

Wie sieht die Strafverteidigerin den Fall?

Basay-Yildiz kritisiert die Polizei. Sie habe mehrfach nach dem Stand der Ermittlungen gefragt, aber keine umfassenden Antworten bekommen, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Es sei auch darum gegangen, die Bedrohungslage für ihre Familie einschätzen zu können. Auch jetzt habe sie erst aus der Presse erfahren, dass ihr Fall die Polizei auf die Spur gebracht habe.

Hat der Fall das Zeug zum Behördenskandal?

Ja. Nicht nur die Schweigsamkeit der Ermittlungsbehörden legt den Schluss nahe, dass der Fall weite Kreise ziehen könnte. Sogar Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) schaltete sich am Montag ein und sagte, an der freiheitlich-demokratischen Einstellung von Polizisten dürfe es keinen Zweifel geben. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sprach von einer „sehr ernsten Geschichte“. Am Mittwoch wird sich der Innenausschuss des hessischen Landtags mit dem Thema befassen. Vertreter der Polizeigewerkschaften äußerten sich entsetzt. Schon jetzt ist schwer vorstellbar, dass die Polizisten nach außen tadellos agierten und nur im Chat Grenzen überschritten. So stellt sich die Frage, wie in der Polizei mit dem Thema umgegangen wurde und ob es Warnungen von Kollegen gab.

Gibt es bei der Polizei im Südwesten rechte Extremisten?

Laut Innenministerium sind aus der seit 2015 geführten Disziplinarstatistik keine Fälle bekannt, in denen Polizeibeamte wegen des Verdachts extremistischen Verhaltens aus dem Dienst entfernt wurden. 2015 und 2016 wurden aber gegen drei Polizisten Disziplinarmaßnahmen – u.a. Kürzung der Bezüge – verhängt, weil eine extremistische Haltung nicht ausgeschlossen wurde. Strafrechtliche Ermittlungen wurden bei allen drei Fällen durch die Staatsanwaltschaft eingestellt.