Trotzdem die Nationalisten verloren haben, soll Schottland mehr Rechte im Königreich bekommen. Die anderen Regionen wollen dies auch. Ein Streit droht, der auch die Versprechungen des britischen Premiers ins Wanken bringen könnte.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Edinburgh - Aus der „neuen Morgendämmerung“, die Alex Salmond seinem Land versprach, ist nichts geworden. Als der schottische Regierungschef und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP) am Freitag um Viertel vor vier in seiner Heimat Aberdeenshire ins wartende Flugzeug kletterte, wollte die finstere Nacht über Schottland kein Ende nehmen. Böse Zungen spekulierten darüber, wohin Salmond wohl fliegen werde. Schottlands Regierungschef flog natürlich nach Edinburgh. Aber er wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass er die Schlacht verloren hatte und dass Edinburgh nicht Sitz einer souveränen Regierung werden würde. Als zwei Stunden später die schottische Hauptstadt als eine der letzten Regionen ihr Abstimmungsergebnis beim Unabhängigkeits-Referendum bekanntgab, bestätigte sich der Trend. Edinburgh, unter seinen Zinnen, Türmen und feinen Bürger-Burgen, stimmte mit 61 zu 39 Prozent gegen die SNP-Morgendämmerung. Zwölf Stunden nach seinem Morgenflug trat Salmond schließlich zurück.

 
Alex Salmond tritt zurück. Foto: dpa

Landesweit waren am Ende 55 Prozent gegen Unabhängigkeit und 45 Prozent dafür. Von den städtischen Zentren waren es nur Glasgow und Dundee, in denen die Befürworter eines nationalen Alleingangs auf (knappe) Mehrheiten kamen. Am Ende marschierte Schottlands Bürgerschaft geschlossen auf, um ihre Verbindung mit dem Vereinigten Königreich zu wahren. Schottlands Working Class, eher in der Unabhängigkeit ihr Heil suchend, war nicht im gleichen Umfang zu mobilisieren – obwohl die Gesamtwahlbeteiligung bei 85 Prozent, lag.

Dabei hatten die Fürsprecher schottischer Unabhängigkeit am Wahltag noch einmal alles darangesetzt, ihre Landsleute an die Urnen zu bringen. Im Edinburgher Stadtteil Craigmillar etwa führte ein Dudelsackspieler alle paar Stunden Gruppen williger „Yes“-Wähler pustend, pfeifend und trötend zum Wahllokal. „Macht mit bei unserem kurzen Marsch zur Freiheit.“ Taxifahrer in Dundee fuhren Wähler kostenlos zu den Urnen – solange jene für die Unabhängigkeit stimmten oder sich wenigstens in Gespräche über ihre Wahlpläne verwickeln ließen. Bahnpassagiere, die in Edinburgh eintrafen, berichteten von Zugdurchsagen auf Höhe der englisch-schottischen Grenze, mit denen sie von einem Steward der East Coast Line zum „heutigen Unabhängigkeitstag“ willkommen geheißen wurden: „Unsere Zugbar hält leckere Getränke zum Feiern für Sie bereit.“

Als die Schotten überall brav in die Wahllokale trotteten, hatte sich dichter Nebel auf Edinburgh gesenkt. Fast war es, als ob der Stadt im Zentrum des Referendums-Trubels und ihren Bewohnern vollends die Orientierung genommen werden sollte. Amüsiert hatte die Betreiberin einer Teestube von einer Besucherin erzählt, die bei ihr einen Tee bestellte, dann sagte, sie nehme vielleicht lieber Kaffee, und sich dann doch noch für Tee entschied. „Sorry“, jammerte die Unschlüssige, „diese Politik hier treibt mich noch völlig zum Wahnsinn.“

Später, bei der Stimmenauszählung, sollten Wahlleiter mehrerer Regionen bestätigen, dass viele Stimmzettel ungültig waren, weil Wähler das Ja- und das Nein-Kästchen gleichzeitig angekreuzt hatten.

Dabei hatten die beiden Hauptkontrahenten der Schlussphase der Wahlkampagne – Salmond für das Ja-Lager und Labours Ex-Premierminister Gordon Brown fürs Nein – einander noch bis zur Öffnung der Wahllokale mit schwerem Herzen und mit mächtigen linken Haken aus dem Feld zu schlagen versucht. Salmond versuchte es mit seiner Beschwörung der „neuen Morgendämmerung“ für sein unabhängiges Schottland. Der Wahltag werde „ein Tag, den Schottland nie vergessen wird“.

Am Ende triumphieren die Unionisten. Foto: EPA

Dass es ein Tag würde, den Salmond niemals vergessen sollte, wollte Gordon Brown, sein Widersacher, sicherstellen. Der alte schottische Brummbär, der seit seiner Wahlniederlage gegen David Cameron vor vier Jahren praktisch von der Bildfläche verschwunden war, witterte eine Comeback-Chance für sein Schwergewichtstalent und glaubte, zugleich eine Mission erfüllen zu müssen. Halb entflammter Predigersohn und halb leidenschaftlicher Labour-Patriot, hieb Brown Salmond dessen sozialen Anspruch um die Ohren. Nur in Solidarität mit dem Rest Britanniens lasse sich Gerechtigkeit schaffen, und „nicht in einem separaten Staat“.

Möglich, dass Brown mit seinen Auftritten in den letzten Tagen vor dem Wahlgang dem Nein-Lager noch mit zum Sieg verhalf. Jedenfalls war er zuletzt der einzige Westminster-Politiker, der in Schottland gut ankam und Alex Salmond mit ebenso emotionsgeladener Stimme entgegenzutreten wusste. Und Downing Street unterstützte ihn. Selbst mit David Cameron, der ihn zu seinem ewigem Kummer 2010 in No. 10 abgelöst hatte, scheint Brown nun gut auszukommen. Cameron, dem nach eigenem Bekunden Schottlands Abgang „das Herz gebrochen“ hätte, gestand, dass er „noch nie so viel telefoniert“ habe mit seinem Labour-Vorgänger: „Im Grunde sind wir wirklich gute Freunde.“

Redwood: „Es gibt eine neue Stimmung im Land.“

Eine so zentrale Rolle habe Brown bei der Rettung Schottlands gespielt, dass er nun wohl auch mit einer zentralen Verhandlungsrolle belohnt werde, vermuteten in Edinburgh politische Beobachter. Nachdem Cameron den Schotten viel mehr Autonomie in kürzester Frist versprochen hat, braucht es einen glaubwürdigen Vermittler. Gordon Brown drängt sich auf. Schon im November sollen die Verhandlungen beginnen und im Januar ein Gesetzentwurf für mehr Autonomie vorliegen. Noch ist unklar, welche Kompetenzen im Detail London an Edinburgh abtreten wird. Im Gespräch ist die Festlegung der Einkommensteuer.

Unterdessen beginnt sich die ganze Geschichte schnell auszuweiten. Gleichberechtigte Behandlung von Wales, Nordirland und vor allem England wird plötzlich gefordert. Schon steht Ukip-Chef Nigel Farage bereit, um sich als „Stimme Englands“ anzubieten. „Was Schottland recht ist, muss uns Engländern billig sein“, meint auch der konservative Abgeordnete und Ex-Minister John Redwood, der „ein englisches Parlament“ haben will. Es sei deutlich zu spüren, hat Redwood seinem Partei- und Regierungschef zu verstehen gegeben: „Es gibt eine neue Stimmung im Land.“ Die hat auch David Cameron entdeckt. Vor der Tür von No. 10 Downing Street hat er am Freitag verkündet: „Wir haben die Stimmen Schottlands gehört. Jetzt wollen Millionen Stimmen in England gehört werden.“ In Belfast sagte der unionistische Regierungschef Peter Robinson anschließend: „Alle Nationen in der Union müssen natürlich beteiligt sein.“ Carwyn Jones, der Erste Minister in Wales, machte klar: „Wir wollen nicht zweite Geige spielen.“

Daheim in Edinburgh fürchten die Leute um Alex Salmond derweil, dass Camerons und der anderen Parteien „Schwur“ gegenüber Schottland rasch in Vergessenheit geraten könne, wenn sich mit der Rest-Dezentralisierung zu viele Probleme ergäben. Zwar tat Salmond seine Pflicht am Freitag. Er akzeptierte „voll und ganz das demokratische Verdikt“ seiner Landsleute. Der SNP-Regierungschef tröstete sich damit, dass die Unabhängigkeitskampagne „ein Festival der Demokratie“ gewesen sei, wie man es in Europa lang nicht gesehen habe. Die Worte David Camerons, nun sei ja wenigstens die Unabhängigkeitsfrage ein für alle Mal abgehakt worden, also könne es „keinen Streit dieser Art, keine Wiederholung“ eines solchen Referendums mehr mindestens für die Dauer einer Generation und vielleicht für länger geben“, wollte Salmond trotz allem nicht stehen lassen. Schottland habe entschieden, sagte der Nationalistenchef, „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ kein unabhängiges Land zu werden.