Die von der Bundesregierung geplante Reform der Befristungspraxis droht eine Rechtsunsicherheit auszulösen. Befürchtet wird eine größere Zahl von Verfahren. Zusätzliche Brisanz liefert das Bundesverfassungsgericht.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Befristungen haben im Jahr 2017 mit 3,15 Millionen Arbeitsverträgen oder 8,3 Prozent der Beschäftigten einen neuen Höchststand erreicht. Zur Hälfte waren sie ohne einen sogenannten Sachgrund (etwa Elternzeitvertretung oder Projektarbeit) befristet, so das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die Bundesregierung will daher mit einer Reform Zahl und Dauer der Befristungen einschränken. Mit einem Gesetzentwurf ist nicht vor Frühjahr 2019 zu rechnen, heißt es dazu im Bundesarbeitsministerium.

 

Viele Probleme in der praktischen Handhabung

Doch die Arbeitsgerichte sind alarmiert: „Ein Koalitionsvertrag ist kein Gesetzentwurf“, sagte der Präsident des baden-württembergischen Landesarbeitsgerichts, Eberhard Natter, unserer Zeitung. „Wir befürchten aber, dass sehr viel von dem Vereinbarten eins zu eins in das Gesetz gegossen werden soll, um keine Schwierigkeiten mit dem Koalitionspartner zu bekommen.“ Union und SPD fordert er zu einer praxisgerechten Umsetzung ihrer Vereinbarungen auf, weil er aus rechtlicher Sicht viele Probleme in der praktischen Handhabung aufziehen sieht.

Konkrete Hürden erkennt Natter vor allem in der Absicht der Koalition, dass Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten künftig maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen dürfen. Diese Quote werfe gerade in Großbetrieben viele Fragen auf, die letztlich von den Arbeitsgerichten entschieden werden müssten, so Natter, der sich darüber wundert, dass dies bisher kaum beachtet werde. Der Gerichtspräsident sieht eine Welle von Verfahren anrollen. „Die 2,5 Prozent werden sich signifikant bei den Verfahrenseingängen niederschlagen“, sagt er. „Ich könnte mir vorstellen, dass viele Arbeitnehmer wissen wollen, ob die Quote in ihrem Fall eingehalten wurde.“

Anwälte könnten die Quote zum Anlass für Prozesse nehmen

Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber. Kann er die Einhaltung der Quote nicht stichhaltig belegen, droht eine Niederlage. Somit werden die Rechtsberater der Unternehmen empfehlen, deutlich unter den 2,5 Prozent zu bleiben. Dennoch werden viele Anwälte versuchen, die Quote zu problematisieren. Dann müssten sich die Gerichte damit auseinandersetzen, wie viele Befristungen in welchen Einheiten wirksam sind. Zählen Vollzeitbeschäftigte gleichermaßen wie Teilzeitarbeitnehmer? Und wie verhielte es sich mit dem Land als Arbeitgeber: Zählen die Beamten da mit? Zudem müsste ein Unternehmen auf die jeweilige Einstellung bezogen taggenaue Personallisten führen, um Befristungen überprüfbar zu machen – zumal in Großbetrieben die Mitarbeiterzahl täglich variiert. Soll ein Richter etwa bei Bosch oder Daimler Tausende von Personaldaten überprüfen und, falls der Sachgrund nicht angegeben ist, jeweils den Hintergrund der Arbeitsverträge erforschen? Dann hätte er sehr viel zu tun.

Weitere Brisanz bringt das Bundesverfassungsgericht, das jüngst das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seine Schranken wies. Karlsruhe hatte mit seinem Beschluss vom 6. Juni die Drei-Jahres-Regel der Erfurter Richter gekippt. Laut BAG ist eine sachgrundlose Befristung zulässig, wenn zuvor drei Jahre lang keine Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber vorlag. Mit der Einführung dieser Karenzzeit hat das BAG seine Grenzen überschritten, meint Karlsruhe. Das sogenannte Vorbeschäftigungsverbot für sachgrundlose Befristungen sei verfassungsgemäß. „Das BAG hat sich nach Meinung des Verfassungsgerichts zu weit vorgewagt und es mit einer riskanten verfassungsorientierten Auslegung versucht“, meint Natter. Es gebe gute Gründe für die Drei-Jahres-Regel – aber deren Einführung sei dem Gesetzgeber vorbehalten.

Arbeitsrechtler sieht keine Gefahr einer Kettenbefristung

„Dass sich ein höchstes Gericht wie das BAG nicht freut, wenn es aufgehoben und eines Besseren belehrt wird vom Bundesverfassungsgericht, liegt in der Natur der Sache“, sagt Jobst-Hubertus Bauer, einer der renommiertesten deutschen Arbeitsrechtler. Doch auch ihn ärgert der Karlsruher Beschluss, „weil das BAG im Prinzip versucht hat, eine vernünftige Linie reinzubringen“. Es habe lediglich versucht, die Karenzzeit ein bisschen einzugrenzen. Drei Jahre seien eine lange Frist, da bestehe keine Gefahr einer Kettenbefristung – Missbrauch liege nicht vor. Die Karlsruher Entscheidung sei natürlich nicht falsch. „Doch wer A sagt, sollte auch B sagen“, so der Stuttgarter Arbeitsrechtler. Dann solle man jedes kleine Arbeitsverhältnis, das zuvor mal bestanden hat, als Blockadegrund für eine sachgrundlose Befristung nehmen. Stattdessen lässt das Gericht Ausnahmen gelten, in denen eine erneute sachgrundlose Befristung zumutbar sein kann: wenn die Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt. „Damit wird das Verfassungsgericht zu einem Faktor der Rechtsunsicherheit“, so Bauer. Der Beschluss zeige eine große Distanz zu einer praxisgeprägten Materie.

Rechtsunsicherheit ist gut für Anwälte

Er selbst habe im Bundesarbeitsministerium hohe Beamte und Staatssekretäre gebeten, die Karenzzeit von drei Jahren ins Gesetz hineinzuschreiben. Doch habe man in Berlin lieber abwarten wollen. Im Koalitionsvertrag sei nun zwar auch von einer dreijährigen Karenzzeit die Rede, doch sei noch unklar, ob sie sich auf die sachgrundlosen Befristungen beziehe. „Als Anwalt kann ich damit leben – je mehr Rechtsunsicherheit, desto mehr hat man zu tun“, sagt Bauer ironisch. Aber als Bürger ärgere ihn dieser Zustand. Wenn der Staat für Klarheit sorgen würde, täte er niemandem weh, auch keiner Gewerkschaft. Denn die Arbeitgeberverbände hätten doch viel kürzere Fristen des Vorbeschäftigungsverbots angestrebt.