Stuttgarter Stadträte wollen fraktionsübergreifend die Hauptsatzung der Stadt geschlechtssensibel neufassen. Damit sollen Menschen angesprochen werden, die sich weder als Frau noch als Mann definieren.

S-Mitte - Als Beschäftigungstherapie für die Verwaltung sei der fraktionsübergreifende Antrag zu einer geschlechtssensiblen Neufassung der 1978 erarbeiteten Hauptsatzung der Stadt nicht gedacht, betont der Grünen-Stadtrat Florian Pitschel. Die Verwaltung muss das Regelwerk derzeit ohnehin überarbeiten. Sie stellt die rechtliche Grundlage dar, auf der die Verwaltung arbeitet. Die Landesregierung reformierte 2015 die Gemeindeordnung mit dem Ziel, die Bürgerbeteiligung zu stärken. Die Kommunen müssen das vor fünf Jahren Beschlossene nun in ihr Recht umsetzen. „Das ist der richtige Zeitpunkt, das Stadtrecht auch in dieser Hinsicht anzupassen“, findet Stadtrat Pitschel.

 

Mehrere Fraktionen wollen Reform

Die Grünen setzen sich gemeinsam mit der SPD, der Fraktionsgemeinschaft aus Linken, SÖS, Piraten und Tierschützern sowie der gemeinsamen Fraktion aus Stadtisten, Junger Liste und der Partei dafür ein, dass die Empfehlungen für eine Umsetzung einer geschlechtssensiblen Verwaltungssprache bei der Neufassung der Hauptsatzung und bei allen künftigen Überarbeitungen des Stadtrechts zur Anwendung kommen soll.

Konkret geht es dabei um geschlechtsneutrale Formulierungen, die nicht erkennen lassen, ob Männer oder Frauen angesprochen werden. Ein Beispiel hierfür wären zum Beispiel die Verwendung des Begriffs „Studierende“ anstelle von „Studenten“. Außerdem soll nach dem Willen der Antragsteller der sogenannte Genderstern Verwendung finden. Das Zeichen soll in Personenbezeichnungen neben dem männlichen und weiblichen Geschlecht auch weitere Geschlechtsidentitäten typografisch sichtbar machen.

Gemeinderat gab Empfehlungen

Der Gemeinderat hat im Frühjahr selbst entsprechende Empfehlungen für die Mitarbeiter der Verwaltung formuliert. Er verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2017. Darin wurde festgelegt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch die geschlechtliche Identität von Menschen schützen muss, die sich weder als Mann noch als Frau definieren. Mit diesem Gerichtsbeschluss sei es nun begründungsbedürftig, wenn eine dritte Geschlechtsoption nicht benannt oder einbezogen wäre, stellte der Gemeinderat in seiner Erklärung zu einer geschlechtsneutralen Verwaltungssprache fest.

Städte wie Hannover, München oder Filderstadt erließen in der Folge des Urteils bereits vor Stuttgart Empfehlungen an die ihre Verwaltungsmitarbeiter, wie sie ihre Sprache anpassen können. Eine bundesweite Regelung steht noch aus. Die mit Hilfe einer Sprachwissenschaftlerin und dem Verein LSBTTIQ erstellten Empfehlungen für die Stuttgarter Verwaltung stellten deshalb eine Übergangslösung dar, bis es für ganz Deutschland verbindliche Richtlinien gebe, erklärte der Gemeinderat im Frühjahr dieses Jahres.

Genderstern soll Vorrang haben

Empfohlen wird den Mitarbeitern der Stadt, den bisher bisweilen verwendeten Unterstrich zur Kenntlichmachung einer Ansprache sowohl an Frauen als auch and Männer zu unterlassen. Stattdessen soll geschlechtsneutralen Begriffen und dem Genderstern in der schriftlichen Kommunikation der Vorrang gegeben werden.

Bei Abfragen des Geschlechts soll die Angabe „divers“ möglich sein. Adressaten sollen bei persönlichen Schreiben mittels einer Fußnote mitteilen können, das sie eine persönliche geschlechtssensible Ansprach wünschen.

Verein äußert sich positiv

Anstelle von „Frau“ oder „Herr“ empfiehlt der Gemeinderat, in der Ansprache von Personen eher Vor- und Nachnamen zu verwenden. Gabriel_Nox Koenig, vom Bundesverband trans e.V. begrüßt die Überlegungen, die rechtlichen Grundlagen der Verwaltungsarbeit in Stuttgart in Zukunft geschlechtssensibel zu formulieren. „In einer Sprache, in der das generische Maskulinum dominiert, kommen nicht-binäre Menschen nicht vor“, sagt Koenig. Die Stuttgarter Stadtverwaltung könnte so nicht-binären, also sich weder sich als Mann oder Frau definierenden Menschen ein weiteres Signal senden, dass die Stadt Stuttgart ihre Belange ernst nimmt und mitdenkt.

Einige Kritiker monieren allerdings, dass eine geschlechtssensible Sprache einen Verlust an Verständlichkeit in der Kommunikation bedinge. „Sprache ist in der Entwicklung und manche Veränderung ist eher ungewöhnlich als unverständlich“, entgegnet Gabriel_Nox Koenig. In einer Demokratie sollte die Gleichberechtigung von Minderheiten außerdem mehr wiegen als das sprachliche Unwohlsein von manchen in der Gesellschaft.