Im Netz regieren oft Hass und Hetze. Das will die Europäische Union ändern und mit einem Gesetz gegensteuern.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Die Erwartungen sind enorm. Als Grundgesetz für das Internet wird das Gesetz über digitale Dienste selbst von den Kritikern bezeichnet. Tatsächlich macht die Europäische Union mit dem sogenannten Digital Services Act (DSA) einen großen Schritt in Richtung Regulierung des Internets. Es wäre das erste Mal, dass wirksam und auf breiter Front gegen Hass, Hetze und Desinformation in den sozialen Medien vorgegangen würde.

 

Die EU einigt sich überraschend schnell

Die letzten Verhandlungen in Brüssel zwischen Unterhändlern der EU-Staaten und des Europaparlaments zogen sich am Freitag bis in die Abendstunden. Geklärt werden mussten noch Detailfragen, das Grundgerüst war von den Verantwortlichen in überraschend kurzer Zeit zusammengefügt worden. Offensichtlich hatten die Politiker erkannt, dass die Auswüchse im Internet längst zu einer Bedrohung des sozialen Friedens geworden waren. „Wir werden uns mit klaren Regeln gegen das Prinzip Spaltung und das Geschäft mit Krawallnachrichten, gefakten Videos und Hasskommentaren wehren“, erklärt Alexandra Geese selbstbewusst. Sie sitzt für die Grünen im zuständigen Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz.

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Kritiker weisen aber darauf hin, dass es viel zu lange gedauert habe, bis die EU auf die bisweilen atemberaubenden Entwicklungen im Internet reagiert hat. Schließlich ist es 21 Jahre her, dass die EU umfassende Spielregeln für digitale Dienste und Online-Plattformen aufgestellt hat. In dieser Zeit sind riesige Konzerne herangewachsen, ausgestattet mit einer vorher kaum für möglich gehaltenen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch politischen Macht.

Kampf gegen Manipulationen im Internet

Die EU versucht nun allerdings den großen Wurf, denn der Digital Services Act ist Teil eines großen Digitalpakets, das die EU-Kommission im Dezember 2020 vorgeschlagen hat. Das Gesetz soll unter anderem dafür sorgen, dass illegale Inhalte wie Hassreden schneller aus dem Netz entfernt, schädliche Desinformation und Manipulation weniger oft geteilt und auf Online-Marktplätzen weniger gefälschte Produkte verkauft werden. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton hatte dafür schon früh einen griffigen Satz formuliert: „Was offline verboten ist, soll auch online verboten sein.“

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Auch der zweite Teil des Pakets hat einen etwas sperrigen Namen, heißt Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) und wurde bereits Ende März beschlossen. Zielt der DSA mit seinen Vorgaben vor allem auf gesellschaftliche Entwicklungen, soll der Digital Markets Act den Wettbewerb im Internet regeln und die Marktmacht von Techgiganten wie Google und Facebook durch strengere Vorgaben beschränken.

Hassreden müssen entfernt werden

Konkret sieht der Digital Services Act vor, dass illegale Inhalte wie Hassreden von Internetplattformen zügig entfernt werden müssen. Ein Richtwert dürften 24 Stunden sein. Marktplätze dürften dazu verpflichtet werden, Anbieter zu überprüfen, damit weniger gefälschte Produkte im Netz landen. Auch manipulative „Dark Patterns“, die Verbraucher zur Kaufentscheidung drängen, sollen verboten werden. Die Grünen-Politikerin Geese betont auch, dass „sensible persönliche Daten wie Religion, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung sowie Daten von Kindern und Jugendlichen“ nicht mehr zu Werbezwecken abgegriffen und genutzt werden dürften. Das bedeutet, dass Minderjährige in Zukunft grundsätzlich keine personalisierte Werbung zu sehen bekommen sollen. Auch müssen etwa soziale Netzwerke ihre Empfehlungsalgorithmen transparenter machen und den Nutzern bei der Gestaltung ihres Feeds (Inhalts) Wahlmöglichkeiten bieten. Bei Verstößen drohen empfindliche Strafen.

Warnungen von Google und Facebook

Die großen Plattformen wie Google und Facebook haben ihren rigiden Widerstand längst aufgegeben. Sie betonen sogar, dass sie die neue Regulierung durchaus unterstützen würden. Allerdings geben sie zu bedenken, dass das Offenlegen der Regeln, nach denen Beiträge gelöscht werden, auch gegenteilige Effekte haben könnte. So warnen sie vor einem Anstieg von unliebsamen Spam-Nachrichten (unerwünschte Mails im Internet).

Die Auswirkungen der neuen Internetregeln werden auf der ganzen Welt mit großem Interesse verfolgt. Denn die EU übernimmt mit dem Digital Services Act eine Vorreiterrolle. In den USA sind erste Versuche gescheitert, das Internet beherrschen zu wollen. Dort waren die Techgiganten bisher stärker als die Politik. Das aber könnte sich bald ändern, sollte sich das europäische „Internetgrundgesetz“ als Erfolg erweisen.