Der neue französische Premier Castex soll die Schwächen des Präsidenten Macron ausgleichen. Beide hoffen darauf, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Emmanuel Macron kann zufrieden sein. Der neue französische Premierminister füllt bei seinem ersten großen Auftritt exakt jene Rolle aus, die ihm der Präsident zugedacht hat. Für Jean Castex heißt das: in seiner Regierungserklärung präzisiert er den politischen und wirtschaftlichen Weg, den der Staatschef in einem Fernsehinterview am Vortag bereits vorgezeichnet hat. Zur Rolle des Regierungschefs gehört auch, sich bis zu einem gewissen Grad als eine Art Anti-Macron zu präsentieren. Während der Staatschef gerne über den einfachen Zeithorizont hinaus denkt und an den ganz großen Rädern drehen will, tritt Castex als effektiver Arbeiter auf, der unter Druck schnell Ergebnisse erzielt, die unmittelbar sichtbar werden.

 

Das menschliche Gesicht aus der Provinz

Auch auf persönlicher Ebene unterscheiden sich beide Männer. Macron wird von seinen Kritikern gerne als Vertreter einer abgehobenen Politiker-Kaste aus dem Raumschiff Paris verspottet. Castex hingegen soll das menschliche Gesicht aus der Provinz darstellen, der als Bürgermeister einer kleinen Stadt in den Pyrenäen den Dialog sucht und den direkten Kontakt zu den Menschen nicht verloren hat.

Mit dieser Arbeitsteilung wollen Premier und Präsident das Land aus der tiefen Krise führen, in das Frankreich auch wegen der Corona-Pandemie in diesen Monaten geschlittert ist. Ein zweites Ziel ist allerdings ebenso offensichtlich: die Wiederwahl von Emmanuel Macron in zwei Jahren. Das gibt den engen Zeitrahmen vor, in dem die von Castex in seiner Regierungserklärung verkündeten Maßnahmen greifen müssen.

Viele Milliarden für ein Konjunkturpaket

Die Herausforderungen, vor allem an die französische Wirtschaft, sind angesichts der Corona-Krise allerdings gewaltig. Paris geht davon aus, dass in den kommenden Monaten bis zu eine Million Menschen ihre Jobs verlieren könnten. Die Regierung wird aus diesem Grund versuchen, mit einem rund 100 Milliarden Euro schweren Konjunkturprogramm so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten. Auch plant Jean Castex ein langfristiges System von Teilzeitarbeit aufzubauen. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Jugendlichen, die nach Schule und Studium auf den Arbeitsmarkt drängen. Die Berufseinsteiger drohen zu den großen Verlierern der Corona-Pandemie zu werden, sollte der angekündigte Job-Abbau von den Unternehmen wie befürchtet umgesetzt werden.

Hoffen auf ein Anspringen der Wirtschaft

Premier und Präsident leben im Moment von der Hoffnung, dass die Wirtschaft so schnell wie möglich wieder Aufwind bekommt. Dafür opfert Emmanuel Macron sogar sein zentrales Reformvorhaben. Zwar betont er immer wieder, der Umbau des französischen Rentensystems gehe weiter, faktisch aber sind die dafür notwendigen gravierenden Veränderungen im Moment nicht mehr durchzusetzen. Die Massenproteste gegen den Umbau der Altersvorsorge haben Macron bereits jetzt viel Vertrauen im Volk gekostet. Nach letzten Umfragen billigen nicht einmal vier von zehn Franzosen die Reformpolitik des Präsidenten.

Castex als konservativer Hoffnungsträger

Auch hier soll Jean Castex als konservativer Hoffnungsträger für den Präsidenten die Wende schaffen. In den ersten Sätzen der Regierungserklärung beklagt der Premier die Zersplitterung des Landes und wirbt um das Vertrauen aller Franzosen. Im selben Atemzug lässt er eine entscheidende Korrektur der politischen Ausrichtung erkennen. Er appelliert an die Einheit des Landes, verspricht den Regionen mehr Macht und den Menschen in der Peripherie mehr Mitspracherecht. Vor drei Jahren kam Emmanuel Macron vor allem durch die Stimmen einer urbanen Mittelschicht ins Präsidentenamt, die der Globalisierung und dem ökologischen Umbau des Landes positiv entgegensteht. Mit dem Erstarken der Grünen in Frankreich kann er sich bei der nächsten Wahl auf diese Klientel nicht mehr verlassen. Nun setzt Macron offensichtlich auf die Stimmen der konservativen Wähler, die vor allem auf dem Land ihre Heimat haben. Der biedere Jean Castex ist der ideale Repräsentant dieser Gruppe. Fraglich ist, ob die neue Fokussierung in zwei Jahren tatsächlich zu Sieg führt. Sicher ist nur: ein Scheitern des Premiers bedeutet auch das politische Ende des Präsidenten.