Folgt aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Hartz IV ein neues Miteinander zwischen den Jobcenter-Mitarbeitern und den Leistungsbeziehern? Nicht unbedingt, sagt der Chef der Regionaldirektion Baden-Württemberg, Christian Rauch.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Jobcenter werden vorerst keine Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher verhängen, die Termine versäumen, Förderangebote nicht wahrnehmen oder Jobs ausschlagen. Dies gilt freilich nur für die nächsten zwei, drei Wochen, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit dem Bundesarbeitsministerium, Ländern und Kommunen nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts vereinbart hat. „Wir werten das Urteil in Ruhe aus und ziehen dann die Schlussfolgerungen“, sagte der Chef der BA-Regionaldirektion im Südwesten, Christian Rauch, unserer Zeitung. „Die Menschen sollen das Geld, das ihnen zusteht, in der richtigen Höhe und für die richtige Dauer bekommen.“ Diese Phase hemme die Arbeit der Jobcenter nicht.

 

Fakt ist, dass das Urteil von sofort an umzusetzen ist und dass Sanktionen über eine Kürzung von 30 Prozent hinaus nicht mehr verfassungskonform sind. Generell muss die Bundesagentur für Mitarbeiter und Betroffene nun nachvollziehbare neue Regeln schaffen. Doch viele Detailfragen sind noch ungeklärt – etwa was mit den noch nicht bestandskräftigen Bescheiden über Leistungskürzungen von mehr als 30 Prozent passieren soll.

„Mehr Bürokratie und Verwaltungsaufwand“

Rauch begrüßt das Karlsruher Urteil: „Es stellt auf jeden Fall Rechtssicherheit her, und ich finde es auch gut, dass der Grundsatz des Förderns und Forderns erhalten geblieben ist, den ich in der Arbeitsmarktpolitik für wichtig halte.“ Die Grundidee sei es bisher ja schon nicht gewesen, Menschen zu bestrafen, sondern sie an die Arbeitswelt heranzuführen. „Nun kann man dieses Instrument flexibler einsetzen“, sagt der BA-Regionalchef. „Das ist sinnvoll, setzt aber auch etwas mehr Bürokratie und Verwaltungsaufwand voraus.“ Zudem bleibe abzuwarten, ob die Streitigkeiten darüber, dass eine Sanktion zu Recht oder zu Unrecht verhängt wurde, noch einmal zunehmen werden. Dies alles bedeutet Mehrarbeit für die Jobcenter, doch wird deswegen nicht gleich mehr Personal eingestellt.

Zentral ist, dass die Mitarbeiter größere Ermessensspielräume als bisher bekommen. Sie müssen nun im Einzelfall prüfen, ob die Sanktion verhältnismäßig ist. „Bisher war zu entscheiden: Liegt der Tatbestand vor, der eine Sanktion rechtfertigt – da war im Gesetz geregelt, in welcher Höhe und in welcher Dauer sie ausfällt“, erläutert Rauch. Jetzt müsse vor Ort zusätzlich entschieden werden, für welche Dauer die Sanktion sinnvoll ist – ob es also zwingend gleich drei Monate sein müssen.

Das Urteil hat nicht zwingend einen anderen Umgang zur Folge

Bisher wurden 75 Prozent der Sanktionen wegen Terminversäumnissen verhängt, weil etwa die Hartz-IV-Bezieher nicht erschienen sind. Dann mussten diese für drei Monate Leistungskürzungen hinnehmen, selbst wenn sie sich vier Wochen später gemeldet haben. Nun aber kann die Strafmaßnahme angepasst werden, wenn der Betroffene darauf reagiert und entlastende Gründe angibt. Zudem habe er das Urteil so verstanden, sagt Rauch, dass die Sanktion endet, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird. „Da kommt eine neue Diskussionsebene hinein.“

Dass neue Regeln jedoch zu einem anderen Umgang mit den Leistungsempfängern führen, weil diese sich nun fairer behandelt fühlen, glaubt der Regional-Geschäftsführer der Arbeitsagentur nicht. „Das Thema Sanktionen wurde in Relation zu dem, was in Jobcentern gemacht wurde, in der Vergangenheit brutal überhöht“, sagt er. Tatsächlich hätten sie einen Anteil von weniger als drei Prozent der Kunden. „Die weit überwiegenden Kontakte haben damit nichts zu tun.“ So gesehen ändere sich auch der Umgang nicht.