Mercedes wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, gegen Formel-1-Regeln verstoßen zu haben. Für die FIA ist klar: Die Silberpfeile hätten nicht testen dürfen. Nach rund sieben Stunden Verhandlung am Donnerstag wurde das Urteil auf Freitag vertagt.

Paris/Stuttgart - Ausschluss, Geldstrafe oder Freispruch? Der Formel-1-Rennstall Mercedes steht in der hochpolitischen Reifentest-Affäre gewaltig unter Druck. Nach einer rund siebenstündigen Verhandlung am Donnerstag in Paris vertagte das Internationale Tribunal des Automobil-Weltverbandes FIA sein Urteil auf Freitag und bescherte dem deutschen Werksteam bange Stunden. „Wir werden uns noch den Rest des Tages und der Nacht mit den Akten beschäftigen müssen“, zitierte das Fachmagazin „auto, motor und sport“ Richter Edwin Glasgow.

 

Die Silberpfeile zittern. Nach Angaben von FIA-Anwalt Mark Howard wurde Mercedes und Hersteller Pirelli nie die offizielle Erlaubnis für Reifentests mit dem aktuellen Formel-1-Wagen erteilt. Die Silberpfeile wehren sich gegen den Vorwurf eines Regelverstoßes. Einzig Pirelli habe den Test durchgeführt, sagte der Vertreter des Werksteams, Paul Harris.

Mercedes hat nach Ansicht von Teamchef Ross Brawn keinen grundlegenden Nutzen aus den bei den Testfahrten erhobenen Daten ziehen können. „Ich erkenne nicht wie“, sagte der 58-Jährige vor dem Internationalen Tribunal des Automobil-Weltverbandes FIA. „Wir hatten keine Ahnung, welche Reifen eingesetzt wurden. Wir wussten nicht, was genau Pirelli testen will“, meinte Brawn weiter.

Silberpfeile haben Reifen für Pirelli getestet

„Das war kein von Mercedes durchgeführter Test“, sagte Mercedes-Verteidiger Harris. „Es ist unumstößlich, dass der Test von Pirelli durchgeführt wurde.“ Der Jurist des deutschen Werksteams berief sich auf Paragraf 22 des Sportlichen Regelwerks, wonach Fahrten verboten sind, die von einem Mitbewerber - im Klartext von einem Rennstall - durchgeführt werden. Pirelli habe die Übungsrunden Mitte Mai beaufsichtigt und auch bezahlt, meinte Harris weiter.

Pirelli selbst sah für eine Bestrafung keine Grundlage. Der Anwalt des Exklusiv-Ausstatters, Dominique Dumas, argumentierte, dass Pirelli als Hersteller nicht unter die entsprechende Rechtsprechung falle. „Es darf keine Sanktionierung ohne jede solide rechtliche Grundlage geben. Wir können diesen Vorgang nicht nachvollziehen.“

Die Silberpfeile hatten mit den Stammfahrern Nico Rosberg und Lewis Hamilton drei Tage lang auf der Formel-1-Strecke in Barcelona Reifen für Pirelli getestet. Red Bull und Ferrari legten Protest ein, weil sie aus ihrer Sicht gegen das Verbot von Tests während der Saison verstoßen. Ferrari absolvierte am 23. und 24. April zwar ebenfalls auf Bitten von Pirelli Runden auf dem Kurs bei Barcelona. Allerdings mit einem 2011er Modell. Diese Akte wurde von FIA-Boss Jean Todt, dem ehemaligen Ferrari-Teamchef, jedoch wieder geschlossen. Das erzürnt die Silberpfeile.

„Derselbe Mangel an Transparenz, der uns vorgeworfen wird, ist mit den beiden Tests von Ferrari identisch“, zitierte das englische Fachmagazin „Autosport“ Silberpfeil-Anwalt Harris. Wenn das deutsche Werksteam gegen das Testverbot während der Saison verstoßen habe, dann müsse das auch für die „Scuderia“ gelten.

Die Zustimmung des Rennleiters ist für die FIA unerheblich

Die FIA stellte klar, dass jeder angebliche Hinweis von Rennleiter Charlie Whiting in Richtung einer Testerlaubnis unerheblich sei. „Ob Whiting zugestimmt hat oder nicht, das ist irrelevant“, erklärte der Weltverbands-Anwalt. Tests seien laut Paragraf 22 verboten, es sei denn, der Motorsport-Weltrat bewilligt eine Änderung.

Brawn betonte bei der mehrstündigen Anhörung im Salle du Comité, dass für ihn die Ansicht von Whiting entscheidend gewesen sei. „Charlie ist die maßgebliche Referenz in allen Sportfragen“, sagte der Silberpfeil-Teamchef und verwies auf E-Mail-Verkehr mit ihm. Einen Nutzen aus den erhobenen Daten erkennt Brawn nicht. „Wir arbeiten stets nach dem Prinzip, dass keine Information besser ist als eine schlechte Information. Ich erkenne nicht, wie wir irgendwelche Daten aus dem Test hätten nutzen können.“

FIA-Jurist Howard zufolge wurde Whiting am 2. Mai von Mercedes-Teammanager Ron Meadows angerufen, ob die Möglichkeit bestünde, mit dem aktuellen Rennwagen zu testen. Später habe auch Brawn in dieser Angelegenheit angefragt. „Whiting wurde eine generelle und unspezifische Frage gestellt“, betonte Howard.

Pirelli soll nur Mercedes zum Test eingeladen haben

Der Rennleiter untersuchte demnach den Sachverhalt und schrieb daher einen FIA-Anwalt an. Dieser antwortete Whiting: Solch ein Test-Szenario sei möglich, es liege aber an Pirelli alle weiteren Teams der Formel 1 einzuladen. Nach Howards Darstellung wurde aber kein anderer Rennstall eingeladen. Keinem anderen Team sei klargemacht worden, dass diese Tests stattfanden.

Howard zufolge informierte Whiting daraufhin Brawn über den Status Quo und wiederholte, dass es sich nicht um eine verbindliche Haltung in der Testfrage handle. „Dieser Austausch war keine Einverständniserklärung der FIA“, erklärte Howard.

Seiner Ansicht nach hat Mercedes auch durchaus Nutzen aus den Reifentests ziehen können. „Offenkundig gab es Daten, die für Mercedes zugänglich waren“, sagte der Jurist. „Es ist schwierig zu sagen, dass Mercedes keinen Nutzen aus dem dreitägigen Test gezogen hat“, führte Howard weiter aus und legte nahe, dass Mercedes und Pirelli womöglich gegen Artikel 151c des International Sporting Codes verstoßen haben.

Niki Lauda wollte offenbar für außergerichtliche Einigung sorgen

Sportparagraf 151 legt fest, welche Vergehen grundsätzlich als Verletzung von Bestimmungen gewertet werden. Der Absatz c zählt dazu arglistiges Verhalten wie auch jede Handlung, die schädlich für den Wettbewerb oder für die Interessen des Motorsports im Allgemeinen ist.

Um der juristischen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen, wollte Mercedes-GP-Aufsichtsrat Niki Lauda einem Bericht der Schweizer Zeitung „Blick“ zufolge für eine außergerichtliche Einigung sorgen. „Red Bull, das mit Ferrari gegen uns den Protest eingelegt hat, war wie Bernie Ecclestone mit einem außergerichtlichen Deal einverstanden“, zitierte das Blatt den Österreicher. „Dazu hätte es einen Brief von Mercedes an FIA-Boss Todt gebraucht. Doch unsere Chefs Toto Wolff und Ross Brawn lehnten ihn ab“, behauptete er.