Comic statt Fotos: im Zeitalter der massenhaften Knipserei macht sich ein Gegentrend bemerkbar – der gezeichnete oder gemalte Erlebnisbericht. Auch deutsche Künstler erzählen in Skizzen und Sprechblasen von ihren Reisen.

Stuttgart - „Ich bin hier sehr glücklich, es wird den ganzen Tag bis in die Nacht gezeichnet, gemalt, getuscht, geklebt“, schreibt Goethe im Jahr 1787 aus Italien. Der Dichter, der sich bei seiner Reise in den Süden manchmal als Maler Philip Möller ausgibt, ist kein Einzelfall. Bei fast allen Bildungsreisen des Adels und des Bürgertums sind Stift und Pinsel obligatorischer Teil des Gepäcks. In den Zeiten des Massentourismus aber wird die eigenhändige Aufzeichnung an den Rand gedrängt, die Aufbewahrung der Sehenswürdigkeiten erledigt nun meist der Fotoapparat oder das Smartphone, für deren globale Verbreitung ist das Internet zuständig. Millionen von schnell geknipsten Bildern – auch aus Gegenden, die einmal exotisch waren – , wimmeln nun auf Facebook herum, samt begleitender Stereotypsätze zu Land („Tolle Berge!“) und Leuten („Alle sehr freundlich!“) – und werden dabei schon durch ihre schiere Menge entwertet.

 

Der Ausweg ist auf den ersten Blick ein Rückschritt: Es wird wieder gezeichnet und gemalt! Vor allem junge Comic-Künstler verarbeiten ihre Reisen in handgemachter Form, sie ziehen sich aus dem digitalen Meer des Visuellen sozusagen zurück auf exklusive und mehr oder weniger analoge Inseln der Individualität. Das Goethe-Institut fördert diesen Trend nach Kräften, es besinnt sich also auf die bildenden Künste seines Namensträgers und organisiert etwa bei seiner Aktion Comic-Transfer, an der sich auch bekannte deutschsprachige Künstler wie Ulli Lust, Reinhard Kleist oder Jens Harder beteiligen, Aufenthalte in europäischen Städten. Deren Erfahrungen sind – als illustrierte Tagebücher, Einzelzeichnungen oder in Comicform – natürlich auch im Netz zu sehen, genauso wie jene eines ebenfalls vom Goethe-Institut arrangierten Austauschs von deutschen und brasilianischen Comic-Künstlern.

„Alter, was’n Monsoon!“

Inzwischen erscheinen auch Einzelbände deutscher Comic-Zeichner, die ihre Reiseberichte als visuelle Reportagen anlegen. Philip Cassirer erzählt in „Was kostet ein Yak?“ (Carlsen, 64 Seiten 14,90 Euro) von einem Trip nach Indien und Nepal. Es gelingen ihm dabei manchmal detaillierte und stimmungsvolle Panoramen, insgesamt aber wirkt sein Blick sehr oberflächlich. Die Umgebung ist für ihn und seine Kumpel nur bunte Folie, der angeheuerte Sherpa nur wichtig als Träger und nicht als Person, und so blubbert auch in den Sprechblasen („Alter, was’n Monsoon!“) eine Mischung aus Ignoranz und Zynismus, die sich als Coolness tarnt: „Netter Tempel, könnte man mal zeichnen, nur die Scheiß Touris davornerven.“

Eine Art Kontrastprogramm zu dieser Egozentrik bietet Olivier Kugler, der sich in seinem Reportage-Comic „Mit dem Elefantendoktor in Laos“ (Edition Moderne, 48 Seiten, 19,80 Euro) ganz zurücknimmt. Er fährt mit dem Tierarzt Bertrand Bouchard und dessen zwei einheimischen Begleitern in abgelegene Wälder, wo sich das Trio medizinisch um die letzten laotischen Arbeitselefanten kümmert. Kugler hat gut recherchiert.

Kuglers Reportage-Comic „Mit dem Elefantendoktor in Laos“ Foto: Edition Moderne 2013
Er dokumentiert das harte und von Staudämmen und Bergwerken bedrohte Leben der Dickhäuter und ihrer Treiber, das er weder romantisiert noch als Tierquälerei denunziert. Trotz des nüchtern-sachlichen Tons ist in diesen farbig leuchtenden Bildern, auf denen transparent wirkende Schwarz-Weißlinien liegen, jederzeit die Neugier und Faszination des Autors spürbar.

An Enthusiasmus mangelt es auch Sebastian Lörscher nicht, der in seinem demnächst erscheinenden Band „Making Friends in Bangalore“ (Edition Büchergilde, 144 Seiten, 21,95 Euro) mit dem Skizzenbuch durch die IT-Metropole von Indien gezogen ist. Besonders erhellend sind seine Impressionen zu Rikschafahrten, Schlaglöchern oder Hochzeiten freilich nicht, sie gehen über typische Erlebnisberichte junger Indienfahrer kaum hinaus. Und was den grafischen Wert seines Sketchbooks angeht, möchte man sich fast jener indischen Künstlerin anschließen, die erklärt: „Well, that is all very simple work!“ Aber immerhin: Lörscher stellt sich nicht in den Mittelpunkt, er zeigt nur manchmal seine zeichnende Hand, und sein Blick ist ein freundlicher.

Mit Fotos könnte man nie so anrührend erzählen

Jan Bauer dagegen gibt sofort zu, dass sein autobiografischer Schwarzweiß-Comic „Der salzige Fluss“ (Avant-Verlag, 240 Seiten,19,95 Euro) weniger eine Reportage aus dem australischen Outback ist als „eine Reise zu mir selbst.“ Die weite, karge Landschaft wird zwar in schönen Panoramen und mit subtilen Grauabstufungen erfasst, sie bleibt aber Hintergrund für einen Protagonisten, der nach einer Enttäuschung die Einsamkeit sucht und plötzlich eine französische Mitwandererin findet. Wie er sich verliebt, für sie aber vielleicht nur ein guter Kamerad bleibt, das erzählt Jan Bauer oft wortlos, lässt Gestik und Mimik sprechen oder durch die Natur metaphorisch kommentieren. Nein, mit Fotos hätte man so eine anrührende Reise- und Liebesgeschichte nicht zusammenknipsen können!