Um tierischen Nachwuchs für die Stuttgarter Reiterstaffel zu finden, machen das Marbacher Haupt- und Landesgestüt und die Polizei gemeinsame Sache: Züchter können ihre Pferde für den Polizeidienst vorstellen.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Die Polizei hat einen Steckbrief veröffentlicht. Das ist an und für sich nichts Ungewöhnliches, doch gesucht wird kein Schurke per Fahndungsplakat, sondern Nachwuchs für die Polizei – tierischer Nachwuchs wohlgemerkt.

 

Die Stuttgarter Reiterstaffel braucht neue Pferde für den Polizeidienst. Zum ersten Mal geht das zuständige Polizeipräsidium Einsatz dafür neue Wege, gemeinsam mit dem Haupt- und Landgestüt Marbach: Sie laden für Sonntag, 21. Oktober, zu einer Sichtung ein, um für den Polizeieinsatz geeignete Pferde zu finden. Das hat es bisher noch nicht gegeben. Züchter können ihre Wallache dort vorführen, und die Fachleute der Polizei suchen sich geeignete aus.

Im Stall auf den Fildern ist Platz für 28 Pferde

Warum die Polizei hier neue Wege geht, hat mehrere Gründe. Der zentrale und ausschlaggebende: Sie braucht dringend Pferde. „Und einfach mal so kann uns Marbach nicht Pferde liefern“, sagt der Polizeihauptkommissar Sven Staudenmaier, der seit April die Stuttgarter Reiterstaffel leitet. Es sind Lücken entstanden. Die Polizei hat ein Pferd einschläfern lassen müssen: Der Schimmel Harik war „total verkrebst“, eine Operation hatte er schon hinter sich, doch der Krebs sei nicht zu stoppen gewesen. Ein anderer Wallach im Polizeidienst hat ein Auge verloren. Es musste ihm krankheitsbedingt entfernt werden. Damit könne Yago, das einäugige Pferd, nicht mehr mit in den Einsatz. Außerdem habe man noch zwei 21-jährige Pferde im Stall bei Ostfildern, „bei denen man langsam mal an den Ruhestand denken kann“, sagt Sven Staudenmaier. 14 einsatzfähige Pferde habe die Reiterstaffel aktuell, insgesamt stehen im Stall 21 – darunter aber auch junge Tiere, die erst für die Polizeiarbeit ausgebildet werden. Das braucht seine Zeit, damit sie bei Demonstrationen oder Krawallen rund ums Fußballstadion ruhig bleiben. Im Stall sei Platz für 28 Pferde. „Aber wir müssen den nicht zwingend vollmachen. Qualität geht vor Quantität“, sagt Staudenmaier.

Dass die Polizei von privaten Züchtern Pferde kauft, ist nicht neu, sagt Staudenmaier, der auch in dieser Woche unterwegs war, um Wallache bei Züchtern zu begutachten. Es habe Zeiten gegeben, in denen die Polizei in Baden-Württemberg ausschließlich Marbacher Pferde geritten habe, aber das sei schon einige Jahre her. Entgegen der landläufigen Meinung, dass das Haupt- und Landgestüt gezielt für die Polizei züchte, ist das gerade andersrum: „Wir haben eine Reihe von Aufgaben, die erfüllt sein müssen, bevor wir der Polizei Pferde verkaufen können“, sagt die Landesoberstallmeisterin Astrid von Velsen-Zerweck, die das Gestüt bei Gomadingen auf der Alb leitet.

Das ist ein weiterer Grund für den Sichtungstag. Die Hauptaufgabe des Gestüts sei die Zucht, „sozusagen die Forschung und Lehre“, erklärt Astrid von Velsen-Zerweck. Das Gestüt müsse die Entwicklung der Pferdezucht erkennen und auf Trends der Zukunft reagieren, um entsprechende Beschäler – also Zuchthengste – bereitstellen zu können. „Wenn wir damit fertig sind, wird unser Zuchtbestand remontiert – also durch die besten Stuten und Hengste ergänzt“, fügt die Landesoberstallmeisterin hinzu. Zudem habe das Gestüt die Aufgabe, auch wirtschaftlich zu arbeiten. Es könne somit auch keine Pferde zu besonders günstigen Preisen an die Polizei abgeben. „Und die muss ja auch immer auf ihr Budget achten“, sagt von Velsen-Zerweck.

Polizeipferde müssen besondere Eigenschaften haben

Nicht jedes Pferd ist zudem für den Polizeidienst geeignet. „Gesunde, robuste und im Kopf klare Pferde“, benennt von Velsen-Zerweck die Kerneigenschaften. Das seien die Warmblüter, die für Dressur- oder Springreiten als „top Sportpferde“ eingestuft würden, oft nicht. Sie sind eher sensibel. „Der Markt züchtet an uns vorbei“, nennt das Sven Staudenmaier. „Ein Polizeipferd ist etwas ganz Spezielles. Es ist schwierig, eines zu finden.“

Ein Polizeipferd muss viel aushalten: im Wind knatternde Fahnen, Luftballons und Polizeisirenen. Selbst Schüsse oder Feuer dürfen das Tier nicht schrecken. Das trainieren die Polizeireiter in der Ausbildung, die bis zu zwei Jahre dauern kann. Mit einfachen Tests wollen Sven Staudenmaier und seine Reitausbilder aus den in Marbach am Sonntag vorgeführten Pferden herausfinden, welche das voraussichtlich erfüllen werden. Die Tiere sollten ausgewachsen mindestens 1,68 Meter Stockmaß haben und vier Jahre alt sein. Bis zu 12  000 Euro kann die Polizei pro Pferd zahlen.

Die Züchter bekommen auch etwas für ihre Bereitschaft, ihre Wallache zur Sichtung zu bringen: Ein Fotograf ist angeheuert, die Züchter erhalten die Aufnahmen. Kommt ein Pferd in die engere Auswahl, schließen die Polizei und der Verkäufer einen Vertrag für eine Art Probezeit: Dann kommt das Pferd für mehrere Wochen zur Reiterstaffel und wird dort ausführlich getestet. Die Kosten für den Tierarzt und für die Unterbringung trägt die Polizei.

Ein paar Züchter haben sich schon angemeldet. „Wir sind sehr gespannt auf die Resonanz“, sagt Sven Staudenmaier.

Reiterstaffel Stuttgart

EinsätzeRund 800-mal im Jahr müssen die Stuttgarter Polizeipferde in den Einsatz ziehen. Häufig zu Fußballspielen, aber auch zu Demonstrationen in der Innenstadt, bei Fahndungen im Gelände oder wenn es darum geht, Präsenz zu zeigen, zum Beispiel bei einem Festumzug. Derzeit stehen bei der Reiterstaffel 21 Pferde im Stall, darunter Jungtiere, die noch in der Ausbildung sind.

TrainingFür das Training der Tiere wird die Reithalle am Polizeidienstgebäude in Ostfildern regelmäßig umfunktioniert. Mal zu einer Großdemonstration am Schlossplatz, mal zum Weg vom S-Bahnhof Richtung Mercedes-Benz-Arena. Beim Training wird versucht, so realitätsnahe Situationen wie nur möglich zu schaffen. Dafür müssen die schauspielerischen Künste der Stuttgarter Polizeibeamten herhalten: Sie simulieren grölende Fans, fahnenschwingende Demonstranten und Randalierer, die Flaschen und Steine werfen.

PyrotechnikDie Verwendung von Pyrotechnik ist für die Tiere bei den Übungen und bei den Einsätzen mit Abstand am schlimmsten. „Bei Fußballspielen sind immer mehr illegale Böller im Umlauf“, erzählen erfahrene Beamte.