Mehr Entbindungen als Filderstadt überhaupt Einwohner hat: Zum 40-Jahr-Jubiläum der Filderklinik am Rand des Stadtteils Bonlanden ist Geburtenzahl auf ein Rekordniveau gestiegen. Seit 1975 kamen hier mehr als 50 000 Kinder zur Welt.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Filderstadt - Mit ihren jährlich inzwischen mehr als 50 000 Patienten ist die Filderklinik das Aushängeschild von Filderstadt – und die Einrichtung, mit der wohl die meisten Menschen in der Region die Große Kreisstadt überhaupt in Verbindung bringen. Denn durch die alternativen Therapiemethoden in dem vor vier Jahrzehnten aus der Taufe gehobenen Krankenhaus ist die Reformkommune auch weit jenseits der Filder ein Begriff.

 

Die Filderklinik zählt zu den bundesweit nur drei größeren Akutkrankenhäusern die ihre medizinische Arbeit am anthroposophischen Menschenbild ausgerichtet haben. Die Strahlkraft dieses speziellen Profils ist ungebrochen: Weil Menschen mit Beschwerden aus weitem Umkreis auf die Fildern strömen, verzeichnet die 219 Betten zählende Klinik nach wie vor steigende Patientenzahlen.

Kaiserschnitt-Quote liegt bei gerade mal 14 Prozent

Vor allem die Geburtsabteilung darf sich über einen rekordreifen Andrang freuen, allein im laufenden Jahr haben am Rand von Bonlanden bereits 1208 Kinder das Licht der Welt erblickt, die durchschnittliche Geburtenzahl ist inzwischen von 800 auf jährlich 2000 Entbindungen gestiegen.

Mit ein Grund für den Baby-Boom ist, dass die Filderklinik bundesweit zu den Krankenhäusern mit den niedrigsten Kaiserschnitt-Rate zählt – in gerade mal 14 Prozent der Fälle muss der Arzt bei der Geburt das Skalpell zücken. Auch die über-regional gefragten Fachabteilungen sind – nicht zuletzt dank der oft herausragend positiven Bewertungen zufriedener Patienten – so gut ausgelastet, dass die Filderklinik trotz aller Hiobsbotschaften aus dem Gesundheitswesen auch wirtschaftlich weiterhin schwarze Zahlen schreibt.

Für Filderstadt bringt die Klinik auch 650 Arbeitsplätze

Selbst tragische Unglücksfälle wie der Tod der 21 Jahre jungen Esra nach einem Routineeingriff im April trüben die Bilanz nicht nachhaltig. Eine finanzielle Delle durch die Negativschlagzeilen lässt sich nicht erkennen. „Wir haben ein gutes Jahr, die Schwankungen bei den Patientenzahlen bewegen sich im normalen Rahmen“, erklärt Sprecherin Gabriele Weinmann.

Für Filderstadt ist die Filderklinik nicht nur wegen ihres guten Rufs und der Nähe der Bürgerschaft zur medizinischen Versorgung ein Glücksfall. Das seit mehr als drei Jahrzehnten mit einer Krankenpflegeschule mit gut 60 Ausbildungsplätzen verknüpfte Krankenhaus schafft aktuell auch 650 Arbeitsplätze in Voll- und Teilzeit.

Bei der Eröffnung gab es nur 240 Beschäftigte

Zum Vergleich: Als die Filderklinik im Jahr 1975 erstmals ihre Pforten öffnete, gab es ohne die drei Betten in der Psychoso-matik nur unwesentlich weniger Patientenplätze, aber mit nur 240 Mitarbeitern deutlich weniger Beschäftigte. Auch an den Umsatzzahlen lässt sich die Entwicklung von Teuerungsrate und medizinischer Betreuung ablesen: Im ersten vollständigen Rechnungsjahr 1976 hatte die Filderklinik noch einen Umsatz von umgerechnet etwa 6,5 Millionen Euro zu verbuchen. Im vergangenen Jahr wurde im Medizinbetrieb mit fast 38 Millionen Euro gewirtschaftet.

Dabei war es keine Selbstverständlichkeit, dass das Fildergebiet vor vier Jahrzehnten überhaupt den Zuschlag für das anthroposophische Krankenhaus erhielt. Ursprünglich war als Standort nämlich der Stuttgarter Stadtteil Heumaden ins Auge gefasst worden. Erst als sich die Planungen zerschlugen kamen die beiden Ideengeber Hermann und Ernst Mahle mit dem ehemaligen Bürgermeister von Bonlanden, Friedhardt Pascher, ins Gespräch.

Stuttgarter Unternehmer als Ideengeber und Finanzier

Weil der Naturschutz schon ums Jahr 1970 eine gewichtige Rolle spielte, musste auch der Plattenhardter Rathauschef Dieter Illig mit ins Boot geholt werden – weil die schon seinerzeit als ökologisches Kleinod geltende Haberschlaiheide nicht mit Krankenzimmern bebaut werden durfte, entstand die Filderklinik zum weitaus größten Teil (95 Prozent) auf Plattenhardter Markung.

Entworfen vom Architekten Christoph Klein und dem Künstler Wilfried Ogilvie wurde 1972 mit dem finanziell maßgeblich von der Mahle-Stiftung geförderten Bau des Krankenhauses begonnen. Die drei Jahre später gefeierte Eröffnung fiel fast termingenau mit dem Zusammenschluss der fünf Filderdörfer zur Großen Kreisstadt zusammen. Seither hat der Stuttgarter Autozulieferer 76 Millionen Euro in die Filderklinik gesteckt, über die Hälfte der zur Förderung anthroposophischer Medizin vorgesehenen Dividenden des Konzerns flossen in das 219-Betten-Haus auf den Fildern. Als vorerst letzter Baustein eingeweiht wurde im Frühjahr die 2,5 Millionen Euro teure Erweiterung der immer bedeutender werdenden Psychosomatik.

Mehr Geburten als Filderstadt überhaupt Einwohner hat

Wichtig fürs Profil ist auch der klinische Schwerpunkt als Zentrum für Onkologie und die innovativen Methoden im Bereich der Gastroenterologie. Übrigens: Durchs Vertrauen der Mütter in natürliche Geburtsmethoden gab es in der Filderklinik in den letzen vier Jahrzehnten 50 000 Entbindungen – das ist mehr als die Standortkommune Einwohner hat. Für 40 Jahre Filderklinik stehen auch mehr als 310 000 stationär gepflegte Patienten und über eine Million ambulante Behandlungen.