Nach 22 Jahren hat eine junge Frau aus Burgstetten zum ersten Mal Kontakt zu ihrem Vater. Einen Monat später geschieht ein schwerer Unfall – jetzt setzt sie alles daran, um ihn aus einem ägyptischen Militärkrankenhaus heim zu holen.

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Burgstetten - Ein winziges Menschlein regt sich unter der Decke. Erst eine Woche alt ist das Mädchen. Die Aufregung zuhause verschläft es, obwohl sich das Leben seiner Mutter Jasmin Schwarz, 26 Jahre alt, gerade überschlägt. Gewöhnlich wäre für so eine junge Mutter jetzt ganz viel Ruhe zu empfehlen. Doch sie muss eine ungewöhnliche Rettungsaktion organisieren: In einem Militärkrankenhaus in Kairo liegt ihr schwer verletzter Vater. Sie kennt ihn eigentlich kaum: Im vergangenen November hat sie zum ersten Mal mit ihm telefoniert. Um ihn heimzuholen, hat die Frau aus Burgstetten (Rems-Murr-Kreis) eine Crowdfunding-Aktion gestartet.

 

Zwei Jahrzehnte lang gab es fast keinen Kontakt zwischen den beiden

Die Geschichte beginnt vor 22 Jahren. Damals trennten sich die Eltern der zu dieser Zeit vierjährigen Jasmin. Nicht alle Details des damit verbundenen Zwists gehören in die Zeitung. Jedenfalls hinterließ er jahrelang tiefe Gräben in der Familie. So tiefe, dass kein Kontakt mehr zwischen Vater und Tochter stattfand – auch dann noch, als ihre Mutter mit multipler Sklerose in ein Heim kam.

Ein Stück weit, räumt Schwarz ein, habe sie auch Angst gehabt, nach ihrem Vater zu suchen. Die Erinnerungen an ihn beschränkten sich auf einen Termin beim Jugendamt und ein Telefonat vor vielen Jahren. „Einmal habe ich auch einen Brief gefunden, der an mich adressiert war. Es war ein Hundertmarkschein darin“, sagt Schwarz. „Aber mein Vater war ein Tabu-Thema.“

Das erste Telefongespräch mit dem Vater

Den Mut, wieder Kontakt mit ihm aufzunehmen, fasste sie erst vor zwei Jahren. Darauf folgte eine mühsame Recherche, etliche Fehlschläge, unbeantwortete Briefe und Besuche bei veralteten Adressen. Erst im November 2017 erfuhr sie in einer verrauchten Shisha-Bar die Handynummer ihres 21 Jahre alten Halbbruders Sherif, den sie noch nie gesehen hatte. „Zehn Minuten später saß ich in Waiblingen bei Sherif im Wohnzimmer“, erzählt Schwarz.

An der Verwandtschaft habe kein Zweifel bestanden: „Er hat gleich eine goldene Box mit Fotos geholt – auf der Hälfte der Bilder war ich zu sehen“, sagt sie und bekommt feuchte Augen. „Ich war dort immer ein Teil der Familie gewesen, ein Bild von mir hing immer.“ Auch ihren Vater Mohamed H. riefen sie gemeinsam an. Er war für Weihnachten und den Jahreswechsel nach Ägypten gefahren. „Er konnte es nicht fassen. Am Ende hörte ich nur noch ein Schluchzen. Und er sagte immer wieder meinen Namen.“

Auf dem Weg nach Deutschland ereignet sich ein schwerer Unfall

In den Wochen darauf tauschten sich Vater und Tochter regelmäßig aus und schickten sich gegenseitig Bilder. „Ich erfuhr von ihm, dass ich neunfache Tante bin“, erzählt Jasmin Schwarz gerührt. Die Einladung des Vaters, über Weihnachten nach Ägypten zu kommen, musste sie aber ausschlagen. „Dafür war ich einfach zu schwanger.“ Ihr Halbbruder Sherif flog ohne sie zur Familie.

Das große Wiedersehen sollte also im Januar in Deutschland stattfinden. Doch auf dem Weg zum Flughafen überschlug sich das Auto von Sherif und Mohamed H., mitten in der Wüste, wie Jasmin Schwarz berichtet. „Mein Vater hat sich dabei etliche Knochen gebrochen und liegt seitdem im künstlichen Koma.“

Keine Versicherung, kein ADAC, kein Geld von der Botschaft

Die Studentin hat über die Onlineplattform Gofundme eine Crowdfunding-Aktion unter dem Titel „Vereint Papa und Tochter“ ins Leben gerufen, um ihren Vater heimzuholen. In Deutschland ist er versichert, in Ägypten ist er das nicht. Er sei auch nicht Mitglied eines Automobilclubs, der finanziell einspringen könnte. Deswegen kämen für Transport und Versorgung des Komapatienten rund 60 000 Euro an Kosten auf die Familie zu.

Ein Onkel hat in Ägypten zwar einen Kredit aufgenommen. „Aber auch der reicht nicht aus, um die Kosten zu decken“, sagt Schwarz. Pro Tag koste es mehr als 400 Euro, um ihren Vater am Leben zu erhalten. Eine Unterbringung in einem öffentlichen ägyptischen Krankenhaus wäre zwar kostenlos. „Die sind aber so ausgestattet wie hierzulande eine Hausarztpraxis“, sagt Jasmin Schwarz. „Dort würde er nicht überleben. Es gibt dort nicht mal eine Sauerstoffversorgung.“

Die deutsche Botschaft in Kairo bestätigt den Fall

Ein Anruf bei der deutschen Botschaft in Kairo bestätigt, was Jasmin Schwarz erzählt hat. „Es gibt diesen Fall tatsächlich. Das Ganze ist eine sehr tragische Geschichte“, sagt eine Mitarbeiterin der Botschaft. Alle Möglichkeiten, die Versorgung des Unfallopfers zu finanzieren, seien bislang im Sande verlaufen.

Auf Geld von der Botschaft können Mohamed H. und seine Familie auch nicht hoffen. „Zwar gibt es diese Möglichkeit in Ausnahmefällen, aber die gesetzlichen Vorgaben sind leider sehr strikt“, erklärt die Sprecherin. Eine lebensrettende Operation könne beispielsweise übernommen werden. Die Versorgung im Krankenhaus oder der Transport des Vaters aber nicht.

Mehr über die Crowdfunding-Plattform

Gofundme: Die Online-Plattform gofundme.com existiert seit dem Jahr 2010. Sie bietet eine Plattform für Spendenaktionen, der Anbieter behält aber 8,45 Prozent der Spenden für sich ein. Laut den Betreibern wurden über Gofundme (GFM) bislang fünf Milliarden US-Dollar an Spenden organisiert. Im Unterschied zu anderen Plattformen gibt es keine finanzielle Grenze, die erreicht werden muss, damit überhaupt Geld fließt.

Sicherheit: Die Plattform GFM bietet Spendern einen gewissen Grad an Schutz: Sollte ein Kampagnenorganisator oder die spendenbegünstigte Person die Kampagne falsch oder irreführend dargestellt haben oder das Geld nicht für den vorgesehenen Zweck überweisen, verspricht GFM, Spendern bis zu 1000 Euro zurückzuerstatten.

Spenden: Die Kampagne „Vereint Papa und Tochter“ hat bislang 3440 von rund 60 000 Euro eingebracht.