Allerdings werden im Kreis so viele Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket bewilligt wie sonst nirgends im Land.

Rems-Murr - Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 6413 junge Menschen im Rems-Murr-Kreis haben Ende 2020 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II erhalten. Das sind fast neun Prozent der 73 600 Kreiseinwohner im Alter von bis zu 18 Jahren, die in Familien leben, die mit dem Existenzminimum auskommen müssen. Im Jahr zuvor waren es noch 6125 von 73 132, also rund 300 weniger. Für das Kreisjugendamt, aus dessen Jahresberichten diese Zahlen der Bundesagentur für Arbeit stammen, ist der Anteil der Empfänger von SGB-II-Leistungen „ein harter Indikator für Armut“.

 

Demnach nimmt Armut im Rems-Murr-Kreis vor allem bei Kindern und Jugendlichen weiter zu, wobei sich für die Städte und Gemeinden ein differenziertes Bild ergibt: Während Alfdorf, Althütte, Berglen, Kernen, Kirchberg an der Murr und Weinstadt mit Werten zwischen 3,5 und 5,3 Prozent die niedrigsten Quoten für unter 15-Jährige verzeichnen, gibt es zwei- bis dreifach höhere Werte in Murrhardt (12,1 Prozent), Backnang (12 Prozent), Sulzbach an der Murr (10,6 Prozent) und Fellbach (10 Prozent).

Auf Gemeindeebene liegen noch keine Daten vor

Warum das so ist, bleibt offen. Für die Allianz gegen Kinderarmut, zu der sich Jobcenter, Staatliches Schulamt, das Amt für Soziales und Teilhabe und das Kreisjugendamt im März 2019 formiert haben, antwortet Jobcenter-Geschäftsführer Gunnar Schwab, dass solche Daten auf Gemeindeebene erst erhoben werden müssten: „Hierzu liegen aktuell leider (noch) keine Erkenntnisse vor.“ Eine Armutsberichterstattung wie in den Kreisen Esslingen oder Göppingen wird es aber vorerst im Rems-Murr-Kreis nicht geben, erklärt dessen Sprecherin Leonie Graf. Erst in den nächsten Jahren werde die Sozialplanung im Kreis mit der Strategieentwicklung zur Armutsbekämpfung beginnen und den Aufbau eines Sozialmonitorings angehen. Das binde einiges an Zeit und personellen Ressourcen; Derzeit liege der Schwerpunkt in der Kreispflegeplanung.

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Gleichwohl setzt der Rems-Murr-Kreis beim Thema Armut auch Maßstäbe. Wenn sich am Donnerstag in der Christuskirche in Waiblingen wieder die Armutskonferenz trifft, geht es auch um die Benachteiligung von Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und ihren Familien vor allem im Bildungsbereich. Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung sind dabei ein wesentlicher Baustein, um dem entgegenzuwirken. Bei der Bewilligung dieser Leistungen erreicht der Rems-Murr-Kreis nach einer Übersicht des Paritätischen Gesamtverbands 61,5 Prozent der Berechtigten, das ist der mit großem Abstand beste Wert in Baden-Württemberg und reicht (Stand April 2020) bundesweit zu Platz 17. Deren Kreis geht über das SGB II hinaus und umfasst auch Haushalte mit Anspruch auf Wohngeld, Kinderzuschlag und Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz: 7187 Kinder erhielten 2019 Leistungen, darunter 5074 nach dem SGB II, im vergangenen Jahr waren es 7726 (5241).

Rund 40 Prozent der Berechtigten wird nicht erreicht

Unklar ist, ob, und wenn ja, wie sich jene knapp 40 Prozent der Leistungsberechtigten erreichen lassen, die bisher außen vor bleiben. Warum, weiß auch das Jobcenter nicht, Schwab vermutet aber Scham und Sprachbarrieren als Ursachen. Um solche Hürden zu überwinden, setzen die Initiative Kinderreich des Kinderschutzbunds Schorndorf/Waiblingen oder die Kinderstiftung Funke unter dem Dach der Caritas auf Projekte und auf einen „inklusiven Ansatz“, wie Anja Zeller erklärt, die Geschäftsführerin der Stiftung. Eben weil der Zugang zu manchen Familien schwierig sei, wird versucht, an Brennpunktschulen, in Kirchengemeinden, in Kindergärten und in Jugendhäusern ganze Gruppen zu gewinnen. Das einzelne Kind taucht so nicht als arm auf, erfährt aber von Chancen und Hilfe. 2148 Kinder hat die Kinderstiftung in den knapp drei Jahren ihres Bestehens erreicht.