Die Wünsche vor dem Corona-Gipfel sind groß. Welche Lockerung hält der Landrat Richard Sigel für richtig und wie schätzt er die Lage im Rems-Murr-Kreis ein?

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Rems-Murr-Kreis - Das Gespräch mit unserer Zeitung führt er vor beneidenswerter Strandkulisse. Richard Sigel ist den Vormittag über im Homeoffice, die Kinder seien erst einmal versorgt, wir können reden, sagt der Landrat im Videochat mit unserer Zeitung.

 

Schon das deutet an, dass von einem Ende der Coronakrise nicht die Rede sein kann, doch Richard Sigel sagt auch, dass diese speziell im Rems-Murr-Kreis bisher sehr gut bewältigt worden sei. Trotz allen Einschränkungen sei man in einer „vergleichsweise sehr guten Lage“. Dass es „nicht so dramatisch wie befürchtet“ gekommen sei, zeige sich unter anderem in den heimischen Kliniken: Lediglich 40 Patienten würden zurzeit im Zusammenhang mit Covid-19 behandelt, „nur“ sechs davon müssten beatmet werden. Auch die Entwicklung der Statistik zeige, dass die getroffenen Maßnahmen richtig gewesen seien.

Sigel: Jetzt nicht zu unvorsichtig werden

„Wir müssen jetzt allerdings aufpassen, dass wir nicht zu unvorsichtig werden“, sagt Sigel – auch mit Blick auf die an diesem Mittwoch anstehende Verständigungsrunde der Ministerpräsidenten. Ein „bunter Strauß an Lockerungsvorschlägen“ sei dort im Vorfeld geäußert worden. Nicht, dass man ihn missverstehe, auch er sei für Schritte in Richtung Normalität. Diese allerdings mit Bedacht und stetigem Blick auf die Entwicklung der Infektionszahlen. Er hoffe und erwarte indes, dass die Länder weiterhin geschlossen und nachvollziehbar agierten. Denn das sei enorm wichtig für die Akzeptanz.

Die hat der Landrat bei den Bürgern bisher in großem Maße erlebt. Etwa am Montag, als sich nach der Wiedereröffnung der Zulassungsstelle wegen der Abstandsregelung Schlangen bildeten, die bis auf die Straße hinausreichten. Die Kunden hätten das trotz Regens geduldig ertragen, weil ihnen plausibel gemacht worden sei, warum die Maßnahmen, wie auch das Tragen einer Maske, zurzeit wichtig seien.

Von der „großen“ Politik erwarte er nun Ähnliches: Plausible Ankündigungen, die von der Bevölkerung mitgetragen werden, von der Verwaltungsbasis aber auch umgesetzt werden könnten. Erst unlängst habe es beispielsweise die durchaus unterstützenswerte Ansage gegeben, dass Seniorenheime flächendeckend auf das Virus durchgetestet werden sollten – wer dafür die Rechnung begleichen müsse, sei hingegen lange nicht geregelt gewesen. „Wir brauchen vor Ort Lösungen, die auch praktisch umsetzbar sind“, sagt Sigel.

Wann dürfen die Kliniken wieder „hochgefahren“ werden?

Und finanzierbar. Als Aufsichtsratsvorsitzender der Rems-Murr-Kliniken wünscht sich der Landrat deshalb insbesondere Ansagen, wie und wann die Krankenhäuser wieder „hochgefahren“ werden dürfen. Menschen wieder für sogenannte elektive Eingriffe zu gewinnen, könne für jeden Einzelnen überlebenswichtig sein. Viele Menschen gingen aus Angst vor einer Corona-Infektion mittlerweile nicht mehr zu Vorsorgeuntersuchungen, Anzeichen von Herzproblemen würden ignoriert. „Wir müssen dazu beitragen, diese Ängste zu nehmen“, sagt Richard Sigel. Unter anderem wollen die Kliniken jetzt mit Schnelltestgeräten auf den Stationen für mehr gefühlte Sicherheit sorgen.

Allgemein sei die Krise auch als Chance zu begreifen, meint der Landrat. Auch seine Behörde habe in vielen Bereichen dazugelernt, löse einige Problemstellungen nun anders als bisher. Man sei dabei aber auch an Grenzen gestoßen – nicht nur in Sachen schneller Internetverbindungen. So hemmten beispielsweise auch Auflagen des Datenschutzes die gerade in diesen Zeiten so wichtige Jugendarbeit, weil die Sozialarbeiter ihre Klienten nicht über Kommunikationsmittel wie Whatsapp oder soziale Medien erreichen könnten. Die Corona-Pandemie sei ein guter Anlass, um „manches neu zu denken“, sagt der Landrat, „aber dabei immer möglichst positiv und nach vorne gerichtet“. Eines wünscht er sich indes wieder zurück: Die Zeit der Begegnung mit Freunden und der ganzen Familie – das würde Richard Sigel gerne gegen seine beneidenswerte Strandkulisse eintauschen.

Corona-Zahlen im Rems-Murr-Kreis

Absolut
1374 Personen sind zurzeit vom Waiblinger Gesundheitsamt als Corona-Infizierte identifiziert (Stand Dienstag). 975 Menschen sind aus der Quarantäne entlassen und gelten als „geheilt“, 345 befinden sich aktuell noch in Quarantäne. 54 Menschen mit einem positiven Corona-Befund sind im Rems-Murr-Kreis gestorben.

Entwicklung
In den vergangenen vier Tagen wurden im Schnitt je fünf Neuinfektionen gemeldet. In den Hochzeiten der Corona-Krise war die Ziffer mehr als zehn Mal so groß.