Um Moldawien an die Europäische Union zu binden, hat Brüssel auf bestechliche Eliten gesetzt. Das rächt sich nun.

Chisinau - Thank you Mister Putin“, sagt Ion Luca in seinem Weinladen. Durchs Fenster scheint die Sonne auf die Regale mit ausgesuchten moldawischen Weinen. „Ohne die russischen Embargos würde es mich nicht geben.“ Luca, 34, Kurzhaarschnitt, feiner Wollpullover mit V-Ausschnitt, könnte mit seinem edel eingerichteten Laden so auch in Berlin oder Paris sitzen. Aber vor dem Fenster liegt Chisinau, die Hauptstadt Moldawiens, das ärmste Land Europas, eingeklemmt zwischen Rumänien und der Ukraine. Draußen vor seinem Laden sieht es aus, als sei die Sowjetunion gerade erst untergegangen. Die Stromkabel hängen in dicken Bündeln über den holprigen, schmutzigen Fußgängerwegen, und renovierte Gebäude gibt es nur da, wo private Geschäftsleute investiert haben.

 

Einige Gehminuten von hier jedoch flattert vor dem Parlamentsgebäude die blau-gelb-rote Trikolore des Landes neben der blauen Europaflagge. Fast als wäre das Land schon Mitglied der EU. Doch Moldawien hat zwar 2014 ein Freihandelsabkommen mit der EU geschlossen, und seine Bürger dürfen ohne Visa in die EU reisen. Aber die Moldawier haben gerade einen Präsidenten gewählt, der sein Land weg von der EU und näher an Russland führen will.

Nur noch 37 Prozent wollen der EU beitreten

Pirkka Tapiola, ein erfahrener Diplomat, der in den vergangenen vier Jahren die EU in Moldawien vertreten hat, muss sich winden, um der Enttäuschung Ausdruck zu geben, die in Brüssel über das ehemalige Musterkind Moldawien herrscht. „Viele Reformen wurden verabschiedet, aber es mangelt an der Implementierung. Da gibt es viel zu tun“, sagt er schließlich.

Es waren schlechte vier Jahre für die EU. Vor einem Jahrzehnt, die Kommunisten waren noch an der Macht, wollten drei Viertel der Moldawier der EU beitreten. Heute, nach acht Jahren unter „proeuropäischen“ Regierungen, wollen das nur noch 37 Prozent. Schlimmer noch: 42 Prozent würden gerne der Eurasischen Wirtschaftsunion beitreten. Der Premierminister, dem Bundeskanzlerin Angela Merkel 2012 Unterstützung auf seinem Weg nach Europa zusprach, sitzt im Gefängnis, verurteilt zu neun Jahren Haft, weil er am Diebstahl von einer Milliarde Dollar aus dem Bankensystem beteiligt gewesen sein soll. Europa hat zu lange jenen Eliten vertraut, die sich proeuropäisch gaben, sich aber als korrupt und machtbesessen herausstellten.

Den katastrophalen Wein wollte niemand haben

Kein Zweifel, die EU hat Moldawien Möglichkeiten geboten, sich zum Positiven zu verändern. Ion Luca beispielsweise, ein Selfmademan wie aus dem Bilderbuch. Im Jahr 2006 heuerte er auf einem Weingut am Bodensee an, um zu lernen, wie das geht: Wein produzieren, der sich auch in Europa verkaufen lässt. 2006, das war kein Zufall. Russland erließ das erste Embargo gegen Moldawien, weil Wladimir Putin verärgert war über den Kurs der damaligen Regierung. Deren Mitglieder nannten sich zwar Kommunisten, dienten sich aber dem Westen an, um den russischen Einfluss auszubalancieren. Moskau versuchte, mit dem Embargo gegen Wein, Obst und Gemüse die politische Führung zur Umkehr zu zwingen. Aber der Schuss ging nach hinten los. 2009 vertrieb die Koalition „Für eine europäische Integration“ die Kommunisten von der Macht.

Junge Unternehmer wie Ion Luca trieb das Embargo zu der Überzeugung, dass mit Russland kein Staat zu machen ist. Bis 2006 produzierte Moldawien, das mehr Weinberge als Deutschland hat, vor allem halbsüße Weine von eher minderer Qualität für den postsowjetischen Markt. „Aber 2006 mussten wir uns eingestehen, dass unser Wein katastrophal ist, dass ihn sonst niemand in der Welt braucht“, sagt Luca. Auch die großen staatlichen Winzerbetriebe begannen, andere Rebsorten anzubauen, moderne Technik zu kaufen, trockene Weine zu produzieren.

Ein Land ohne Wirtschaft

Neben dem russischen Embargo gab die Öffnung des europäischen Marktes den Unternehmen des Landes Impulse, die Produktion zu modernisieren. Für die meisten hat es sich gelohnt. Luca verkauft zwei Drittel seiner 50 000 Flaschen nach Rumänien, Österreich, Polen, in die Ukraine und nach Japan. Gerade den asiatischen Markt hat auch der legendäre Staatsbetrieb Cricova erschlossen: 500 000 seiner acht Millionen Flaschen gehen inzwischen nach Japan und China.

Betrachtet man die nackten Zahlen, geht es aufwärts in Moldawien: Das Bruttoinlandsprodukt ist von weniger als 1000 Dollar pro Kopf zur Jahrtausendwende auf fast 2000 Dollar gewachsen. Überall im Land eröffneten in den vergangenen Jahren Fabriken. Dutzende westliche Autozulieferer haben sich angesiedelt. Das Durchschnittseinkommen wächst beständig und liegt heute bei knapp 250 Euro. Aber die gefühlte Wirklichkeit der Moldawier ist eine andere. Egal, wen man fragt: Viele haben dem Land den Rücken gekehrt, zuletzt auch die 30- bis 40-Jährigen. Die einen gehen nach Russland, die anderen nach Rumänien, Italien oder Deutschland. „Wir werden zu einem Land ohne Wirtschaft, bevölkert von Rentnern“, sagt die Oppositionelle Maia Sandu.

Ein Geschäftsmann kontrolliert die Institutionen

Die Parteien der „proeuropäischen“ Koalition überzogen sich seit Anfang 2013 mit Korruptionsvorwürfen. Übrig geblieben ist einer, der das Land und seine staatlichen Institutionen weitgehend kontrolliert. Vlad Plahotniuc, 51, ist der reichste Geschäftsmann des Landes. Ihm gehören Hotels, Fernsehsender und Versicherungen, und seit dem vergangenen Jahr, so kann man es wohl sagen, gehört ihm auch die Demokratische Partei, zu deren Vorsitzenden er sich wählen ließ. Im Parlament hat sich diese Partei, die bei den letzten Wahlen nur 19 Sitze erringen konnte, inzwischen auf 40 vergrößert und stellt die Regierung. Wladimir Solowjow, Chefredakteur des unabhängigen Portals „Newsmaker“, weiß, warum: „Den Abgeordneten werden einfach Geld oder Posten angeboten.“

Gleichzeitig kehrte Russland zurück in die Arena: Im November wählten die Moldawier mit Igor Dodon einen Präsidenten, der sein Land in die Eurasische Wirtschaftsunion führen will. Seine erste Auslandsreise führte ihn nach Moskau, wo er Putin einen edlen Tropfen aus den berühmten Weinkellern von Cricova überreichte. Wenige Wochen später durften Cricova und die meisten anderen Produzenten wieder nach Russland liefern.

Putin lockt mit günstigen Gaspreisen

Moskau lockt die Moldawier mit günstigen Gaspreisen und auch mit einer Lösung des Konfliktes um Transnistrien, jenem abtrünnigen Landesteil, wo immer noch russische Soldaten stationiert sind. Putins Strategie ist offensichtlich: Hier, vor der Haustür der Ukraine, würde er gerne beweisen, dass es sich lohnt, mit Russland zu kooperieren. Und das alles, obwohl der Westen seit 2009 Milliarden Euro in dieses Land investiert hat. „Die EU war zu lange in ihre Erzählung von der Erfolgsgeschichte Moldawien verliebt“, sagt Maia Sandu. Die 44-Jährige hat in Harvard Ökonomie studiert und war bis 2015 Bildungsministerin des Landes. Aber sie gilt als integer. Im vergangenen Jahr unterlag sie nur knapp in der Stichwahl dem heutigen Präsidenten Igor Dodon. Sandu will den Kampf aufnehmen und bei den nächsten Parlamentswahlen mit einer neuen politischen Kraft die Macht des Oligarchen brechen. Aber so langsam läuft ihr die Zeit davon. „Wir haben ein Zeitfenster von drei oder vier Jahren, bevor wir die kritische Masse verlieren“, sagt sie, „die Menschen, die an die Demokratie glauben, verlassen das Land und kommen nicht mehr.“