Seit einem Jahr sind in Stuttgart Respektlotsen unterwegs – ausgelöst durch die Gewaltexzesse in der Krawallnacht. Die jungen Frauen und Männer wollen Jugendliche dazu motivieren, Rücksicht zu nehmen.

S-Nord - Die Gewaltexzesse von Jugendlichen in der Stuttgarter Krawallnacht waren der Auslöser: „Jetzt können wir nicht mehr warten, sondern müssen was tun“, sagt Kevin Gurka. Er ist Koordinator des Projekts „Respektlotsen“, das bei der Abteilung Integrationspolitik der Stadt und der Kriminalprävention angesiedelt ist. Die Respektlotsen, das sind rund 20 junge Männer und Frauen zwischen 18 und 30 Jahren, viele mit Migrationshintergrund. Seit August 2020 suchen sie in ihren blauen T-Shirts in Zweier- und Dreiergruppen Hotspots wie Feuersee, Höhenpark Killesberg oder Max-Eyth-See auf und sprechen dort Jugendliche an. Unterwegs sind sie an den Wochenenden von 16 bis 20 Uhr. „Später sind viele nicht mehr ansprechbar. Da ist schon zu viel Alkohol geflossen. Und wir suchen ja das Gespräch mit den Jugendlichen“, sagt Kevin Gurka. Und die Gespräche dauern durchschnittlich gut 15 Minuten.

 

Leute schreien in der Bahn rum, telefonieren laut, trinken Alkohol

An diesem Tag sind Kevin Gurka, Franky Koungang (24) aus Kamerun und Abdelrahman Mekki (29) aus dem Sudan im Höhenpark als Team unterwegs. „Was bedeutet für euch Respekt“, fragt Gurka zwei junge Männer (24 und 26) aus Algerien, nachdem sich das Trio vorgestellt hat. „Das bedeutet, niemanden zu beleidigen. Wir sind Muslime, andere zu respektieren, gehört für uns zur Kultur“, sagt der 24-Jährige. In den Stadt- und S-Bahnen erlebe er häufig Respektlosigkeit. „Die Leute schreien in der Bahn rum, telefonieren laut, trinken Alkohol. Das ist rücksichtslos. Aber wir sind nicht alle so“, sagt er. Respektvolles Verhalten: Das war auch für ihn nicht immer ganz selbstverständlich. Im Laufe des Gesprächs gesteht er, dass er als 17-Jähriger zwei Anzeigen wegen Körperverletzung kassiert hat und ein Antiaggressionstraining machen musste. „Da hab ich viel gelernt“, stellt er fest. „Und was würdest Du tun, wenn dich jemand beleidigt“, fragt ihn Franky Koungang. „Ich würde weiter gehen“, sagt der 24-Jährige.

Arbeitslosigkeit ist ein wiederkehrendes Thema

Das Gespräch: Es wird zum Teil auf Arabisch geführt. Dem 24-jährigen Algerier, erfährt Abdelrahman Mekki, droht die Abschiebung, falls er keinen Ausbildungsplatz findet. Gurka bietet an, ihm bei der Bewerbung zu helfen und setzt noch eins drauf: Wenn er wolle, könne er ehrenamtlich bei den Respektlotsen mitmachen – für zehn Euro pro Stunde als Aufwandsentschädigung. Der 24-Jährige will über das Angebot nachdenken. Gurka sieht bei ihm „viel Potenzial“. „Er spricht perfekt Deutsch, Arabisch und Französisch.“ Arbeitslosigkeit sei bei den Gesprächen mit Jugendlichen aber auch mit Erwachsenen ein ständig wiederkehrendes Thema“, stellt Werner Mast fest. Der 62-jährige Ex-Polizist ist der älteste im Team – und auf Grund seiner Erfahrung immer dann gefragt, wenn es brenzlig wird. Außerdem hat Mast gute Kontakte zu Organisationen der Jugendarbeit und Jugendhilfe. „Wir wollen den jungen Menschen ja auch Perspektiven bieten und dazu muss man sie an die Hand nehmen und an die richtigen Stellen vermitteln“, sagt er.

Die meisten Jugendlichen lassen sich gern auf ein Gespräch ein

Franky Koungang erzählt, dass es in seiner Heimat Kamerun nicht selbstverständlich ist, Müll zu entsorgen und die Unterhaltungen wesentlich lauter seien als in Europa. „Es ist wichtig, Menschen, die in anderen Kulturkreisen aufgewachsen sind, dafür zu sensibilisieren, dass in Deutschland andere Normen gelten.“ Abdelrahman Mekki ist Operationsmanager und als Student nach Stuttgart gekommen. Für ihn sind die Gespräche mit den Jugendlichen ein Ausgleich zu seinem Beruf und machen ihm Spaß: „Und wenn wir zu dem einen oder anderen Jugendlichen durchdringen, haben wir etwas bewirkt.“

Die Erfahrung aller Respektlotsen: Die meisten Jugendlichen, die sie ansprechen, lassen sich gern auf ein Gespräch ein.