Vor zwölf Tagen verschwand der kleine Julen, die Bergungsarbeiten ziehen sich – mittlerweile trennen nur noch wenige Zentimeter die Retter von dem Brunnenschacht. Aber es gibt neue Probleme

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Malaga - Kurz vor der möglichen Bergung des seit zwölf Tagen in einem tiefen Brunnenschacht in Spanien verschollenen Julen sind die Einsatzkräfte am Freitagabend auf neue Probleme gestoßen. Bei der Grabung eines Tunnels zu der Stelle, an der der zweijährige Junge vermutet wird, seien Bergarbeiter wenige Zentimeter vor dem Ziel erneut auf extrem hartes Gestein gestoßen, sagte Polizeisprecher Jorge Martín vor Journalisten. Es sei eine weitere Mikrosprengung nötig, die extrem präzise sein müsse, da man dem Kind möglicherweise sehr nah sei, so der Sprecher.

 

„Dieses Thema gibt für weitere Spekulationen nichts mehr her. Jetzt heißt es darauf warten, dass sie den Körper finden, und die Autopsie sehen“, schrieb am Donnerstagabend kurz vor Mitternacht ein offenbar müdes Mitglied des Netzforums Tabloide.es. Während Ingenieure, Bergmänner, Polizisten und Feuerwehrleute Tag um Tag und Stunde um Stunde daran arbeiteten, zum kleinen Julen in der Tiefe eines Bohrlochs in der Nähe von Málaga vorzustoßen, versuchten sich andere Menschen aus der Ferne einen Reim auf die unglaubliche Geschichte des verschwundenen Jungen zu machen. Was Beobachter und Helfer einte, war der dringende Wunsch, dass das Drama endlich ein Ende haben möge. An diesem Freitagabend sollte es so weit sein. Oder am Samstagmorgen. Oder später. Nichts für Ungeduldige.

Höchste Vorsicht gilt in jedem Moment

„Die Arbeiten zur Rettung des kleinen Julen sind in ihre entscheidende Phase eingetreten“, berichtet der Fernsehsender Telecinco am späten Donnerstagabend. Noch immer wird in den klassischen Medien von der „Rettung“ des zweieinhalbjährigen Jungen gesprochen, als gäbe es zwölf Tage nach seinem mutmaßlichen Sturz in ein Bohrloch weiter Hoffnung auf sein Überleben.

Gerade weil niemand diese Hoffnung von vornherein aufgeben wollte, hat sich die Suchaktion nach Julen so elend in die Länge gezogen. Höchste Vorsicht, in jedem Moment, bis zum Schluss. Um dem Jungen nicht versehentlich Schaden zuzufügen. Schließlich aber auch, um nicht Leben und Gesundheit der Suchmannschaft aufs Spiel zu setzen. „Wir garantieren die Sicherheit unter allen Umständen“, sagt der Chef der Feuerwehr der Provinz Málaga, Julián Moreno, „alle Möglichkeiten sind analysiert.“ Alles zieht sich: wegen überraschend auftauchender Probleme, wegen der großen Vorsicht bei der Arbeit, wahrscheinlich auch wegen einzelner Fehlentscheidungen. Am Donnerstagmorgen ist endlich der parallel zum Bohrloch in die Erde getriebene Rettungsschacht fertig und mit Metallrohren ausgekleidet.

Rettungskräfte müssen mit Sprengungen nachhelfen

Den ganzen Tag über berichten die spanischen Medien, dass nun endlich die Bergleute in diesen Schacht hinabgelassen würden, in einem Metallkorb mit nur 1,05 Meter Durchmesser, dass nun endlich „die entscheidende Phase“ beginne: der Durchbruch eines Tunnels hinüber zum Bohrloch, in 73 Meter Tiefe. Es ist fast 19 Uhr, als zwei Bergleute dann wirklich in den Metallkorb steigen. Jetzt soll es noch 24 Stunden dauern. Aber nein: Das Gestein ist hart, die Arbeit schwierig, die Männer kommen langsam voran, sie arbeiten auf engstem Raum, alle halbe Stunde werden sie abgelöst, bis zum Freitagmittag müssen sie dreimal mit kleinen Sprengungen nachhelfen, das zieht die Arbeiten weiter in die Länge.

Die Spannung tut niemandem gut. Die Regierungspräsidentin von Málaga, María Gámez, spricht von einer „lobenswerten kollektiven Arbeit“, aber manche können in dieses Lob nicht einstimmen. Sie fühlen sich schlecht informiert: Wenn doch alle ihr Bestes geben, warum dauert es dann so lange, Julen zu finden?

Die Umstände dieser Geschichte sind ideal für das Erblühen noch verrückterer Geschichten: Der Vater Julens sei in Wirklichkeit ein Drogenhändler, der in dem Bohrloch seine Ware verstecke. Das geht per Whatsapp durchs Land. Die Guardia Civil twittert: „Die TontosDelBulo [IdiotenDesGerüchts] haben sich selbst übertroffen mit ihren unglaubwürdigen und verleumderischen Texten. Nicht glauben. Nicht weiterverbreiten.“ Es wird natürlich doch geglaubt und verbreitet.

Die Spekulationen werden erst aufhören, wenn Julen gefunden ist

Solange Julen nicht auftaucht, ist es leicht, daran zu zweifeln, dass er überhaupt in dieses Loch gefallen ist. Es misst im Durchmesser keine 25 Zentimeter, kaum zu glauben, dass Julen da reinpasst. Die einzigen Spuren von ihm in dem Loch sind eine Chipstüte und vorgeblich ein Haar. Sehr vernünftige Leute wie der Geologie-Professor Juan Ramón Vidal von der Universität A Coruña haben Schwierigkeiten damit, sich den Verschluss des Bohrlochs in gut 70 Meter Tiefe zu erklären. Er halte es für „wenig wahrscheinlich“, sagt Vidal in einem Fernsehinterview, dass der Sand über dem Jungen nachgerutscht sei und sich danach in kurzer Zeit so verdichtet habe, wie er es nun offensichtlich ist. Mehr Fragen als Antworten. Kein Wunder, dass so viele Menschen den Whatsapp-Gerüchten glauben: „Unter dem Verschluss aus Sand gibt es nur Fels. Das heißt: nichts.“

Die Spekulationen werden erst aufhören, wenn Julen gefunden ist. Seine Eltern beten. Ein protestantischer Prediger, Juan José Cortés, der vor gut zehn Jahren selbst eine Tochter durch Mord verlor, hat sich zum Sprecher der Familie gemacht. Das bringt ihm und der Familie viel Spott ein, weil Cortés auch politische Ambitionen hegt. Aus dem Drama ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten geworden. Am Freitag um 15 Uhr haben die Bergleute noch 1,50 Meter bis zum Durchbruch zum Bohrloch vor sich. Die letzten Meter bis zur Wahrheit.