Eine durch Spenden finanzierte Hilfsarmada auf dem Mittelmeer löst die Probleme der europäischen Migrationspolitik nicht. Dazu bedarf es mehr als ein paar Rettungsboote. Barmherzigkeit ist eine respektable Tugend, kann aber nicht alleiniger Maßstab staatlichen Handelns sein, meint StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Ausgerechnet der Erfinder einer Obergrenze für Flüchtlinge, Bundesinnenminister Horst Seehofer, macht sich zum Schutzpatron privater Rettungsaktionen auf dem Mittelmeer. In einem Brief an seinen italienischen Amtskollegen Matteo Salvini fordert er diesen auf, die Hafenblockade für schiffbrüchige Flüchtlinge und deren Helfer zu beenden. Man mag Seehofer für scheinheilig halten, doch er hat recht – aber Salvini glaubt das ebenso. Zwei Drittel der Italiener finden seine Abschottungspolitik gut, auch wenn der Papst dagegen predigt. Der deutsche Innenminister wiederum weiß die Moral auf seiner Seite – und den Beifall eines Großteils des hiesigen Publikums.

 

Barmherzigkeit ist eine respektable Tugend. Regierungen wären jedoch schlecht beraten, wenn sie sich allein davon leiten ließen. Mit Barmherzigkeit lassen sich riskante Rettungsmanöver rechtfertigen und Spenden gewinnen, aber keine Staaten führen – schon gar nicht komplexe Staatenbündnisse mit konkurrierenden Partikularinteressen, wie es die Europäische Union ist. Deshalb kann die EU den Transfer schiffbrüchiger Flüchtlinge übers Mittelmeer auch nicht ausschließlich den Agenten der Barmherzigkeit überlassen. Das Flüchtlingsdrama ist mit noch so vielen privaten Rettungsschiffen nicht zu bewältigen, selbst wenn auch die Kirchen noch einen Hilfskreuzer schicken, wie unlängst diskutiert.

Die Hintergründe des organisierten Schiffbruchs auf dem Mittelmeer bleiben unterbelichtet

Selbstverständlich ist es eine unabdingbare Pflicht, Menschen vor dem Ertrinken zu retten – auch wenn die sich auf fragwürdige Weise selbst in Seenot bringen, weil sie ungeachtet aller Risiken einer Schleuserpassage übers Mittelmeer in Europa ihr Glück machen wollen. Es gibt jedenfalls keine Pflicht und auch nicht die Möglichkeit, alle hier aufzunehmen. Für Leute wie die Kapitänin Carola Rackete ist die Mission erfüllt, wenn sie mit ihren Passagieren einen rettenden Hafen erreicht und diese einen Asylantrag gestellt haben. Die Probleme der europäischen Migrationspolitik beginnen dann erst. Sie lassen sich auch nicht dadurch umgehen, dass viele deutsche Städte bereit wären, solche Boat People aufzunehmen. Für deren Unterhalt und Sicherheit sowie für die Kosten einer eventuell anstehenden Rückreise müssten nicht die Stadtkämmerer, sondern der Bund aufkommen – letztlich also die Steuerzahler.

Rackete und andere Piraten der guten Absicht werden bei uns als Helden gefeiert. Deutschland ist damit aber ziemlich isoliert. Unterbelichtet bleibt häufig auch, was solche Rettungsaktionen erst notwendig macht: das zynische Geschäft der Menschenhändler. Die Hilfsarmada von Sea Watch & Co ist längst Teil ihres Kalküls. Leider übertönt die Aufregung über eine Kriminalisierung der Helfer die Empörung über diese Art der organisierten Kriminalität, mit der sich inzwischen mehr Geld als mit Drogen und Waffen verdienen lässt. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Ärmsten der Armen sich die Dienste dieser Schleuser überhaupt nicht leisten können. Insofern erscheint es zweifelhaft, die Migration via Mittelmeer pauschal als Flucht zu bezeichnen.

Eine verantwortliche Asylpolitik verlangt mehr als Rettungsringe

Trotz allem können zivilisierte Staaten diese Menschen nicht ihrem Schicksal überlassen. Wenn die EU als Ganzes mit der Seenotrettung überfordert ist, so sollte sich eine Koalition der Willigen finden, um die Misere des kalkulierten Schiffbruchs zu beenden. Im Augenblick geht es dabei um eine Herausforderung von sehr begrenzter Dimension. 27 000 Afrikaner sind heuer übers Mittelmeer nach Europa gelangt. 2018 waren es fünfmal so viele, 2015 mehr als eine Million. Eine verantwortliche Asylpolitik verlangt aber mehr als Rettungsringe. Sie darf der Schleusermafia nicht die Geschäfte erleichtern und muss die Belastungsgrenzen der heimischen Gesellschaft im Blick behalten.