Rheuma trifft nicht nur ältere Menschen, sondern auch jüngere Erwachsene und sogar Kinder. Wie den ganz jungen Betroffenen geholfen werden kann, darüber diskutieren Experten bis zum Samstag beim Rheuma-Jahreskongress in Stuttgart.

Stuttgart - It’s teatime im Olgahospital. Die kleine Sophie lädt zu einem Picknick im Bett ein. Das knallrote Puppen-Teeservice hat die Oma der knapp Dreijährigen mitgegeben, damit es nicht so langweilig wird in der Zeit zwischen den Untersuchungen. Die Ärzte versuchen gerade herauszufinden, warum die Therapie bei dem Mädchen nicht so anspringt wie erhofft: Warum die Knöchel wieder angeschwollen sind, dazu das Knie und die kleinen Fingergelenke. Auch in der Halswirbelsäule sind Entzündungsherde und im Kiefergelenk. „Wir hatten gehofft, dass es besser wird“, sagt die Mutter und streicht Sophie über die blonden Locken. Jetzt müssen die Medikamente neu eingestellt werden.

 

Kinderrheuma ist nicht gleich Kinderrheuma, sagt Anton Hospach, Leiter des Stuttgarter Kinderrheumazentrums, eines der vier größten Zentren bundesweit. Hospach ist als Vertreter der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie auch einer der Tagungspräsidenten beim Jahreskongress der Rheumatologen in Stuttgart, bei dem sich die Experten mit den verschiedenen Typen und Unterformen der rheumatischen Erkrankung befassen – wie entzündliche Gelenk-, Gefäß- und Bindegewebskrankheiten. Ursächlich sind stets Reaktionen des Immunsystems.Sophie ist von der häufigsten rheumatischen Erkrankung betroffen: der sogenannten juvenilen idiopathischen Arthritis, kurz JIA genannt. Das eigene Immunsystem richtet sich gegen die eigentlich gesunde Gelenkinnenhaut. Diese verdickt und entzündet sich. Infolgedessen kann sich der Gelenkknorpel zurückbilden.

Symptome werden nicht immer gleich erkannt

Kinderrheuma ist häufiger, als viele denken: Die Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR) geht von bis zu 15 000 betroffenen Kindern bundesweit aus, schätzungsweise jedes tausendste Kind ist betroffen. Die Zahl liegt womöglich noch höher: „Rheuma hat viele Gesichter“, sagt Hospach. „Und nicht immer werden die Symptome gleich erkannt.“ Das Gros seiner Patienten sind Kleinkinder. In diesem Alter fällt es Eltern nicht gleich auf, dass die Kleinen eine Schonhaltung einnehmen oder dass die Gelenke weniger beweglich sind.

Als Sophie vor einem knappen Jahr nicht mehr laufen wollte, schöpfte die Mutter zunächst keinen Verdacht, dabei hatte sie selbst als Kind einige Rheumaschübe gehabt. „Aber weil die Krankheit nicht vererbt werden kann, schloss ich diese als Grund aus.“ Die Kinderärztin dagegen überwies Sophie ins Klinikum Stuttgart.

Oft dauert es mehrere Monate, bis Kinder nach den ersten Symptomen beim Rheumatologen sind. Zu lang, sagen Experten: Wird die Krankheit in den ersten fünf Jahren nach dem Ausbruch nicht gestoppt, nimmt die Chance auf ein beschwerdefreies Leben ab. So empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie, bei Schwellungen und Schmerzen an den Gelenken nach spätestens sechs Wochen einen Rheumatologen aufzusuchen.

Neue Behandlungsmethode mit Biologika

Therapiert wird Rheuma häufig mit Methotrexat, kurz MTX, einem Immunsuppressivum aus der Krebsmedizin. Es bändigte das überaktive Immunsystem so effizient, dass die Gelenkentzündung gestoppt werden kann. Kombiniert wird das Medikament mit niedrig dosiertem Cortison.

Kinder, die an aggressiverem Rheuma leiden, wie Sophie, werden mit sogenannten Biologika behandelt. Das sind gentechnisch hergestellte Eiweißstoffe, die in das Immunsystem des Patienten eingreifen und gezielt bestimmte entzündungsfördernde Substanzen im Körper abfangen oder blockieren. „Diese Mittel sind eine Revolution in der Rheumamedizin“, sagt Hospach. „Bei bis zu 90 Prozent der Kinder, die mit den neuen Behandlungskonzepten therapiert werden, gelingt es, die Krankheit so zu stoppen und die Beschwerden so weit zurückzudrängen, dass sie eine fast ganz normale Kindheit haben können.“

Frei von Nebenwirkungen ist eine solche Therapie nicht. So haben Patienten ein höheres Infektrisiko. Dass die Medikamente allerdings auch bösartige Erkrankungen bei Kindern begünstigen, kann Hospach nicht bestätigen. „Die bisherigen Studien ergeben keinen wissenschaftlichen Beweis für einen solchen Zusammenhang.“

Weitere Studien sind nötig

Eine aktuelle Studie zeigt jedoch, wie die zunehmend frühere und intensivere medikamentöse Therapie auch die Langzeitprognose der Patienten verändert. 1200 an JIA erkrankte Kinder und Jugendliche, die alle mit Biologika behandelt wurden, hat das Rheumaforschungszentrum für junge Erwachsene in Berlin jahrelang begleitet. Dabei zeigte sich, dass nur noch jeder Dritte im Erwachsenenalter über ein Aufflammen der Krankheit klagte oder sich aufgrund einer Gelenksteifigkeit eingeschränkt fühlte. Vor zehn Jahren trug noch jedes zweite Rheumakind die Symptome der chronischen Erkrankung ins Erwachsenenalter mit. Auch Begleiterkrankungen wie die rheumatische Augenentzündung Uveitis und Wachstumsstörungen werden seltener. Gleichzeitig verringert sich die Zahl der Gelenkimplantationen, auf die Betroffene teils schon im Alter von Mitte 20 angewiesen waren. Dennoch fordern Kinderrheumatologen wie Hospachs Kollege Klaus Tenbrock vom Uniklinikum Aachen noch mehr Studien. „Es wäre wichtig, die Therapiewirkung der unterschiedlichen Biologika zu vergleichen, um eventuell Standardformen herauszuarbeiten“, sagt Tenbrock. Um Geld für solche Studien einzusammeln, hat der Rheumatologe mit Kollegen anlässlich der Jahrestagung eine Benefizradtour nach Stuttgart organisiert.

Neuer Medikamentenplan für Sophie

Für Sophie wurde inzwischen ein neuer Medikamentenplan aufgestellt. Doch Sophies Mutter glaubt daran, dass ihre Tochter irgendwann ein beschwerdefreies Leben haben wird: „Bei mir hat es auch geklappt.“ Diese Erfahrung trägt sie durch die vergangenen Monate, die nicht einfach für die Familie waren: die ständigen Krankenhausaufenthalte, dazu Sophies vollgestopfter Wochenplan – mit Krankengymnastik, Ergotherapie und Sport. „Mit einem chronisch kranken Kind braucht es ein sehr verständnisvolles Umfeld“, sagt Sophies Mutter. Und viel Geduld: Denn wenn ein Kind in seinem Bewegungsdrang so ausgebremst wird wie durch diese Krankheit, schlägt das aufs Gemüt. Dann wird Sophie mitunter so wütend, dass sie schreien muss. An diesem Tag jedoch nimmt das Mädchen den Untersuchungsmarathon gelassen. „Hier“, sagt sie. Und serviert ein zweites Tässchen Tee.