Über sein Leben auf der Straße schrieb Richard Brox einen Bestseller. Mit den Einnahmen will er ein Hospiz aufbauen. Gut ein Jahr später rückt der Traum näher. Doch es gibt auch Schattenseiten des Erfolgs.

Ludwigshafen - Im klirrenden Frost obdachlos auf der Straße zu leben - Richard Brox weiß, wie brutal hart und gefährlich das ist. „Es ist eine Schande, dass es im reichen Deutschland immer noch Kältetote gibt“, sagt der gebürtige Mannheimer und schüttelt den Kopf. 30 Jahre lang hatte er keinen festen Wohnsitz. Dann schrieb er ein Buch darüber, es wurde ein Bestseller. „Kein Dach über dem Leben“ verkaufte sich mehr als 30 000 Mal. Reich hat es ihn nicht gemacht. „Ich lebe vom Leergut sammeln und vom Betteln“, sagt der 54-Jährige.

 

Brox hat einen Traum: eine hospizähnliche Wohngemeinschaft für Wohnungslose, die bisher einsam an Krebs oder Aids auf der Straße oder in einer Klinik sterben. „Diese Menschen will ich auf ihrem letzten Weg begleiten“, sagt er. Fast die kompletten Einnahmen aus dem Buch lässt er für seinen Plan ansparen. Seit Erscheinen der Biografie im Jahr 2017 geht das so, jetzt rückt der große Moment näher. „Spätestens im Frühjahr 2020 soll es soweit sein“, erzählt er.

Gemeinsam mit Mitstreitern, etwa dem Journalisten Günter Wallraff, sucht er eine Wohnung in Köln. „Der Zugang und das Bad in einer kleinen Wohngemeinschaft müssen behindertengerecht sein. Es geht um eine menschenwürdige Lebensmöglichkeit mit fachmännischer Betreuung.“ Er selbst sei bereit, als Leiter viel Verantwortung zu übernehmen.

Jahrzehnte in Obdachlosenheimen

Natürlich gebe es kritische Fragen, ob das Geld auch ankomme, erzählt Brox am Rande eines Termins in Ludwigshafen. „Ich arbeite ganz offiziell mit dem Verein „Kunst hilft geben“ zusammen. Und ich habe in meinem Blog einen Beleg über 2000 Euro von den Tantiemen veröffentlicht, um Fragende zu beruhigen.“

Er selbst lebt seit kurzem in einer kleinen Wohnung in Köln, nach Jahrzehnten in Obdachlosenheimen. „Es hat sich dort zuletzt viel verbessert in Deutschland. Vor allem die Heilsarmee ist zu nennen, die sind wirklich Vorreiter. Es gibt aber immer noch hammerharte Einrichtungen, in denen Mord und Totschlag regieren.“ Lobende Worte findet er etwa für Heime in Kaiserslautern, Heidelberg und Kassel.

Das Buch hat vieles verändert, auch für Brox. In der „Streunerszene“ ist er nicht mehr Gleicher unter Gleichen. „Ich habe in Unterkünften nicht nur einmal die Erfahrung gemacht, dass ich erkannt worden bin, und die erste Frage war: Du bist doch der Bestsellerautor, spendier mal nen Kasten Bier“, erzählt der stämmige Mann mit bitterem Unterton. „Ich finanziere aber keine Sucht. Wenn jemand in Not ist, ist es etwas anderes.“ Nach Jahrzehnten auf der Straße hat Brox auch unter Nichtsesshaften keine echte Heimat mehr, scheint es.

Lesungen in Kirchen und JVA

Sein Buch ist eine schnörkellose Abrechnung mit sich selbst und schonungslos offen gegenüber der Szene. „In all den Jahren habe ich nicht einen Obdachlosen getroffen, der mich nicht angelogen hat. Um auf der Straße anerkannt zu sein, musst du irgendeine haarsträubende Geschichte erzählen.“ Brox selbst erfand das Märchen, dass seine Eltern beim Flugschau-Unglück in Ramstein 1988 getötet wurden. Das sollte Eindruck machen. „Irgendwann haben mich diese Lügen angewidert.“ Es war der Moment, an dem sich sein Leben änderte.

Heute hält er Lesungen in Kirchen und JVA und schildert in Interviews sein Leben. Und er diskutiert in Bibliotheken über Mindestlohn, Hartz IV und Grundeinkommen. „Ich glaube nicht, dass mich die Menschen, die nach den Gesprächen in ihre warmen Wohnungen zurückkehren, nur als erfrischendes Element in ihrer Wohlstandswelt sehen“, sagt Brox. Er spüre bei den meisten Zuhörern ein ehrliches Interesse.

Sein Buch ist mittlerweile offiziell in die Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) in Bonn aufgenommen worden - als Beispiel für den Mut eines Menschen, der sich einen Platz in der Gesellschaft sucht. „Ich bin froh und dankbar, gehört zu werden. Viele fragen nach einer Lesung, wie sie Obdachlosen helfen können“, erzählt er. „Nach den schlechten Erfahrungen im Leben habe ich mit diesem Zuspruch nicht mehr gerechnet.“