Der frischgebackene Ringen-Europameister Frank Stäbler spricht über die Feier nach seinem Titel, die Tortur des Abnehmens und den Traum von einer Medaille in Tokio.

Rom - Frank Stäbler hat drei WM- und zwei EM-Titel gewonnen, nur bei Olympischen Spielen stand er noch nicht auf dem Treppchen. Um dies zu schaffen, nimmt er große Entbehrungen auf sich.

 

Herr Stäbler, Sie haben im Vorfeld der Ringer-EM in Rom angekündigt, unbedingt ein Sieger-Foto vor dem Kolosseum machen zu wollen. Mit der Goldmedaille hat es geklappt, mit dem Foto auch?

Ja. Es ist im Kasten.

Welchen Erinnerungswert hat das Selfie?

Einen ziemlich großen. Ich bin wahnsinnig glücklich und dankbar, dass ich nochmals einen solchen Titelgewinn erleben durfte. Auch wenn mich die Europameisterschaft ganz schön geschlaucht hat.

Inwiefern?

Zum einen körperlich. Ich bin richtig im Eimer, körperlich ein Wrack. Es fühlt sich an, als hätte ich in jeder Zelle Muskelkater.

Und zum anderen?

Nun ja, wir haben ganz schön gefeiert.

Erzählen Sie.

Ich hatte während der Kämpfe einen großen Fanblock hinter mir, allein aus meiner Familie und meinem Freundeskreis sind mehr als 50 Leute nach Rom gereist. Nach der Siegerehrung haben wir in einem kleinen italienischen Lokal in der Nähe unseres Mannschaftshotels gefeiert – bis morgens um halb fünf. Mir brummt immer noch ein bisschen der Schädel.

Dank welchen Lieblingsgetränks?

Ich habe den klassischen Fehler gemacht, alles zu trinken, was mir angeboten wurde. Aber das gehört nach so einem Erfolg eben auch mal dazu.

Vor der EM sagten Sie, voll im Saft zu stehen. War Ihre Form wirklich so gut?

Ja. Ich bin super drauf gewesen, was alles andere als selbstverständlich war. Im November und Dezember hatte ich öfter mit Krankheiten zu kämpfen, bin danach aber in sechs Wochen richtig durchgestartet – von Null auf Hundert.

Wie sehr hat es Ihnen geholfen, dass bei der EM in ihrer angestammten Gewichtsklasse bis 72 Kilogramm gerungen wurde?

Das hat natürlich super gepasst, weil es die Klasse ist, in der ich mich absolut am wohlsten fühle. Wenn ich in dieser Klasse auch bei den Olympischen Spielen in Tokio kämpfen dürfte, könnte ich eine Medaille fast schon garantieren.

Schmerzt es sehr, dass diese Klasse 2020 nicht olympisch ist und Sie stattdessen in der Klasse bis 67 Kilogramm antreten müssen?

Nach dem Sieg in Rom habe ich darüber noch einmal lange nachgedacht. Aber es hilft ja nichts: Ich bekomme vom Schicksal eine sportlich fast unmögliche Aufgabe gestellt – aber ich werde den Kampf annehmen.

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Wie groß ist diese Herausforderung?

Riesig. Mein normales Gewicht liegt bei rund 75 Kilogramm, bei acht Prozent Körperfett. Auch wenn ich am Abend des 5. August in Tokio gesund und in bester Form bin und die Hitze dort super verkrafte, werde ich im Wettkampf, weil die Tortur des Abnehmens so viel Substanz gekostet hat, höchstens 80 Prozent meiner Leistungsfähigkeit abrufen können.

Warum tun Sie sich das an?

Weil ich mit Olympia noch eine Rechnung offen habe.

Das müssen Sie uns erklären.

2012 in London habe ich als Fünfter die Bronzemedaille knapp verpasst. 2016 in Rio de Janeiro war ich in Topform, habe mich aber kurz vorher am Fuß verletzt und bin am Ende nur Siebter geworden. Folglich jage ich noch immer dem Traum hinterher, eine olympische Medaille zu gewinnen.

Wie stehen die Chancen, dass es nun klappt?

Ich werde in der niedrigeren Gewichtsklasse nicht so viele Körner zur Verfügung haben, wie ich gerne hätte. Aber ich glaube fest daran, dass alles möglich ist.

Sie sprechen stets von Ihrem olympischen Masterplan. Wie sieht dieser aus?

Erst einmal wollte ich die Konkurrenz durch eine starke Leistung bei der EM und den Gewinn des Titels schocken, um mir dadurch vor Tokio neuen Respekt zu verschaffen.

Das ist gelungen.

Stimmt – auch wenn ich mir sicher bin, dass ich sogar noch mehr drauf habe.

Wie geht es nun weiter?

Am 1. März starte ich mit der Olympia-Vorbereitung. Ich muss viel an meinen Grundlagen arbeiten, eine neue Basis legen, ehe zwölf Wochen vor den Sommerspielen die Gewichtstortur beginnt.

Was machen Sie bis zum 1. März?

Urlaub. Ich fliege mit meiner Familie, meiner Ringer-Kollegin Aline Rotter-Focken und deren Mann für zehn Tage nach Lanzarote.

Mit Sportklamotten im Gepäck?

Ich werde dort ganz sicher nicht trainieren. Und ich werde auch mein Smartphone nicht in die Hand nehmen. Ich muss dringend meine Akkus neu aufladen – körperlich, aber auch mental.