Die Landeshauptstadt ringt um ein neues Zeitziel für Klimaneutralität. Sie braucht den EnBW-Konzern, der in Stuttgart immer noch das Fernwärmenetz besitzt. Doch die Zusammenarbeit ist schwierig.

Stuttgart - Das Land will bis 2040 klimaneutral sein, der Bund nach letztem Stand bis 2045, und Stuttgart hat immer noch das Ziel 2050 in den Klimaschutzkonzepten stehen. Jetzt wird immer klarer, dass dies nicht das letzte Wort sein kann. Nicht nur, weil der Deutsche Städtetag am Freitag nach der Hochwasserkatastrophe vom Bund schnellstmögliches Erreichen der Klimaneutralität forderte. Der Gemeinderat ringt schon seit Wochen um eine Neubestimmung des Pfades, an dessen Ende der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) unterm Strich gleich null sein soll.

 

Am Donnerstagabend im Gemeinderat wollte das Linksbündnis das Zeitziel vorverlegen von 2050 auf 2030. Das erfordere die prekäre Lage der Welt, mahnte Stefan Urbat (Piraten). Doch so sehr sie Verständnis hätte, sagte Ina Schumann (Die Partei) – für 2030 sei der Zug abgefahren. Sie war für 2035. Alexander Kotz (CDU) meinte, man habe in Stuttgart schon viel getan fürs Klima, dabei habe man lokal nur begrenzte Wirksamkeit. Fazit: „Der eingeschlagene Pfad ist richtig.“ Zusammen mit OB Frank Nopper (CDU) nahmen sich die Fraktionen dann vor, im September im Gemeinderat eine große Generaldebatte zu führen – und schon vorher im Klimaausschuss die Sachlage zu diskutieren.

Zeitziel ist wichtig für den Maßnahmenplan

Das Zeitziel ist schon deshalb wichtig, damit man herunterrechnen kann, welche Maßnahmen und Investitionen auf den verschiedenen Feldern wie Stromerzeugung, Heizwärme, energetische Gebäudesanierungen, Mobilität und Wirtschaft erforderlich sind. Die Wärmewende, das klimaschonende Heizen, ist äußerst wichtig. Und auf dem Sektor kommt der Fernwärme eine wichtige Rolle zu. Deshalb haben zwei Experten der EnBW, die den Besitz des Fernwärmenetzes in Stuttgart juristisch gegen die Übernahme durch die Stadt verteidigt, am Freitag im Klimaausschuss darüber mitgeredet. Dabei wurde klar: Die EnBW sieht sich im Strombereich als „Vorreiter der Energiewende“ und auch sonst gut aufgestellt.

Im Rathaus wünscht man sich, dass statt 20 Prozent Fläche in Stuttgart mit dem Fernwärmenetz 28 Prozent abgedeckt werden. Andreas Mühlig, EnBW-Abteilungsleiter Erzeugung/Betrieb, bekannte sich zwar zum „sukzessiven Wachstum“ und der „Nachverdichtung“ von Hausanschlüssen im Versorgungsgebiet, sagte aber auch: Wollte man deutlich über 20 Prozent hinaus, würde die EnBW mehr Erzeugungskapazität brauchen – und Förderung durch die Stadt. Man sei mit der Stadtverwaltung auch über zusätzliche Anschlüsse im Gespräch.

SPD ist irritiert über Geldwunsch der EnBW

Das Wort „Förderung“ irritierte vor allem Martin Körner (SPD), weil die EnBW, die auf den Besitz pocht, ein Unternehmen von oberschwäbischen Kommunen und des Landes ist – und weil die SPD bisher keinen Erfolg mit der Anregung hatte, dass die Stadt sich einkaufen solle.

Wie sehr man sich zurzeit blockiert, obwohl die gesamte Weltgemeinschaft den Klimaschutz drastisch forcieren müsste, machte Jürgen Görres vom Amt für Umweltschutz klar. Er solle ein Förderprogramm für Fernwärme-Anschlüsse machen, klagte er, wisse aber nicht, wem das Netz gehören werde und wer es betreiben werde. Man müsse aber doch wissen, wie viele Anschlüsse und Kunden möglich wären. Görres: „Wir brauchen schnell Klarheit.“ Gleichwohl will er nach den Sommerferien den Entwurf eines Förderprogramms zur Entscheidung vorlegen.

Die Geister scheiden sich am fossilen Erdgas

Die Geister scheiden sich erst recht bei der Frage, wie schnell und womit die EnBW in den Kraftwerken Gaisburg, Münster und Altbach klimaneutral Wärme erzeugen kann. Die EnBW plant zum Ersatz der Kohle, aus der sie in Stuttgart 2025 aussteigen will, den massiven Ausbau von Gaskraftwerken. Dort soll zunächst Erdgas eingesetzt werden, danach immer mehr nicht fossile Gase aus Biomasse und schließlich grüner Wasserstoff, der mit dem Einsatz von Ökostrom durch Elektrolyse hergestellt wird. Auch da sei man auf Förderung angewiesen, erklärte Mühlig. Im ökosozialen Lager löste das Widerspruch aus. Benjamin Boy (Grüne) sagte, darauf zu hoffen, dass der grüne Wasserstoff in zehn Jahren dafür vorhanden sein werde, sei fahrlässig. Lucia Schanbacher (SPD) sprach von einer Wasserstoff-Debatte „in den Wolken“. Hannes Rockenbauch (SÖS) sagte, der wertvolle und knappe Ökostrom werde auch anderweitig gebraucht. Er sieht die Lösung in dezentralen Anlagen mit Wärme- und Stromerzeugung – auch durch Abwärmenutzung und Fotovoltaik – und der Einspeisung von Überschüssen ins EnBW-Netz. Die Einspeisung wolle die EnBW aber nicht.

Die EnBW setzt für ihre Anlagen zudem auf die Kraft-Wärme-Koppelung, aber eben auch auf Erdgas für den Übergang. Schon heute, bevor der Wasserstoff kommt, wären Biogase beziehbar, um Fernwärme in Stuttgart CO2-neutral zu erzeugen, heißt es im Konzern, doch die Kunden hätten dann bis zu 75 Prozent höhere Preise zu tragen.