Vor 20 Jahren starb Rio Reiser, der vom „König von Deutschland“ sang. Er wohnte als Junge eine Zeit lang in Schmiden und ging aufs Friedrich-Schiller-Gymnasium.

Schmiden - Bei den Rückblicken auf sein Leben wird Rio Reisers schwäbische Vergangenheit meist nicht erwähnt, beklagt der Stettener Eberhard Kögel. Die Familie des später bekannten Band- und Solo-Musikers – er hieß mit bürgerlichem Namen Ralph Christian Möbius – wohnte Anfang der 1960er Jahre in Schmiden. Rio ging in die Schmidener Grundschule und anschließend aufs Friedrich-Schiller-Gymnasium (FSG), bis seine Familie nach kurzer Zeit wegzog und er die Schule abbrach.

 

Dem Stettener Gemeinderat Kögel gebührt das Verdienst

Dem Stettener Gemeinderat Kögel gebührt das Verdienst, auf die schwäbischen Wurzeln und den Todestag – genau am 20. August 1996, Rio Reiser war da erst 46 Jahre alt – hingewiesen zu haben. Während es einigen Aufwand erforderte, in Fellbach einen ehemaligen Schulkameraden ausfindig zu machen, der sich aus der Schmidener Zeit an den späteren Sänger und Komponisten erinnert, hatten die Lieder von Rio Reisers Band „Ton Steine Scherben“ für den einstigen Jugendzentrums-Aktiven Kögel und seine Gesinnungsgenossen schon wenige Jahre später eine Bedeutung: „Das ,Rauch-Haus-Lied’ und ,Keine Macht für Niemand’ der Scherben spielten bei der Besetzung des Stettener Jugendzentrums im März 1977 eine wichtige Rolle.“ Die Online-Enzyklopädie Wikipedia formuliert treffend: „Mit den beiden im Selbstvertrieb erschienenen Alben ,Warum geht es mir so dreckig’ (1971) und vor allem ,Keine Macht für Niemand’ (1972) brachten die Scherben die Zustände, Gedanken und Strömungen der radikalisierten Linken in West-Deutschland nach 1968 auf den Punkt. ,Agitrock’ nannte man das, eine Mischung aus politischer Agitation und Rockmusik mit deutschen Texten.“ In seiner erfolgreichen Solokarriere ab 1985 gestaltete Reiser seine Lieder nicht mehr ausdrücklich nach einer politischen Linie und produzierte gefälliger.

Reisers Autobiografie verschweigt die Fellbacher Schuljahre nicht

Reisers Autobiografie verschweigt die Fellbacher Schuljahre nicht, sondern gibt sogar einen Einblick in heute Unvorstellbares, was ein Schüler aber Anfang der sechziger Jahre im Unterricht durchaus erleben konnte, etwa die Turnstunden bei Lehrer Paul Grimm. Grimm wird von Eberhard Kögel als ein alter „Wehrmachtssportler“ charakterisiert und ließ seine Klassen zu Beginn jeder Turnstunde nach Größe antreten. Der Größte musste vortreten mit dem Spruch: „Klasse 1a zum Turnunterricht angetreten“. Dem folgte dann das „Rührt Euch“ des Turnlehrers, den Eberhard Kögel – drei Jahre später – „auch noch erleben durfte“, wie er formuliert.

Dem Vernehmen nach kehrte der junge Rio mit seiner Gruppe „Ton Steine Scherben“ 1970 oder 71 zu einem Konzert in der alten Karolinger-Turnhalle in Waiblingen zurück. Bei dieser Gelegenheit soll er dann bei der Fahrt durch die Stadt seinen nackten Hintern aus dem Seitenfensters des legendären Scherben-VW-Busses gehalten habe. „Belege dafür habe ich bis jetzt allerdings noch nicht gefunden“, gesteht Eberhard Kögel.

Rio Reiser war ein Revoluzzer, ein Quergeist

„Dass er später so ein Revoluzzer und Quergeist war, war damals noch nicht zu bemerken“, erinnert sich Horst Kraft aus Schmiden an seinen Mitschüler. „Ralph Möbius war bei mir in der Grundschule, in der damaligen Friedensschule, heute Albert-Schweitzer-Schule. Er war eher ein unscheinbarer Klassenkamerad, etwas schmächtig, wir haben ihn immer ,s’ Ralfle’ genannt.“ Die Familie hat nach seiner Erinnerung in der Talstraße in Schmiden gewohnt. „Ralfle“ hat, so sagt Horst Kraft übrigens nie mit Fußball gespielt, sondern er saß in seinem Lägerle und hat sich das Gitarre-Spielen selbst und mit Hilfe eines Freundes beigebracht.

Später haben sich die Wege getrennt, Kraft ging in die Realschule nach Fellbach, Rio Reiser ins FSG. Kürzlich hatte Horst Kraft allerdings wieder eine Begegnung mit Ralf Möbius alias Rio: „Wir waren 2014 auf Berlinfahrt, und da hat der Stadtführer gesagt, am Landwehrkanal sei die Wohnung von Rio Reiser gewesen, wir sind da vorbei gefahren.“ In Berlin ist Rio Reiser auch bei vielen unvergessen. „Zu Konzerten war ich nie, das ärgert mich heute, und unser Sohn, er lebt in Berlin, weiß fast mehr über Rio Reiser als wir“, sagt der Schmidener.

Eberhard Kögel versucht ein Würdigung Rio Reisers mit diesen Worten: „Er war ein genialer Komponist von Liedern.“ Eins davon war ,Übers Meer’, das Herbert Grönemeyer bei Rios Trauerfeier sang: „Sing ein Lied von dem Ozean, sing ein Lied übers Meer. Und ich singe ein Lied für dich, wird das Herz mir auch schwer. Soviele Tage und soviele Stürme müssen vergehen, und wir werden uns wiedersehen.“ Einst, so fügt Kögel hinzu, „im anarchistischen Paradies“.