Diabetes zählt zu den Risikokrankheiten für Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzschwäche und Rhythmusstörungen. Doch wird dieser Zusammenhang von Ärzten und Patienten zu wenig beachtet, kritisiert die Deutsche Herzstiftung anlässlich der Herzwochen 2016.

Bad Oyenhausen - Von dem Infarkt hatte die 58-jährige Diabetikerin nichts gemerkt. Gut, sie war zunehmend kurzatmig gewesen. Aber diese für einen Infarkt doch so typischen Brustschmerzen hatte sie nicht gehabt. Und auch das Engegefühl war ausgeblieben. Ihr Glück war es, dass sie zufällig einem Arzt vom Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen über den Weg lief: Tatsächlich zeigt sich bei der Untersuchung eine starke Verengung der Herzkranzgefäße. Eine Ader war durch den Infarkt sogar ganz verschlossen. Die konnten die Ärzte mithilfe eines filigranen Metallgitters, eines Stents, wieder öffnen.

 

Ein Herzinfarkt ohne Vorboten – für Diethelm Tschöpe ist das kein medizinisches Phänomen, sondern leicht erklärbar: „Gerade bei langjährigen Diabetikernist häufig das Nervensystem geschädigt“, sagt der Direktor der Diabetologie am Herz- und Diabeteszentrum in Bad Oeynhausen. Die Betroffenen nehmen Schmerzen weniger stark wahr, die typischen Brustschmerzen eines Herzinfarktes gehen verloren.

Das ist besonders teuflisch, da gerade bei Diabetespatienten Herz-Kreislauf-Erkrankungen so typisch sind. Ein chronisch hoher Blutzucker begünstigt die sogenannte Arteriosklerose, umgangssprachlich Gefäßverkalkung genannt, die wiederum einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall auslösen kann. Laut der Deutschen Herzstiftung haben Männer mit Diabetes um ein zwei- bis vierfach erhöhtes Herzinfarktrisiko, bei Frauen ist das Risiko sogar um das Sechsfache erhöht. „Normalerweise haben Frauen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen immer bessere Prognosen als Männer, weil sie bis zu ihrer Menopause durch ihre Hormone geschützt sind“, sagt Tschöpe, der auch Mitglied im Wissenschaft-lichen Beirat der Herzstiftung ist. „Aber der negative Mechanismus des Diabetes macht diesen Schutzmechanismus zunichte.“ Und verstärkt sich nach den Wechseljahren sogar.

Beschleunigt wird die Gefahrensituation, wenn andere Risikofaktoren hinzukommen

Zudem verschlechtert sich die Pumpleistung des Herzens und das Risiko für eine Herzschwäche oder einer Herzrhythmusstörung erhöht sich. Insbesondere das Vorhofflimmern ist bei einem Diabetikerherz eine große Gefahr für den Schlaganfall.

Beschleunigt wird diese Gefahrensituation, wenn noch andere Risikofaktoren hinzukommen – wie etwa zu viel Bauchfett, zu hoher Blutdruck oder ungünstige Blutfettwerte. „Wenn diese Punkte nicht unter Kontrolle gebracht werden, dann kann das den Betroffenen in drei Viertel aller Fälle das Leben kosten“, sagt Tschöpe.

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Betroffenen am Diabetes Typ 1oder Typ 2 leiden. „Der Typ-2-Diabetes – die Insulinresistenz – tritt meist erst spät im Leben auf, wenn das Alter dem Körper schon zugesetzt hat“, sagt Tschöpe. Prompt fallen auch die schädlichen Auswirkungen des Diabetes schwerer ins Gewicht. Aber auch bei einem Erwachsenen mittleren Alters, der seit der Kindheit an einem Typ-1-Diabetes leidet, einem Insulinmangel, ist das kardiovaskuläre Risiko um das Dreifache erhöht – selbst bei guter Stoffwechseleinstellung.

Das Problem dabei ist: Vielen Diabetikern ist diese Gefährdung überhaupt nicht bewusst. Auch die 58-jährige Infarktpatientin von Diethelm Tschöpe sagt im Nachhinein: „Die Symptome von Über- und Unterzucker kannte ich, aber nicht die Auswirkungen des Diabetes auf die Entwicklung von Herzinfarkt oder Schlaganfall.“ Umgekehrt erleben Tschöpes ärztliche Kollegen wiederum, dass rund 60 Prozent der Patienten mit akutem Infarkt oder einem Schlaganfall einen Diabetes haben oder zumindest eine Vorstufe davon.

Diabetes- und Herzpatienten sollten beim Arzt auf eine Blutuntersuchung bestehen

Diese hohe Zahl zu senken wird nur durch eine ganzheitliche Betreuung von Diabetes-Patienten und Herzpatienten zu schaffen sein, ist Tschöpe überzeugt. Doch daran hapere es, wie das Beispiel der 58-jährigen Infarktpatientin zeigt. Auch sie war jahrelang wegen Diabetes in ärztlicher Behandlung. Ihre koronare Herzkrankheit wurde dennoch nicht entdeckt. Kein Einzelfall, sagt Tschöpe. „Es reicht eben nicht, wenn der Diabetologe mit dem Patienten nur die Blutzuckerwerte bespricht oder der Kardiologe allein nur nach den kardiovaskulären Krankheiten schaut.“ Diese strikte Trennung nach medizinischen Fachgebieten sei besonders für Diabetiker schicksalhaft.

Der Patient muss also ein bisschen selbst dafür sorgen, nicht durch die Ritzen des Gesundheitssystems zu fallen. Etwa, indem er in regelmäßigen Abständen auf eine Blutuntersuchung besteht – und zwar ganz gleich, ob er Symptome verspürt oder nicht. „Werden die Gefahren frühzeitig erkannt und Patienten risikogerecht therapiert, lassen sich schwerwiegende Folgen vermeiden“, sagt Tschöpe. Wichtigste Voraussetzung für ein solches Gesundheitsbewusstsein ist aber, dass dem Diabetiker der Zusammenhang zwischen der Organkrankheit wie Herzinfarkt und seiner Zuckerkrankheit bewusst gemacht wird.

Das Verständnis für die eigene Krankheit ist wichtig – insbesondere wenn die Patienten vom Arzt aufgefordert werden, ihren Lebensstil zu verändern: Denn allein mit Medikamenteschlucken ist es nicht immer getan. Die 58-jährige Infarktpatientin etwa geht nun täglich an die frische Luft. So konnten Studien zeigen: 30 Minuten moderates Spazierengehen täglich reduzierte die Zahl der kardiovaskulären Todesfälle um 16 Prozent, eine halbe Stunde flottes Gehen um 40 Prozent. Auch ihre Ernährung hat die Diabetes-Patientin umgestellt. Statt vieler Kohlenhydrate kommt nun mehr Obst und Gemüse auf den Tisch. Beides – Bewegung und gesundes Essen – habe zuvor in ihrem Leben gefehlt, sagt sie. Nun hat sie sich daran gewöhnt – ihrem Herzen zuliebe.

Die Deutsche Herzstiftung bietet den Ratgeber „Herzprobleme bei Diabetes: Was tun?“ an. Der Band kann kostenfrei angefordert werden unter: www.herzstiftung.de/diabetes.html;

Telefon 0 69 / 9 55 12 84 00. Einen Herzinfarkt-Risikotest gibt es online: www.herzstiftung.de.

Checkliste für den Arztbesuch

Die Stiftung „Der herzkranke Diabetiker“ hat ein 10-Punkte-Programm herausgebracht, das Arzt und Patient beachten sollten.

Individuelles Gefäßrisiko bestimmen: Wird geraucht? Gibt es genug Bewegung? Wie sieht es mit der Ernährung aus? Was besagt die Familienvorgeschichte?

Gefährdete Organe und Arterien untersuchen: Abhören, Ultraschall und Belastungstests vornehmen.

Körpergewicht bestimmen: Zielgewicht festlegen und Ernährungsempfehlungen geben. So gilt es als erwiesen, dass eine mediterrane Küche mit Nüssen, Pflanzenöl, Fisch und reichlich Obst und Gemüse das Herz besser schützt.

Blutzucker prüfen: Denn auch ein erhöhter Blutzuckerwert schädigt auf Dauer die Gefäßwände.

Blutfettwerte kontrollieren: Wie hoch sind die Cholesterinwerte? Denn kreist zu viel LDL-Cholesterin im Blut, reichern sich Fettpartikel in Gefäßwänden an.

Blutdruck messen: Bei zu hohem Blutdruck muss das Herz ständig gegen erhöhten Widerstand anpumpen. Es vergrößert sich und verliert an Kraft.

Nierenfunktion regelmäßig überprüfen: Die Nieren sind die Zentralstelle der Blutdruckregulation. Zu viel Zucker im Blut greift Nervenfaser in den Nieren an, welche unter anderem die Flüssigkeitsmenge und so das Blutvolumen steuern.

Regelmäßige Bewegung: Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass Sport und Bewegung das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken.