Das RKH-Krankenhaus Bietigheim-Vaihingen arbeitet von nun an mit digitalen Patientenakten; weitere Krankenhäuser sollen bald folgen. Die Einführung der Akten war aufwendig, doch die Neuerung erleichtert die Arbeit. Doch das System hat auch Kritiker.

Bietigheim-Bissingen - Früher eilten Michael Svoboda und Heidi Luithle über die Flure des Krankenhauses in Bietigheim-Bissingen, wenn ein Patient unerwartet nach einem Röntgenbild oder den Blutwerten vom Vortag fragte – schließlich mussten der Oberarzt und die Krankenschwester die jeweilige Patientenakte erst einmal aus dem Schwesternzimmer holen.

 

Das hat sich nun geändert: Meistens haben die Krankenhausmitarbeiter einen Laptop oder ein Tablet dabei und können die gewünschten Informationen direkt vor dem Bett des Patienten abrufen. Möglich ist das durch digitale Patientenakten, mit denen Ärzte und Pfleger des Krankenhauses in Bietigheim, das zur Regionalen Kliniken Holding (RKH) gehört, seit Kurzem arbeiten. Auf diese können sie über stationäre Computer, Laptops, PC-Wagen oder Tablets zugreifen. Die Kliniken wollen damit die Sicherheit der Patienten erhöhen, Daten mobil verfügbar machen und den Mitarbeitern die Arbeit erleichtern. Bislang arbeitet nur das Krankenhaus Bietigheim mit den elektronischen Akten, die anderen Standorte der RKH im Landkreis (Vaihingen, Ludwigsburg, Marbach, Markgröningen) sollen bald nachziehen.

Einführung der digitalen Akten war aufwendig

Die Einführung der digitalen Akte ist mit enormem Aufwand verbunden. Bereits im April vergangenen Jahres begann die Planung, im September liefen die Schulungen von knapp 600 Mitarbeitern an. Die Klinik kaufte mehr als 100 neue Geräte und baute das WLAN in sämtlichen Patientenbereichen aus, damit der Zugriff durchgängig gewährleistet ist.

Die zentrale digitale Speicherung ermöglicht den Aufruf von Blutwerten und Röntgenbildern auf dem Tablet. Ein weiterer Bestandteil der Patientenakte sind digitale Medikamentenpläne. Anhand der Pläne können Ärzte und Pflegekräfte am Computer einsehen, was die Patienten einnehmen sollen. Eine weitere Komponente des Systems betrifft die sogenannte Fieberkurve, eine grafische Darstellung der Körpertemperatur. Bisher hielten die Krankenhausangestellten die Messwerte auf Papier fest, seit einigen Monaten sind die Fieberkurven elektronisch. Aktuell sind die Krankenhaus-Mitarbeiter mitten in den Schulungen für eine weitere Komponente der digitalen Patientenakte, durch die sie individuelle Pflegepläne für Patienten erstellen können.

Die Patienten bekommen die Neuerung unter anderem während der Visite mit, zu denen Ärzte und Pflegekräfte nun mit einem Laptop-Wagen anrücken. Gemessene Werte können die Pflegekräfte noch im Krankenzimmer ins System eintragen. Ganz ohne Papier geht es aber noch nicht: Werden Patienten entlassen oder in Kliniken verlegt, die mit anderen technischen Systemen arbeiten, druckt das Krankenhaus in Bietigheim die digitale Akte aus und gibt sie den Patienten in Papierform mit.

Das neue System erleichtert die Arbeit

Doch was, wenn ein Laptop gestohlen wird, Patientendaten in falsche Hände geraten? Diese Sorgen können Klinikleiter Nicolai Stolzenberger und Silke Muzic, stellvertretende Leiterin der EDV-Abteilung, entkräften: Computer und Tablets greifen auf einen zentralen Rechner zu, auf den Geräten selbst ist nichts gespeichert. Nach kurzer Zeit ohne Aktion loggen sie sich automatisch aus dem System aus; der Zugang ist gesperrt.

Manche Klinikmitarbeiter reagierten zunächst mit Sorge auf die Neuerung: „Was Neues bedeutet für viele erst einmal nichts Gutes“, sagt der Klinikleiter Stolzenberger. Doch wer sich mit der neuen Arbeitsweise arrangiert habe, für den bedeute sie eine enorme Arbeitserleichterung. „Man musste früher vieles auswendig lernen“, sagt Oberarzt Michael Svoboda. „Jetzt dient die digitale Patientenakte als Wissensstütze.“ Den persönlichen Austausch zwischen den Mitarbeitern gibt es aber trotzdem noch; spätestens bei der Übergabe zwischen zwei Schichten.

Digitales Gesundheitswesen

Datenschutz
Viele Datenschützer sehen die Digitalisierung analoger Systeme kritisch. Die Software, die das Krankenhaus Bietigheim verwendet, stammt von der Firma AGFA Healthcare. Die praktische Einführung ist begleitet von Entwicklungsgesprächen mit der Firma, welche die Software an die Bedürfnisse der Klinik anpasst. Die Mitarbeiter von AGFA können zwar auf die Patientendaten zugreifen, haben sich jedoch vertraglich verpflichtet, diese nicht weiterzuleiten, zu speichern oder anderweitig zu verwenden, wie Alexander Tsongas von der RKH mitteilt.

Gesetzliche Lage
Die digitale Patientenakte der Bietigheimer Klinik ist nur ein Baustein bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Im Mai dieses Jahres trat das sogenannte Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) in Kraft. Es verpflichtet Krankenkassen, ihren Versicherten spätestens von 2021 an Patientenakten anzubieten, in denen Behandlungsdaten elektronisch gespeichert sind. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums sollen Bürger die Möglichkeit haben, mit Smartphone oder Tablet auf ihre eigenen medizinischen Daten zuzugreifen. Auch Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen sollen Ärzte und Kassen von 2021 an ausschließlich digital austauschen.