Eine neue Generation von Banden versucht durch Gewalt und Einschüchterung die Großstädte zu erobern. Insbesondere in Baden-Württemberg machen sich die Gangs breit und legen sich dabei mit etablierten Rockerbanden an.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Plötzlich sind sie an die Oberfläche gekommen: die Jugendgangs Black Jackets und Red Legion. Besonders in den größeren Städten Baden-Württembergs tragen sie ihre brutalen Revierkämpfe aus, überfallen Mitglieder rivalisierender Gangs oder legen sich mit klassischen, angestammten Rockerbanden wie den Hells Angels und den Bandidos an. Die Gewaltexzesse schieben inzwischen eine juristische Bugwelle vor sich her, die derzeit die Landgerichte flutet.

 

Den Auftakt machte der Black-Jackets-Prozess, bei dem im Herbst 2012 elf der 21 angeklagten Bandenmitglieder wegen versuchten Totschlags, schwerer und gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen bis zu acht Jahren verurteilt wurden. Sie hatten in Esslingen Jugendliche mit Baseballschlägern und Eisenstangen überfallen. Eines der Opfer ist heute schwerbehindert. Der Prozess dauerte zweieinhalb Jahre und zählt zu den aufwendigsten der Stuttgarter Justizgeschichte. Kaum war das Verfahren beendet, folgten die nächsten. „Der Prozess war für uns der Anlass, genauer hinzuschauen“, sagt Sigurd Jäger, Leiter der Abteilung „Motorradgangs und rockerähnliche Gruppierungen“ am Landeskriminalamt (LKA) Stuttgart: „Zumal all das ja im öffentlichen Raum geschah.“

Die neuen Gangs sind im Land deutlich überrepräsentiert

Das LKA geht heute in Baden-Württemberg von 800 Mitgliedern in rockerähnlichen Banden aus, davon seien die 500 Black Jackets die stärkste Gruppierung, weit abgeschlagen folgt die Red Legion mit geschätzten 110 Mitgliedern. Andere Schwerpunkte im Bundesgebiet liegen in Hessen, Schleswig-Holstein, im Kölner und im Berliner Raum. In jüngster Zeit wird auch aus München und Zürich wiederholt von Scharmützeln zwischen Black Jackets und etablierten Gangs berichtet. Im Bundesvergleich sind die neuen Gangs in Baden-Württemberg jedoch deutlich überrepräsentiert. Die vier klassischen Rockergruppen Hells Angels, Bandidos, Outlaws, MC Gremium bringen es im Land samt Unterstützern auf etwa 1200 Mitglieder.

Die jüngeren Banden treten massiv und blockweise auf. „Das sind regelrechte Aufmärsche durch die Stadt“, erläutert der LKA-Sprecher Ulrich Heffner: „Da wechseln die Leute die Straßenseite. Das ist ein Einschüchterungsverhalten.“ Genau so hätten die großen Rockerbanden wie die Hells Angels vor 50 Jahren auch begonnen. „Das ist die Anfangsphase“, sagt Heffner: „Man braucht erst mal ein gewalttätiges Image. Danach muss man gar nicht mehr viel Gewalt anwenden, um sein Ziel zu erreichen.“ Vielerorts wollen die neuen Gangs den alten Rockern die Vorherrschaft im Rotlichtmilieu und im Drogengeschäft streitig machen – auch in Stuttgart hat die Red Legion diesen Sommer versucht, die seit Jahrzehnten ansässigen Hells Angels mit einer Attacke am Rande des „Henkersfestes“ zu provozieren.

Die Opfer bei den brutalen Schlägereien der jüngeren Gangs entstammen laut Jäger dem Milieu, gehören rivalisierenden Gruppen an oder sind Abtrünnige des eigenen Clubs. Dabei werde bei Verletzungen „stets bis zum Extrem gegangen“, Gewalt „strategisch“ angewandt, nicht blindwütig. Allerdings seien Unbeteiligte gefährdet. „Die Gangs fordern den Staat heraus“, so Heffner: „Sie glauben, die Regeln gelten für sie nicht, sie wollen ihr eigenes Recht durchsetzen.“

LKA befürchtet Eskalation der Rockerkriminalität

Anlass für Auseinandersetzungen sind den Ermittlern zufolge meist Revierkämpfe. Dabei gehe es um Drogen, Prostitution oder Vorherrschaft in der Türsteherszene. „Letztendlich geht es immer ums Geld“, resümiert Heffner. Menschenhandel oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz tauchen im Zusammenhang mit Streetgangs an den Gerichten bislang so gut wie nie auf. Sie sind schwer nachzuweisen, weil sich Täter wie Opfer an ein ehernes Schweigegesetz halten: Kein Wort zu Polizei und Richtern, wir regeln unsere Angelegenheiten selbst. Gegen die These von den auf illegale Verdienste ausgerichteten Vereinigungen spricht allerdings, dass offenbar viele Gangmitglieder durchaus einer geregelten Arbeit nachgehen. Auch diffuse Tugenden wie „Ehre“ und „Respekt“ können die Auslöser brutaler Prügeleien sein. Die Anklagen bei Gericht lauten fast immer auf versuchte Tötungsdelikte und Körperverletzungen jedweder Art.

Der Polizei geht es jedoch nicht ausschließlich darum, manifeste Straftaten zu verhindern. Sie setze bereits „unter der Strafschwelle“ an, betont der LKA-Sprecher Heffner: „Schon das Dabeisein hat eine Qualität.“ Denn bei der Behörde befürchtet man eine Eskalation der Rockerkriminalität. Ein internes Strategiepapier einer Bund-Länder-Projektgruppe richtet nach Informationen der StZ den Fokus auf präventive Schritte. So versucht die Polizei etwa über das Ordnungsrecht einzugreifen – wie beispielsweise in Stuttgart. Hier hat das Ordnungsamt kürzlich einer Shisha-Bar in der Stadtmitte die Konzession entzogen, die als Treffpunkt der Red Legion galt. Nicht wegen des Publikums, sondern wegen Verstößen gegen die Vorschriften für den Betrieb. Und selbstverständlich beobachten verdeckte Ermittler die Szene. Vereinsverbote jedoch sind an hohe Voraussetzungen geknüpft. Dennoch hat Innenminister Reinhold Gall (SPD) im Juni die Red Legion verboten.

Die Präsidenten sind meist hochintelligente Alphatiere

Von einem straff durchorganisierten, internationalen Club wie der Motorradgang Hells Angels, die mit Zuhälterei, Gewalt- und Drogendelikten in Verbindung gebracht werden und mutmaßlich ganze Stadtteile kontrollieren, sind die Black Jackets und die Red Legion noch meilenweit entfernt. Laut dem LKA sind die einzelnen Chapter (also: Ortsgruppen) der neueren Banden regional unterschiedlich gut organisiert, wobei auf regionale Selbstständigkeit großen Wert gelegt werde. Eine hierarchische Grundordnung, die den etablierten Gruppen entlehnt ist, findet sich aber überall. Sie beginnt auf der unteren Ebene beim „Hangaround“, der geduldet wird, führt zum „Prospect“, dem Anwärter, und schließlich zum „Member“, dem vollwertigen Mitglied. Die Präsidenten seien in allen Gruppen meist „hochintelligente“ Alphatiere, „Figuren, zu denen man aufschaut, manchmal richtig charismatische Typen“, sagt Jäger.

Die relativ lange Probezeit, die mit allerlei ungemütlichen Restriktionen und Frondiensten einhergeht, soll sicherstellen, dass sich der Neuling nicht schon bald wieder verabschiedet. Anders als bei den alten Motorradgangs, wo lebenslange Zugehörigkeit erwartet wird, ist es mit der Treue in den neuen Gangs nicht weit her: „Wir beobachten eine hohe Fluktuation“, sagt Jäger. Dennoch tritt man aus einer Gang nicht aus wie aus dem Wanderverein: wer geht, zahlt. Wer nicht zahlt, blutet. Jäger berichtet von Ablösesummen von bis zu 1500 Euro.

Rockergruppen im Südwesten

Red Legion Die Red Legion trat erstmals 2010 in Stuttgart in Erscheinung. Ihr Symbol ist ein brüllender Gorilla. Eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist die Ausübung von Kampfsport.

Black Jackets Die Black Jackets wurden 1985 in Heidenheim gegründet. Die Idee der Männer mit Migrationshintergrund war, sich gemeinsam gegen rechte Gruppen zu behaupten. Heute ist die Jugendgang mit der Bulldogge im Emblem in zwölf Ländern vertreten.

Hells Angels Die Hells Angels formierten sich 1948 in Kalifornien und haben heute Gruppen in gut 30 Ländern. Ihre Mitglieder fahren Harley-Davidson-Motorräder und tragen ärmellose Jacken mit dem Club-Emblem: ein Totenkopf mit Flügeln.

Prozess Vor dem Landgericht Ulm beginnt am Montag ein Prozess gegen ein Mitglied der Rockergruppe Bandidos. Der 33-jährige Mann soll sich an einem Mordversuch an dem Präsidenten eines verfeindeten Rockerclubs beteiligt haben.