Erika Diemer hat bereits viele Wege nach Santiago de Compostela erkundet. Dieses Jahr pilgerte sie auf einer außergewöhnlichen Route. Von Lissabon nach Porto entlang der wilden Atlantikküste Portugals.

Rohracker - Spätestens seit Hape KerkelingsBuch gehört er zu den bekanntesten Pilgerpfaden: der Jakobsweg. Es gibt viele Routen nach Santiago de Compostela. Die meisten führen durch Spanien. Erika Diemer hat in den vergangenen Jahren einige erkundet. Dieses Jahr entschieden die Rohrackerin und ihr Begleiter sich für eine außergewöhnliche Variante: den Trilho das Areias von Lissabon an der wilden Atlantikküste entlang bis nach Porto und von dort dann weiter bis nach Santiago de Compostela. Für Diemer war es eine doppelte Premiere. Zum ersten Mal führte sie der Weg im Zeichen der Muschel durch Portugal. „Einen Reiseführer wie bei den meisten anderen Routen gibt es zu dem portugiesischen Weg nicht. Ein spanischer Pilger hat die Etappen skizziert. Die haben wir als Richtlinie genutzt. Ansonsten verließ ich mich aber auf mein Bauchgefühl“, sagt die versierte Pilgerin. Bis Porto sind es rund 500 Kilometer auf oft unmarkierten Strandwegen entlang des Atlantiks, auf Fahrradwegen neben Autostraßen und durch im vergangenen Jahr durch Brände zerstörte Wälder. 30 bis 40 Kilometer pro Tag sind die Norm.

 

Große Hilfsbereitschaft

Ende April startete Diemer ihre Tour in Lissabon. Weil zu dieser Zeit in Portugal noch keine Saison herrscht, hatten viele Campingplätze und Hostels noch geschlossen. „Einige Male mussten wir zusätzliche Kilometer laufen oder stundenlang nach einer Schlafgelegenheit suchen“, erzählt Diemer. Doch dank der großen Hilfsbereitschaft der Portugiesen fanden die beiden Pilger oft wahre Schätze für wenig Geld: Häuschen von Privatpersonen, gemütliche Hütten auf Campingplätzen, kleine Hotels und Unterkünfte für Surfer. Denn die portugiesische Atlantikküste ist berühmt für ihre fantastischen Surfbedingungen. „Bereits Kurz nach Lissabon führt der Weg an der Küste entlang bis nach Cascais mit seinem schönen Hafen“, erinnert sich Diemer.

Über den Atlantikstrand, an dem Touristen im Hochsommer baden und Surfer in die Fluten steigen, marschierten Diemer mit ihrem Begleiter entlang. Manchmal mühsam am Sandstrand oder aber auf Holzbohlen-Wegen unweit des Meeressaums. Vorbei am Cabo da Roca, dem westlichsten Punkt des europäischen Festlandes, ging es vorbei an kleinen Dörfern und über Sanddünen nach Ericeira mit seinen blau-weißen Häusern. Eine Skulptur macht dort auf die für Surfer legendären Strände aufmerksam und einige Kilometer weiter wird mit einem entsprechend hohen Tor bei Nazaré auf die mit 30 Meter Höhe „höchsten Wellen der Welt“ aufmerksam gemacht.

Blühende Gärten

Diemer hat aber nicht nur einen Blick für die wilde Küste, die traumhaften Buchten, Lagunen und tosenden Wellen. In den Ortschaften fotografiert die Künstlerin, die durch ihre „Tausendundeins-Männchen-Kunstwerke“ bekannt geworden ist, auch Häuser mit den typischen Kachelwänden, in der Sonne ruhende Hunde und üppig am Wegesrand oder in Gärten blühenden Strelizien, Rosen, Orchideen, Zitronen- und Orangenbäume sowie Zwiebelfelder. Sie entdeckte sich in der Sonne aufwärmende Frösche und Eidechsen, die typischen Windmühlen und Fischer, die ihre Meeresfrüchte einfahren, am Strand trocknen lassen und dann dort fangfrisch verkaufen. Augenblicke, die die Seele streicheln und den Kopf befreien. Dieses Laufen und Sehen trage bei ihr zu einem dem Meditieren ähnlichen Gefühl bei, so Diemer.

„Von Lissabon bis Porto begegneten wir keinem anderen Pilger. Von den Einheimischen wurden wir bestaunt, aber immer hilfsbereit aufgenommen.“ Sie erinnert sich an den Fährmann, der mit seiner Fähre bereits abgelegt hatte und diese wieder zurücksetzte, als er die beiden Pilger entdeckte, an den Wirt in einem kleinen Restaurant, der für die Touristen Fado sang oder den portugiesischen Senior, der die beiden durch die winklige Altstadt zu einem Hotel führte. „Erfahrungen, die man nur als Pilger erlebt.“ Über Nazaré erreichte Diemer nach gut zwei Wochen und 500 Kilometern die Hafenstadt Porto mit seinen Portweinkellern und winkligen Gässchen.

Das letzte Drittel des Jakobsweges in Richtung Spanien begann. Ab Porto pilgerten die Beiden über den Caminho da Costa in Richtung Tui, der spanischen Grenzstadt zu Portugal, und dann weiter rund 250 Kilometer bis zum Ziel aller Jakobspilger: Santiago de Compostela. „Für uns war dieser Abschnitt ein Schock. Ab Porto waren wir plötzlich von Pilgermassen umringt.“ Teilweise waren auch Tagespilger unterwegs, die ihre Koffer von einer Station zur anderen transportieren ließen und in den Herbergen Plätze reserviert haben. „Man folgte nur noch den gelben Pfeilen mit der Muschel. Nachträglich lernten wir den portugiesischen Trilho das Areias und die damit verbundene Einsamkeit schätzen. Ohne Orientierungshilfe und andere Pilgern sind wir den Weg viel bewusster gelaufen.“ Dennoch waren die restlichen 250 Kilometer mit malerischen Städtchen wie Patron, Pontevedra oder das Kloster Hebron ein Erlebnis und nach 31 Pilgertagen war der Anblick der Kathedrale in Santiago de Compostela ein erhabenes Gefühl. „Ziel erreicht. Der Jakobsweg hat mal wieder gezeigt, dass er jedem gibt, was er braucht“, sagt Diemer.