Auschwitz, die Charles-Manson-Sekte und eine Anklage wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen: Roman Polanski hat nicht nur Kinogeschichte geschrieben. Am Sonntag wird der Filmregisseur, Drehbuchautor und Schauspieler achtzig Jahre alt.

Stuttgart - Immer wieder diese Verengung des Blicks, dieser Verdacht, dass die Welt nicht so ist, wie sie scheint, dieses Gefühl des Eingeschlossenseins. In der Klaustrophobie-Studie „Ekel“ (1965) wird eine von Verfolgungsängsten gepeinigte Catherine Deneuve zur Mörderin, in dem Okkult-Thriller „Rosemaries Baby“ (1968) erfährt Mia Farrow ihre Wohnung als teuflische Falle, und in dem dunklen Psychostück „Der Mieter“ (1976) muss der Held zwanghaft das Schicksal seines Vorgängers nachleben respektive nachsterben.

 

Roman Polanski spielt diesen Mann selber, aber eine Verbindung zwischen seinem eigenen Leben und seinem Werk hat der Kenner und Verehrer von Franz Kafka stets zurückgewiesen. „Ich denke, dass in uns schon bei der Geburt viel mehr drinsteckt, als wir glauben. Auch wenn ich nicht diese Biografie hätte, wäre ich wahrscheinlich trotzdem dieselbe Person“, hat er in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung einmal erklärt.

Trotzdem fällt es schwer, dieser in jedem Sinn außerordentlichen Biografie keine prägende Rolle zuzuschreiben: Der 1933 geborene Sohn jüdischer Eltern wächst in Krakau auf, seine Eltern kommen während der Naziokkupation ins KZ, die Mutter wird in Auschwitz ermordet, ihm selbst gelingt die Flucht aus dem Ghetto, er versteckt sich bei Bauern auf dem Land und überlebt. Bei Kriegsende ist Roman Polanski zwölf. Schon während seiner Zeit im Ghetto hat er sich manchmal hinausgeschlichen und ist ins Kino gegangen, hat auch deutsche Filme angesehen und sich, wie er sagt, in Marika Rökk „verliebt“. Als junger Mann lernt er Andrej Wajda kennen, spielt in dessen Filmen kleine Rollen und reüssiert 1962 dann selber als Regisseur der Dreiecksgeschichte „Das Messer im Wasser“, in der die Weite der masurischen Seen auf die Enge einer Bootskajüte zusammenschnurrt.

Flucht nach Europa

Polanski bekommt sofort Probleme mit der Zensur, er dreht danach in England, Frankreich und den USA. In dem schwarzhumorigen Horrorfilm „Tanz der Vampire“ (1968) spielt seine zweite Frau Sharon Tate mit, sie wird ein Jahr später von der Charles-Manson-Sekte ermordet. In seinem Film noir „Chinatown“ (1974) zeigt er, wie Jack Nicholson als Detektiv hilflos zusehen muss, wie seine Geliebte erschossen wird.

In Nicholsons Villa passiert dann drei Jahre später das, was Polanski nicht mehr aus seiner Biografie tilgen kann, so sehr er den Vorfall auch bereut. Er wird angeklagt, ein dreizehnjähriges Mädchen vergewaltigt zu haben, hofft auf einen Deal mit dem Gericht, traut diesem aber nicht und entzieht sich dem Verfahren durch die Flucht nach Europa. Das damalige Opfer hat ihm schon lange verziehen, Polanski selber beantragt später ein Verfahren in absentia, die US-Justiz lehnt ab und verfolgt ihn weiter. 2009 wird er in der Schweiz verhaftet, die Behörden stellen ihn unter Hausarrest, liefern ihn aber nicht aus und lassen ihn ein knappes Jahr später wieder frei.

Sein persönlichster Film

Roman Polanski hat die USA nach 1977 nie mehr betreten, er lebt vor allem in Paris, ist seit 1989 mit der französischen Schauspielerin Emmanuelle Seigner verheiratet und hat mit ihr zwei Kinder. Aber er hat auch weiter mit Hollywoodstars wie Harrison Ford („Frantic“) oder Johnny Depp („Die neun Pforten“) gedreht und sogar Filme inszeniert, die in den USA spielen. Zum Beispiel den Thriller „Der Ghostwriter“ (2010), in dem die amerikanische Ostküste überzeugend von der deutschen Küste gedoubelt wird, oder die Yasmina-Reza-Verfilmung „Der Gott des Gemetzels“, bei der er einen bösen Elternstreit von Paris nach New York verlegt.

Sein vielleicht persönlichster Film aber erzählt vom Überleben des Musikers Wladyslaw Szpilman im Warschauer Ghetto. Das Angebot von Steven Spielberg, „Schindlers Liste“ zu inszenieren, hat Polanski noch abgelehnt, der Stoff, sagt er, sei ihm zu nahe dran gewesen an seinem Leben und dem seiner Familie. Auch im „Pianisten“ will Polanski nicht beherrscht werden von dem, was er zeigt, sondern die Oberhand behalten über diese Geschichte, indem er sie als souveräner Erzähler meistert. Trotzdem spürt der Zuschauer in diesem großen Werk, wie emotional involviert er ist. Den Oscar für Polanski holt sein Freund Harrison Ford ab und übergibt ihn in Frankreich. So wird der Regisseur sogar bei seinen größten Triumphen an seinen biografischen Absturz erinnert.

Eine gewisse Unruhe, eine nervöse Energie strahlt dieser 1,65 große Mann aus, selbst wenn er scheinbar ruhig dasitzt. Aber auch ein Humor blitzt aus ihm heraus, der ihm vielleicht beim Leben und Überleben geholfen hat. Ein Tag ohne Lachen zähle für ihn nicht, hat er damals in Stuttgart gesagt, als er zur Musical-Adaption von „Tanz der Vampire“ angereist war. Und dann gleich eine Schranke heruntergelassen: „Warum ich gern lache? Die Frage stelle ich mir nicht.“ Nein, er will nicht, dass man ihm zu nahe kommt. Man möge sein Werk beurteilen, nicht sein Leben, hat er gefordert. Aber diesen Gefallen wird man Roman Polanski, der morgen achtzig Jahre alt wird, wohl nicht tun. Auch wenn dieses Werk über alle Zweifel erhaben ist.