Missbrauchsvorwürfe belasten Roman Polanski. Nun bringt er einen weiteren sensiblen Frauenfilm in die Kinos.

Stuttgart - Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences hat den Oscar-Preisträger Roman Polanski („Der Pianist“, 2002) ausgeschlossen. Mehrere Frauen werfen dem 84-Jährigen Missbrauch vor, seit 1977 schwelt der Fall der damals 13-jährigen Samantha Geimer. Zum Vorwurf des außerehelichen Geschlechtsverkehrs mit einer Minderjährigen bekannte sich der Filmemacher schuldig; eine Vergewaltigung bestreitet er bis heute. All das wirft kein gutes Licht auf Polanski, der sich als Filmemacher immer wieder mit harten Frauenschicksalen künstlerisch auseinandersetzt – ein nahezu unauflösbarer Widerspruch.

 

Nun kommt sein neuestes Werk, der Psychothriller „Nach einer wahren Geschichte“ in die Kinos. Im Zentrum stehen zwei Frauen: Delphine (Emmanuelle Seigner), eine Bestsellerautorin mit Schreibhemmung, und deren jüngere Verehrerin Elle (Eva Green). Trotz ihres Erfolgs plagen Delphine massive Zweifel, Elle dagegen strotzt vor Selbstbewusstsein. Eine innige Frauenfreundschaft entsteht, in der Elle zunehmend den Ton angibt. Viel zu spät bemerkt Delphine, dass Elle ein böses Spiel mit ihr treibt. Zuneigung, die in Besitzergreifung umschlägt, Macht, Angst und verschiedene Wahrnehmungen der Wirklichkeit: Diese bekannten Polanski-Motive sind allgegenwärtig. Als Thriller funktioniert das Psychodrama weniger, als interessante Studie einer Krise dagegen schon.

Psychische Abgründe haben Polanski immer interessiert

Psychische Abgründe, wie sie sich zwischen Delphine und Elle auftun, haben Polanski schon immer interessiert. Besonders, wenn sie auf weiblichen Gewalterfahrungen gründeten. Sein Film „Ekel“ (1965) erzählt vom Leidensweg der jungen Carole, zerbrechlich gespielt von Catherine Deneuve, die eine fundamentale Abscheu vor der Welt und vor Männern quält. In ihrer Wohnung sucht Carole Schutz, doch in den Zimmerwänden klaffen bald tiefe Risse, in der Küche verwest ein Hasenkadaver. Möglicherweise eine Anspielung auf den Mann als notorischen Rammler, den Carole so verachtet und den sie in Gestalt ihres Verehrers Colin und des zudringlichen Vermieters tötet. In den grausigen Bildern sind zahlreiche Hinweise versteckt, die auf einen Missbrauch Caroles im Kindesalter schließen lassen. Polanskis düstere, bis heute verstörende Psychostudie lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, dass Carole ein Opfer gewisser sozialer Umstände ist.

In „Rosemaries Baby“ (1968) versetzte sich der Filmemacher dann sogar in den Kopf einer von Hormonen und diffusen Ängsten übersensibilisierten Schwangeren. Es wäre zu kurz gegriffen, den Film als reißerischen Horrorstreifen abzutun, in dem eine werdende Mutter von Satansjüngern bedrängt wird. Polanski räumt hier gründlich mit verklärenden Klischees rund um die Mutterschaft auf und fördert das Extreme und Furchterregende dieses Zustands zutage, wobei sich das Kind tatsächlich als Satansbraten entpuppt. Rosemarie (Mia Farrow) wird gegen ihren Willen sediert und empfängt ihr Kind im Rausch, unfähig, sich dem erzwungenen, teuflischen Zeugungsakt zu entziehen. Dass Rosemarie den Säugling trotzdem annimmt, ist der Übermacht der sie umgebenden Gesellschaft und ihrer Hormone geschuldet – die Frau ist hier nicht nur ein Opfer sozialer Konventionen, sondern auch ein Opfer ihrer Biologie.

Besonders sensibel schildert Polanski weibliche Abhängigkeit in seiner Verfilmung von Thomas Hardys Roman „Tess“ (1979). Im England des späten 19. Jahrhunderts wird eine Kindfrau (die damals 18-jährige Nastassja Kinski) zur reichen Verwandtschaft abgeschoben, doch im vermeintlichen Paradies erlebt sie die Hölle: Vergewaltigung, Schwangerschaft, der Tod ihres Babys, harte Feldarbeit, eine unglückliche Liebe, ein Mord aus Verzweiflung: Auf Tess’ Lebensweg häuft sich das Unglück. Ihren Charakter kann das jedoch nicht brechen. Tess stirbt einen Märtyrertod am Galgen, das Mitleid der Zuschauer ist der zum reinen Ideal überhöhten Figur sicher.

Polanskis Frauen entsprechen selten üblichen Klischees.

Es gibt aber auch wehrhafte Frauen in Polanskis Kosmos. In „Der Tod und das Mädchen“ (1994) will sich eine politische Oppositionelle (Sigourney Weaver) an ihrem früheren Peiniger rächen; in „Macbeth“ (1971) betonte Polanski den Machthunger der Lady Macbeth, die sich nicht mit ihrer passiven Rolle in einer von Männern gestalteten Ordnung abfindet, ihren Mann zum Mörder macht und schließlich an der eigenen Amoralität zerbricht.

Ganz gleich, ob die Frauen in Polanskis Filmen Opfer, Rächerinnen oder Komplizinnen sind, üblichen Weiblichkeitsklischees entsprechen sie selten. In seinem vorletzten Film „Venus im Pelz“ (2013) hat der Regisseur die Frau gar als überlegene Amazone gezeichnet. Wanda (Emmanuelle Seigner) entlarvt bei einer erotisch knisternden Theaterprobe einen schnöseligen Bühnenautor als chauvinistischen Kleingeist. Mathieu Amalric gibt da eine jüngere Ausgabe Polanskis, der Künstler endet als Häufchen Elend an eine phallischen Marterpfahl gefesselt, während ihn die nackte Wanda mit schrillem Triumphgeheul umkreist.

Man könnte „Venus im Pelz“ als Polanskis Eingeständnis der eigenen Unzulänglichkeit lesen. Das macht seine Verfehlungen nicht ungeschehen – aber die genial hintersinnige Kritik an Geschlechterkonventionen lässt die Hoffnung zu, dass da jemand den eigenen Status als Mann mit Macht über Frauen infrage stellt. In „Nach einer wahren Geschichte“ nun spielen Männer gar keine Rolle mehr. Die Frauengestalten sind nicht Opfer eines chauvinistischen Systems, sondern erbitterte Konkurrentinnen in einer nach außen abgeschotteten, selbst gewählten Zweisamkeit.