Eine neue Bar in der Stuttgarter Altstadt will beweisen, dass klassische Gastronomie ein Mittel zur Rettung des Leonhardsviertels sein kann. Geht das Experiment auf, könnten weitere Häuser mit normaler Gastro statt Rotlichtschuppen nachziehen.

Stuttgart - Die Nachbarschaft könnte illustrer kaum sein. Auf der einen Seite der Weberstraße haben die Hells Angels ihr Vereinsheim, auf der anderen Seite residiert der Verschönerungsverein Stuttgart. Dazwischen will der Architekt und Gastronom Janusch Munkwitz gemeinsam mit Dawit Porwich, dem ehemaligen Scholz-Barchef, eine anspruchsvolle Bar eröffnen: Das Lokal soll dank der „Liebe zum Getränk und zur Barkultur ein Ort werden, an dem sich alle wohlfühlen – vom Studenten bis zu meinem Vater“, sagt Munkwitz.

 

Vier Lagen Fliesen hat das Team um Munkwitz vom Boden wegreißen müssen: „Jeder neue Bordellbetreiber hat einfach eine neue Lage Obi-Fliesen draufgeknallt“, sagt Munkwitz lachend. Er ist nun der Erste seit langem, der in dem Haus von 1897 eine „normale“ Bar einrichten wird.

Die Bar soll für eine Durchmischung im Viertel sorgen

Allein die Tatsache, dass jemand in Stuttgarts Rotlichtviertel eine Kneipe aufmacht, ist ein Politikum. Denn das Viertel hat enorme Probleme – die Anwohner müssen in dem Quartier einiges an Lärm und Belästigung aushalten. Viele der schönen alten Häuser sind heruntergekommen, und auch das soziale Elend der jungen Prostituierten lässt niemanden kalt.

Janusch Munkwitz hat deshalb das Angebot der Eigentümer bewusst angenommen, als Architekt das Haus zu sanieren und als Gastronom im Erdgeschoss eine Bar zu eröffnen: „Das Leonhardsviertel ist wirklich cool, aber den Häusern muss geholfen werden.“ Er will eine anspruchsvolle Gastro umsetzen, aber zugleich auch zu einer gesunden Durchmischung des Quartiers beitragen. So schafft er etwas doppelt Wertvolles: Er restauriert ein altes Haus und bringt normales Leben ins Viertel.

Gastronomie als Mittel der Stadtentwicklung

Tatsächlich kann die Gastronomie auf diese Weise ein Mittel der Stadtentwicklung werden. Dazu müssen aber vor allem die Eigentümer bereit sein, sich auf neue Wege einzulassen. Bisher verdienen sie mit einem Bordell deutlich mehr als mit einem Lokal. Mit der Weberstraße könnte nun ein Umdenken einsetzen: Die Besitzer der Immobilie haben sich entschieden, herkömmliche Wohnungen statt Stundenzimmern in den Obergeschossen einzurichten und Munkwitz freie Hand für seine Kneipe zu geben. Den Besitzern gehören weitere Häuser im Viertel, in denen Rotlicht angesiedelt ist. Ihre Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen. Auf StZ-Nachfrage lassen sie aber ausrichten, dass sie sich eine Umnutzung von Rotlicht hin zu klassischer Gastronomie auch in anderen Häusern vorstellen könnten, sollte das Experiment aufgehen.

OB Fritz Kuhn hofft, dass sich bald noch mehr Hausbesitzer für diesen Weg entscheiden; dafür übt er sanften Druck aus. Vor wenigen Tagen hat er in Grundzügen ein neues Konzept vorgestellt, wie er das Leonhardsviertel aufwerten will. Dazu gehört, dass die Stadt konsequenter als bisher gegen die illegalen Amüsierbetriebe vorgehen will; den Eigentümern soll klar werden, dass sie sich um eine legale Nutzung bemühen sollen. Weiter will Kuhn verstärkt auf Einkaufstour gehen: Die Stadt müsse selbst Hausbesitzer im Viertel werden, um mehr Einfluss auf die Entwicklung des Quartiers zu erlangen, so Fritz Kuhn.

Marienplatz zeigt, wie Wandel funktionieren könnte

„Wenn Gastronomie als Mittel der sanften Stadtentwicklung im Leonhardsviertel funktionieren soll, muss die Stadt erst einmal ihre Hausaufgaben machen und die angekündigten Impulse liefern“, sagt ein Experte für Stadtentwicklung. „Dann kann hier vielleicht ein St. Pauli im positiven Sinne entstehen.“ Dass Gastronomie einen Ort nachhaltig verändern könne, zeige der Marienplatz. „Dort war die Stadt Impulsgeber für die Umgestaltung, die Gastronomie hat den Wandel vollendet.“

Dass es im Leonhardsviertel nicht ganz so einfach ist, verdeutlicht das Beispiel des Clubs Bounce. Im Sommer 2008 hatte Marco Sebastian mit seinen Mitstreitern versucht, einen Hip-Hop-Club mitten in der Altstadt zu etablieren. „Nach dreieinhalb Monaten haben wir aufgegeben, weil uns die Nachbarn das Leben schwer gemacht haben. Die hatten kein Interesse, dass unser Publikum ihre Freier stört.“

Ein Club oder eine Diskothek im Viertel hält Janusch Munkwitz für falsch. „Eine höfliche, zurückhaltende Bar kann das Angebot dagegen gut ergänzen.“ Die Champagnerbar Fou Fou sei dafür ein gutes Beispiel. Ihr Betrieb dämmt vor allem an warmen Sommerabenden die Prostitution am oberen Ende der Leonhardsstraße ein: Freier haben bei ihrem Triebabbau eben ungern Publikum.

Gastronomie im Stuttgarter Leonhardsviertel

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