Rückhalt aus Russland Armeniens Premier plant Wiederaufbau Karabachs

Inmitten einer schweren innenpolitischen Krise kündigt Armeniens Ministerpräsident den Wiederaufbau der Konfliktregion Berg-Karabach an - und trotzt damit Rücktrittsforderungen. Unterstützung kommt aus Moskau. Der Status Berg-Karabachs ist unterdessen weiter unklar.
Eriwan/Baku/Moskau - Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan hat nach dem Ende der Kämpfe um Berg-Karabach einen Wiederaufbau der Konfliktregion und eine Rückkehr der Flüchtlinge angekündigt.
Er sei zwar verantwortlich für die "Misserfolge" im Krieg mit Aserbaidschan, werde sich aber um die Wiederherstellung der Infrastruktur und des normalen Lebens kümmern, sagte Paschinjan am Mittwoch.
Er lehnte damit erneut Rücktrittsforderungen der Opposition ab. Zuvor hatte Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Interview des Staatsfernsehens in Moskau deutlich gemacht, dass er weiter auf Paschinjan setze.
Der Kremlchef warnte vor einem Machtwechsel in Armenien. "Das wäre Selbstmord", sagte Putin mit Blick auf die Absichten der Opposition, das vor einer Woche geschlossene Abkommen zwischen Russland, Aserbaidschan und Armenien über ein Ende der Kämpfe zu kippen.
Mit dem Abkommen hatte Premier Paschinjan sein Land in eine schwere Krise gestürzt. Viele Armenier warfen ihm eine Kapitulation im Konflikt mit Aserbaidschan vor. Die Opposition hatte Paschinjan als "Verräter" beschimpft, immer wieder kommt es zu Protesten und Ausschreitungen in der armenischen Hauptstadt Eriwan.
Seit Samstag seien mehr als 1700 Geflüchtete in Berg-Karabachs Hauptstadt Stepanakert zurückgekehrt, sagte ein Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums. 2000 russische Friedenssoldaten sorgen in Karabach für die Einhaltung der Waffenruhe und sollen auch die sichere Rückkehr von Flüchtlingen gewährleisten.
Paschinjan stellte seinem Volk neben dem Wiederaufbau Berg-Karabachs auch Hilfen für die Familien der getöteten Soldaten in Aussicht. Die Zahl der Toten lag am Mittwoch nach offiziellen Angaben bei 1586. Putin hatte in dem TV-Interview von insgesamt mehr als 4000 Toten auf beiden Seiten des Konflikts gesprochen – und von mehr als 10.000 Verletzten.
Auf Facebook kündigte Paschinjan weitere Maßnahmen für die kommenden Monate an, darunter einen wirtschaftlichen Wiederaufbau seines verarmten Landes und die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Über die Umsetzung dieses politischen "Fahrplans" wolle er Mitte nächsten Jahres informieren. Nötig sei dafür auch eine Umbildung der Regierung, schrieb Paschinjan. Zuvor waren bereits Außenminister und Vize-Außenminister entlassen worden.
Paschinjan sagte, die wichtigste Aufgabe sei nun, den politischen Status von Berg-Karabach festzulegen. Zuständig dafür ist die Minsker Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), deren Vertreter am Mittwoch zu einem ersten Treffen seit Ende der Kämpfe zusammenkamen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow empfing auf Botschafterebene die drei Co-Vorsitzenden der Gruppe aus Russland, Frankreich und den USA. Es sei über "Koordinierungsfragen der weiteren Vermittlungsanstrengungen der drei Länder" gesprochen worden, teilte das russische Außenministerium am Abend mit.
Ein solcher Status könnte eine Autonomiegebiet mit Sonderrechten sein. Aserbaidschan will hingegen nicht über einen Sonderstatus verhandeln. Berg-Karabach sei Teil Aserbaidschans, hatte der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev am Dienstag betont.
Der Konflikt um Berg-Karabach dauert seit rund drei Jahrzehnten. In dem neuen Krieg, der am 27. September begonnen hatte, hat sich das islamisch geprägte Aserbaidschan weite Teile des Anfang der 1990er verlorenen Gebiets zurückgeholt. Das Land berief sich dabei auf das Völkerrecht und sah sich von seinem "Bruderstaat" Türkei unterstützt. Russland gilt als Schutzmacht Armeniens.
© dpa-infocom, dpa:201118-99-379452/5
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