Fahrräder statt Bollerwagen, wandern statt saufen. Himmelfahrt war anders – aber nicht weniger voll. Und der Abstand? Wir haben uns umgesehen und beliebte Ziele in Stuttgart angesteuert.

Stuttgart - Um 10 Uhr ist der Feiertag an der Grabkapelle noch leise. Nur wenige Paare haben sich am Morgen nach oben auf den Württemberg verirrt, einige Radler stehen schnaufend auf dem Gipfel und schauen in den Kessel. Keiner da an einem der beliebtesten Ausflugsziele in Stuttgart – und das am Vatertag? „Die kommen noch“, sagt Doris Grau aus der Kapellen-Verwaltung und zupft ihre Maske zurecht. Der Familie Weigand kommt die Ruhe gelegen. Vater Peter, Mutter Jennifer und Sohn Pirmin sind extra früh losgewandert. „Ich mag wenigen Menschen begegnen“, bekennt Jennifer Weigand. Auch Christoph Kaifel und Corinna Klöble genießen auf den Stufen der Grabkapelle die Ruhe vor der Sturm. „Je früher unterwegs, desto weniger los“, lautet die Devise der beiden Ulmer. An Christi Himmelfahrt sind in Zeiten von Corona die Bedürfnisse eben etwas anders.

 

Es ist der erste Feiertag, an dem in Baden-Württemberg wieder halbwegs Normalität herrscht. Die Gastronomen dürfen wieder bewirten, wenn auch mit strengen Auflagen, außerdem können wieder Personen aus zwei Haushalten miteinander unterwegs sein. Doch klappt das mit dem Abstand und der Disziplin an einem der beliebtesten Wandertage des Jahres? Mathieu Bubeck und Ina Fischer wollen es nicht drauf ankommen lassen. Die Pächter des neuen „1819. Bistro am Wirtemberg“ öffnen ihre Terrasse lieber noch nicht. „Das ist vom Handling her unmöglich“, sagt Mathieu Bubeck. Statt Plätze zuweisen und Namen erfassen zu müssen, verkauft das Duo lieber Getränke und Snacks in Einweckgläsern auf die Hand.

Biergarten am See ist gesperrt, es gibt Kleinigkeiten zum Mitnehmen

Auch am Max-Eyth-See hat sich der Inhaber des beliebten Biergartens auf der Insel dazu entschlossen, den Außenbereich gar nicht erst zu öffnen. Gästelisten führen, ständig Mobiliar und Sanitäranlagen desinfizieren – für Arno Kaul wäre das nicht praktikabel gewesen. „Wir haben 350 Sitzplätze, die von allen Seiten zugänglich sind, wir können das nicht kontrollieren.“ Zwar gibt es Kleinigkeiten zum Mitnehmen, dennoch spricht er von einer bitteren Entscheidung, „für uns und für die Leute“. Tatsächlich sind einige Spaziergänger konsterniert. Mirza Delnezirvic etwa ist extra mit seiner Freundin aus Bad Cannstatt gekommen, um sich im Biergarten niederzulassen. „Wir sind doch alle erwachsene Leute“, sagt er und wirkt enttäuscht.

Ob Arno Kaul gut daran getan hat abzusperren? Einen Ansturm hätte es definitiv gegeben. Schon vor dem Mittag ist es im Park voll. Überall auf den Wiesen haben Familien Campingmöbel und Grills aufgestellt. Die Hähnchenstücke der Familie Radulovic sind um 11.30 Uhr schon so gut wie durch. Die ersten Leute seien um 9 Uhr dagewesen, sagt eine der beiden Töchter. Man merkt: Die Leute gieren danach rauszukommen. Kurz nach Mittag sind sowohl am Birkenkopf als auch an den Bärenseen die Parkplätze restlos belegt. Die Polizei ist überall im Stadtgebiet präsent, aber dezent. Am Nachmittag heißt es aus dem Präsidium: bislang keine Meldungen über Ausuferungen.

Masken tragen die wenigsten, aber um Abstand sind die meisten bemüht

Mit am besten besucht ist am Vatertag erwartungsgemäß der Katzenbacher Hof. Seit mehr als 30 Jahren ist der Biergarten im Spitalwald bei Vaihingen eines der beliebtesten Ausflugsziele in der Stadt. Acht Wochen lang musste der Geschäftsführer Frank Löhle wegen Corona schließen, konnte lediglich To-go-Speisen an den Wochenenden anbieten. Umso wichtiger für ihn, dass an Himmelfahrt etwas geht.

Und die Leute kommen zahlreich. Nicht mit Bollerwagen, sondern vor allem mit dem Rad. Masken tragen wie überall sonst auch zwar die wenigsten, aber die meisten sind um Abstand bemüht. Der Wirt ist gut vorbereitet: aufgestocktes Personal, ein zusätzlicher Bestell-Schalter, ein Leitsystem am Boden. Grill: links einordnen. Flammkuchen: rechts. „Wir haben zwei Tage lang Bierbänke aufgebaut“, sagt Frank Löhle, mehrere Meter liegen zwischen Sitzgruppen. Die Gäste honorieren das. „Besser als davor“, findet Anneliese Sill aus Sindelfingen sogar die Situation. Und auch Frank Löhle merkt man die Erleichterung an. Gerade erst sei eine Polizei-Kontrolle dagewesen, „die waren zufrieden“, berichtet er.

Das Personal trägt Masken und führt Listen

Nichts zu beanstanden gibt es auch im Ausflugslokal Hoftäle im idyllischen Tal zwischen Rams- und Weidachbach. Nach Pächterwechsel und Corona-Warteschleife ist es der erste Öffnungstag für den neuen Wirt Zoran Dragovic. Auf der Terrasse des Vereinslokals der Gartenfreunde Degerloch hat er die Tische weit auseinandergerückt, das Personal trägt Masken, wischt unermüdlich Tische ab und führt Listen. Um 13 Uhr rotiert der gebürtige Serbe in der Küche.

„Keine Zeit“, ruft Zoran Dragovic, während die Bedienungen Hungrige wegschicken müssen. Ausgebucht! Von der Hektik lässt sich die vornehmlich ältere Stammkundschaft aber nicht anstecken. „Ein bisschen Normalität“ genießt Marita Bortlik aus Möhringen gemeinsam mit Bekannten. Am Tisch: Dieter O. Schmid aus Degerloch. Er zelebriert mit einem Gläsle Eierlikör den ersten Feiertag, der sich anfühlt wie früher. „Du merkst richtig, die Leute drückt es raus.“