Zwölf Jahre lang mordete der russische Serienkiller Andrei Tschikatilo, immer wieder entkam er seinen Häschern. Unschuldige wurden gefoltert und zu Geständnissen geprügelt. Schließlich wurde Tschikatilo gefasst, verurteilt und 1994 hingerichtet.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Moskau - 14. Februar 1994: Der 56-jährige Andrei Romanowitsch Tschikatilo wird in den Todestrakt des Gefängnisses von Nowotscherkassk gebracht, einer Industriestadt 30 nordöstlich von Rostow am Schwarzen Meer. Dem ehemaligen Lehrer wird eine Augenbinde übergezogen, er kniet sich nieder. Ein Beamter hält ihm eine Pistole an den Nacken – und drückt ab. Andrei Tschikatilo, einer der grausamsten Mörder der russischen Kriminalgeschichte, stirbt durch Genickschuss.

 

Zwei Jahre zuvor war Tschikatilo vor dem Bezirksgericht seiner Heimatstadt Rostow der Prozess gemacht worden. In dem fast sechsmonatigen Verfahren kamen grausige Details der Morde ans Licht, die Tschikatilo hauptsächlich im russischen Rostow, aber auch in Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg sowie andernorts in Usbekistan und der Ukraine begangen hatte.

Spur des Grauens

Als „Monster von Rostow“ wurde er in den Medien und von der Bevölkerung bezeichnet. Die 54 verhandelten Morde – in der Mehrheit an jungen Frauen und Kindern –, die er zu Zeiten der Sowjetunion begangen hatte, gestand er alle. Er selbst gab an, mindestens 56 Menschen ermordet zu haben. Wahrscheinlich waren es noch mehr, aber viele Opfer wurde nie gefunden.

Das Gericht unter Vorsitz von Richter Leonid Akubschanow verhängte drei Mal die Todesstrafe – für die Morde in Russland, der Ukraine und Usbekistan und wegen der ungewöhnlichen Brutalität der Verbrechen. Tschikatilo, zweifacher Familienvater und gelernter Philologe, nahm das Urteil wortlos hin.

Andrei Tschikatilo wurde 1936 in Jablutschne, einem kleinen Dorf in der Ukrainischen Sowjetrepublik, geboren. Er arbeitete als Nachrichtentechniker, Lehrer und nach seiner Entlassung wegen sexuellen Missbrauchs an Schülerinnen als Lagerverwalter in einer Lokomotivfabrik in Rostow.

Die „verrückte Bestie“, wie er sich selbst titulierte, hinterließ zwischen 1978 und 1990 eine Spur des Grauens: Tschikatilo führte seine Opfer – Mädchen, Jungen, junge Männer und Frauen – in Waldgebiete. Dort vergewaltigte er die Wehrlosen, stach Augen aus, schnitt Geschlechtsteile ab, schlitzte Bäuche auf. Danach verzehrte der Kannibale Teile seiner Opfer. „Wenn ich Blut sah und den Todeskampf, fühlte ich Befriedigung“, bekannte er bei seiner Vernehmung.

Schlamperei, Willkür. dunkle Machenschaften bei der Polizei

Während des Prozesses war es immer wieder zu tumultartigen Szenen im Gerichtssaal gekommen. Angehörige der Opfer forderten die Herausgabe des Angeklagten, um ihn zu lynchen. Bei der Verhandlung waren immer auch Ärzte und Sanitäter zugegen, um Angehörige und Verwandte der Opfer bei Zusammenbrüchen zu versorgen.

Zwölf Jahre hatten die russischen Ermittlungsbehörden nach dem Serienmörder gefahndet, bis sie endlich überführtn und Tschikatilo am 20. November 1990 verhafteten. Insgesamt 127 Kriminalbeamte, dazu eine Sonderbrigade der Moskauer Staatsanwaltschaft und Hunderte von Spitzeln und Lockvögeln waren nötig, um ihn dingfest zu machen.

All diese Jahre lebte Rostow, die südrussische Stadt an der Mündung des Don in Angst und Schrecken. Die Medien hatten immer wieder über „Jack the Ripper“ oder „das Monster“ berichtet. Zu Prozessbeginn lauteten die Schlagzeilen: „Eine Ausgeburt der Hölle“ oder „Der Triebtäter des 20. Jahrhunderts schlechthin“.

Ein Unschuldiger wird hingerichtet

Die Ermittlungen förderten Schlamperei, Willkür und dunkle Machenschaften bei der russischen Miliz, der Staatsanwaltschaft und bei den Gerichten zutage. Zahlreiche Verdächtige waren festgenommen und unter Anwendung von psychischem Druck und sogar Folter zu Geständnissen gezwungen worden.

Einen von ihnen ereilte ein furchtbares Schicksal. Der Ukrainer Alexander Krawtschenko wurde zum Geständnis geprügelt. Er war 20 Jahre alt, als er am 23. März 1982 hingerichtet wurde. Die Ermittler deckten während der Überprüfung einer halben Million Personen 1662 Verbrechen auf, darunter 95 Morde und 245 Vergewaltigungen.

Zwei Mal verhaftet und wieder freigelassen

Tschikatilo war bereits 1979 und 1984 in Verdacht geraten, doch beide Male wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Sich selbst bezeichnete er im Prozess als „Fehler der Natur“.

Sein Leben sei unglücklich gewesen. Eigentlich habe er Agitator und Propagandist sein wollen, sagte er während des Prozesses aus. Ein nach außen schüchterner, unscheinbarer Familienvater, der sich als das „Monster von Rostow“ entpuppte.

Serienmörder und Kannibalen

So wie Fall von Andrei Tschikatilo hat es in der Kriminalgeschichte immer wieder kannibalistische Mörder gegeben. Ein Überblick:

2008: Im englischen Leeds wird ein 36-Jähriger zu 30 Jahren Haft verurteilt, weil er seinen Liebhaber erstochen und danach einen Teil von dessen Oberschenkel gebraten und gegessen hat.

2006: Spektakulärster Fall der jüngeren Zeit in Deutschland: Der als „Kannibale von Rotenburg“ bekannt gewordene Armin Meiwes wird zu lebenslanger Haft wegen Lustmordes verurteilt. Er hatte 2001 einen Ingenieur aus Berlin entmannt, getötet und teilweise gegessen.

2006: In Südafrika wird ein 29-Jähriger zu 18 Jahren Haft verurteilt, weil er eine Dreijährige mit einem Buschmesser getötet und Teile ihres Leichnams verspeist hat.

2001: In Kasachstan wurden zwei Männer zum Tode verurteilt, weil sie sieben junge Prostituierte ermordet hatten. Das Fleisch aßen sie selbst oder boten es nichts ahnenden Verwandten an.

1999: In Finnland mussten sich drei junge Männer und eine Frau wegen Kannibalismus und Mordes vor Gericht verantworten: Die Anhänger eines „Satanskults“ sollen ein Gruppenmitglied gefoltert, umgebracht und Körperteile verzehrt haben.

1994: Jeffrey L. Dahmer, der „Kannibale von Milwaukee“, beging in den USA 17 Morde. In seiner Wohnung wurden tiefgefrorene, gekochte und verweste Reste seiner Opfer gefunden. Im Februar 1992 wurde er zu 15 Mal lebenslanger Haft verurteilt. 1994 wurde er im Gefängnis getötet.

1925: Von 1918 bis 1924 tötete Fritz Haarmann in Hannover mindestens 26 junge Männer und trank von einigen das Blut. Möglicherweise hat er mehr als 100 Jugendliche umgebracht. Er wurde im April 1925 geköpft.

1924: Karl Denke ermordete während des Ersten Weltkrieges mindestens 42 Männer und Frauen. In seiner Wohnung fand die Polizei gepökeltes Menschenfleisch, das er auf dem Breslauer Wochenmarkt verkauft hatte. Nach seiner Verhaftung erhängte er sich am 22. Dezember 1924 in seiner Gefängniszelle.