Bei der Aufarbeitung ihrer Russland-Geschäfte wollte die EnBW die Staatsanwaltschaft unbedingt aus dem Spiel lassen. Das zeigen jetzt aufgetauchte Dokumente.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Auskunft der EnBW war stets die gleiche. Nein, versicherte der Karlsruher Energiekonzern ein ums andere Mal, bei den umstrittenen Russland-Geschäften gebe es keinerlei Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten, schon gar nicht für Korruption. Daher habe man auch nicht die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

 

Die Staatsanwaltschaft selbst sah das deutlich anders, als sie aus den Medien – vorneweg der Stuttgarter Zeitung – Näheres über die Verbindung der EnBW mit dem Moskauer Lobbyisten Andrey Bykov erfuhr. Seit drei Monaten ermittelt die Mannheimer Schwerpunktabteilung für Wirtschaftskriminalität nun gegen sieben teils aktive, teils ehemalige EnBW-Manager. Geprüft wird der Verdacht der Steuerhinterziehung, weil Zahlungen an die Bykov-Firmen zu Unrecht als Betriebsausgaben abgesetzt worden seien, und der Verdacht der Untreue wegen fragwürdiger Verträge zu Lasten des Konzerns. In beiden Fällen geht es um zweistellige Millionenbeträge. Das Verfahren laufe, ein Abschluss sei derzeit nicht absehbar, sagt der Behördensprecher lediglich dazu. Man arbeite konstruktiv mit den Staatsanwälten zusammen und habe „umfangreiche Unterlagen zur Verfügung gestellt“, versichert die EnBW.

Ein verräterisches Dokument

Aber warum erst jetzt? Konnte oder wollte der Konzern die strafrechtliche Relevanz nicht selbst erkennen? Entgegen den öffentlichen Verlautbarungen war diese sehr wohl ein Thema. Genau jene Vorwürfe, deretwegen jetzt ermittelt wird, wurden intern heiß diskutiert. Die Hauptsorge der „Aufklärer“ um den scheidenden Konzernchef Hans-Peter Villis und seinen Chefaufseher Claus Dieter Hoffmann schien freilich zu sein, wie man die Justiz aus dem Spiel halten könne. Davon jedenfalls zeugen vertrauliche Unterlagen, die niemals öffentlich werden sollten, aber im Zuge der Schiedsgerichtsverfahren mit den Bykov-Firmen dann doch durchsickerten.

Besonders verräterisch liest sich ein Dokument vom April 2011, bei dem die Schwärzung von Passagen offenbar fehlgeschlagen war. Es handelt sich um einen Sachstandsbericht zum Komplex „Uri“, so der Deckname für die Aufarbeitung der Russland-Affäre. Geschildert wird das Tauziehen mit den Betriebsprüfern des Finanzamtes, die die Millionenzahlungen an die Bykov-Gruppe wohl partout nicht als steuermindernde Betriebsausgaben anerkennen wollten. Es bestehe „das latente Risiko einer Abgabe an die Staatsanwaltschaft“, warnt der Verfasser, sollten die Prüfer einen bestimmten Paragrafen im Einkommenssteuergesetz heranziehen; darin gehe es um „Bestechungshandlungen von Amtsträgern, auch im Ausland“. Kein abwegiger Verdacht: mit einem Teil der EnBW-Millionen will Bykov in Russland „Landschaftspflege“ betrieben haben.

Ein EnBW-Deal ganz eigener Art

Doch nach einer Besprechung Ende März gab es Entwarnung: „Hauptziel erreicht, Abgabe der Angelegenheit an die Staatsanwaltschaft wurde vermieden.“ Bei der Absetzbarkeit blieben die Prüfer zwar hart, aber sie seien „bereit, auf Benennung des Rechtsgrunds“ für ihre Weigerung zu verzichten. Das zuständige Finanzamt, so die Einschätzung, werde „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ mitspielen: dem Fiskus winkten schließlich stattliche Mehreinnahmen, im für die EnBW schlimmsten Fall 72 Millionen Euro zuzüglich Zinsen.

Das klingt, wenn es denn so kam, nach einem EnBW-Deal ganz eigener Art: der Staat kommt an sein Geld, dem Unternehmen bleibt die Einschaltung der Staatsanwaltschaft erspart – und damit, so hoffte man wohl, das Bekanntwerden der hochnotpeinlichen Affäre. Die Vertreter des für alle Großunternehmen zuständigen Konzernprüfungsamts Stuttgart könnten einen solchen Handel, den es offiziell gar nicht geben dürfte (siehe Infoelement), indes nicht alleine besiegeln. Bei einem solchen Betrag und einem schon damals halbstaatlichen Unternehmen, sagen Insider, brauche man natürlich das Plazet des Finanzministeriums. Die Frage, ob das damals noch CDU-geführte Ressort eingebunden war, lässt die neue SPD-Führung unbeantwortet. Der amtierende Leiter des Konzernprüfungsamts eilte unmittelbar nach der StZ-Anfrage ins Ministerium, danach durfte er nichts mehr sagen.

Untreue war schon früh ein Thema

Auch der zweite Verdacht der Staatsanwaltschaft wurde intern schon früh thematisiert. „Sachverhalte bieten Anlass zur Annahme eines Anfangsverdachts bezüglich Untreue“, heißt es in dem Dokument. Entwarnung konnte der Verfasser hier nur halb geben: Es bestehe zwar „keine Pflicht zur Selbstanzeige“, aber die Staatsanwaltschaft könne „aus anderen Quellen (z. B. Zeitung, anonyme Anzeige) Kenntnis vom Sachverhalt“ erlangen. Dann müsse sie ermitteln, weil es sich um ein sogenanntes Offizialdelikt handele. Medienanfragen – die StZ recherchierte seit 2010 – beantwortete die EnBW zwar lange restriktiv. Von der strafrechtlichen Aufarbeitung durch den Stuttgarter Rechtsanwalt Dietrich Quedenfeld etwa war offiziell nie die Rede; genannt wurden nur die Prüfer von KPMG und Freshfields. Aber am Ende ließ sich die Affäre doch nicht unter der Decke halten.

Höchstrangiger der sieben Beschuldigten, die von der Justiz nicht namentlich genannt werden, ist der Technik-Vorstand Hans-Josef Zimmer. Auf StZ-Anfrage bestätigte er erstmals offiziell, dass sich die Ermittlungen auch gegen ihn richteten; ihm sei jedoch nicht bekannt, worauf sich der Anfangsverdacht stütze. Erst im vorigen Dezember war Zimmer – nach einem Rückzug wegen der Russland-Affäre – erneut für fünf Jahre in den Vorstand berufen worden, ebenso wie der für die rechtliche Aufarbeitung zuständige Rechtsvorstand Bernhard Beck. Nach dem Aus für Konzernchef Villis wollten auch die Vertreter der neuen, grün-roten Landesregierung so ein „Zeichen der Kontinuität“ setzen.

Aufseher des Landes im Zwiespalt

Wussten die Minister Nils Schmid (SPD) und Silke Krebs (Grüne), dass wegen der auch von Zimmer unterzeichneten Verträge eine mögliche Untreue zur Debatte stand? Warum drangen sie dann nicht auf die Einschaltung der Staatsanwaltschaft? Oder stimmten sie der Bestellung arg- und ahnungslos zu? Die Russland-Geschäfte fielen ganz, deren Aufarbeitung weitgehend in die Zeit vor dem Einzug der Minister in den Aufsichtsrat, betont ein Regierungssprecher. Seither seien diese „fortlaufend und umfassend über den Sachverhalt und die vom Unternehmen EnBW eingeleiteten Maßnahmen informiert“ worden; fast wortgleich äußert sich der Konzern. Die abstrakte Frage, ob er Hinweise auf strafbare Handlungen in einem Landesunternehmen für sich behalten oder der Justiz melden würde, beantwortete Finanzminister Schmid kürzlich so: „Bislang war ich noch nicht in dieser Zwickmühle.“

Die Bedingungen für Zimmers neuen Vertrag legen allerdings die Vermutung nahe, dass der Aufsichtsrat die Problematik zumindest erahnte. Falls es zu einer „strafrechtlichen Anklage“ komme, werde die Bestellung widerrufen, erfuhren nachbohrende Aktionäre bei der Hauptversammlung. Der Atomexperte, den die EnBW wegen der Russland-Geschäfte auf 80 Millionen Euro verklagt, sitzt also auf einem Schleuderstuhl. Wenn der neue Konzernchef Frank Mastiaux die Klagen gegen Zimmer und drei weitere Ex-Manager nicht zurückzieht, dürfte es zudem bald zu einem Showdown vor dem Zivilgericht kommen. Die EnBW prozessiert gegen ihren gerade wiederbestellten Technikchef – bei einer solchen Verhandlung wäre dem Konzern die gefürchtete öffentliche Aufmerksamkeit im Übermaß gewiss.