Der Millionen-Poker zwischen der EnBW und dem Moskauer Lobbyisten Andrey Bykov wird härter: In einer Anzeige werfen die Russen dem Konzern Prozessbetrug vor. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war der einzige Sieg für die EnBW im Rechtsstreit mit dem russischen Lobbyisten Andrey Bykov. Drei Klagen verlor der Karlsruher Konzern vor internationalen Schiedsgerichten, wo er wegen angeblich nicht erfüllter Verträge viel Geld zurückforderte. Doch die verklagten Schweizer Bykov-Firmen durften insgesamt fast 95 Millionen Euro behalten – unter anderem wegen „nicht ausreichender Klarheit“ der Verträge. Nur einmal gewann die EnBW-Kernkraftgesellschaft EnKK: ein Schiedsgericht in Stockholm sprach ihr vor bald zwei Jahren 24,5 Millionen Euro zu, weil eine 2007 mit der Eurepa Suisse vereinbarte Uranlieferung ausgeblieben sei. Man gehe davon aus, „dass Herr Bykov die Gepflogenheiten internationaler Handelsbeziehungen achtet“ und alsbald die Zahlung veranlasse, schrieb die damals noch von Hans-Peter Villis geführte EnBW.

 

Die Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Auch unter Villis’ Nachfolger Frank Mastiaux wartet das Unternehmen noch auf die Millionen aus der Schweiz. Die Auseinandersetzung mit Bykov ging nach dem Urteil weiter und gewinnt gerade wieder an Schärfe. Der Moskauer Geschäftsmann führt sie zunehmend öffentlich, indem er auf seiner Internetseite schwere Vorwürfe gegen die damals Verantwortlichen erhebt und diese mit internen Dokumenten garniert. Zudem löste er ein neues, bisher nicht bekanntes Ermittlungsverfahren gegen EnBW-Manager aus: Aufgrund einer Anzeige aus seinem Umfeld prüft die Staatsanwaltschaft Mannheim den Vorwurf des Prozessbetrugs – just in jenem Verfahren, dass die Karlsruher gewonnen hatten.

Schweiz friert Bykovs Millionen ein

Offenbar hat Bykov Zahlungsprobleme, weil er selbst ins Visier der Justiz geraten ist. In der Schweiz, dem Stammsitz seines einstigen Firmengeflechts, ermittelt seit 2012 die Eidgenössische Steuerverwaltung gegen ihn. Es soll um jene Gewinne gehen, die an seine wohltätige Nikolaus-Stiftung in Russland geflossen sind. Er hält die Vorwürfe für unbegründet und vermutet dahinter eine aus Deutschland gesteuerte Intrige. Jedenfalls wurden Unterlagen sichergestellt, Computer beschlagnahmt, und – am folgenschwersten – sein in der Schweiz deponiertes Vermögen eingefroren: dem Vernehmen nach ein dreistelliger Millionenbetrag und hohe Goldbestände.

Vor diesem Hintergrund ringen Bykov und die EnBW um den ausstehenden Schadenersatz. Im Sommer 2012 leiteten die Karlsruher nach eigenen Angaben ein Vollstreckungsverfahren gegen Eurepa ein, das derzeit in der letzten Instanz sei. Im Frühjahr 2013 beantragten sie in Zürich obendrein ein „Rechtsöffnungsverfahren“. Zugleich liefen intensive Gespräche über einen Vergleich. Um die leidige Sache endlich abzuschließen, wäre die EnBW offenbar zu gewissen Abstrichen bereit. Doch die Chancen auf eine Einigung schwinden zusehends. Zuletzt bot Eurepa an, das einst zugesagte Uran doch noch zu liefern: jene 185 825 Kilo, die seinerzeit vereinbart waren, stünden abrufbereit zur Verfügung; man müsse nur noch die Liefermodalitäten besprechen. Die EnBW indes ließ die Offerte umgehend zurückweisen. Für den Kernbrennstoff bestehe „heute schlicht kein Bedarf mehr“, bestätigte das Unternehmen der StZ. Kein Wunder: damals, vor der Energiewende, betrieb man vier Atommeiler, heute sind nur noch zwei davon übrig.

EnBW: Anzeige als „Werkzeug“ im Zivilverfahren

Die im Sommer 2013 erstattete Strafanzeige wegen Prozessbetrugs sieht die EnBW offenbar als weiteren Schachzug in dem Millionenpoker. „Sie kann als strafrechtliches Werkzeug verstanden werden, mit dem Eurepa versucht, zivilrechtliche Ansprüche durchzusetzen“, teilte der Konzern mit – nämlich der gerichtlich festgesetzten Zahlung zu entgehen. Inhaltlich halte man sie für „unberechtigt“. Die Staatsanwaltschaft bejahte freilich einen Anfangsverdacht und nahm Ermittlungen auf, wie der Sprecher der Wirtschaftsabteilung der StZ bestätigte. Die Anzeige richte sich gegen „sechs Mitarbeiter der EnBW“ – offenbar die frühere Spitze der Kernkraft-Gesellschaft und die Konzernjuristen. Wie lange das Verfahren dauern werde, sei nicht absehbar. Es hänge von den Ermittlungen in der Hauptsache ab, wegen Untreue und Steuerhinterziehung gegen sieben EnBW-Manager – darunter der amtierende Technikvorstand Hans-Josef Zimmer. Gerade erst habe man „bei einem Zeugen in München weitere Beweismittel erhoben“, die erst einmal ausgewertet werden müssen.

Gegenstand der Anzeige ist ein Dokument, das auch schon das Stockholmer Schiedsgericht beschäftigte: Es trägt die Unterschrift zweier inzwischen pensionierter EnKK-Manager, darunter einer Schlüsselfigur der Affäre, des einstigen Geschäftsführers Wolfgang Heni. Beide wollen es freilich nie unterschrieben haben. Mithin handele es sich um eine Fälschung, argumentierten die EnBW-Juristen. Die Echtheit sei inzwischen zweifelsfrei erwiesen, erwidert Bykov und spricht von einer „versuchten Irreführung“ des Gerichts. Aus EnBW-Sicht spielte das Papier für das Urteil hingegen keine Rolle.

Interesse an Kernkraftwerk in Kaliningrad

Die Vorauszahlungen für die Uran-Lieferung, so der Inhalt des Dokuments, könnten auch mit zwei anderen Projekten verrechnet werden: der Beteiligung der EnBW an einem geplanten Kernkraftwerk in Kaliningrad (früher Königsberg) oder an Gasfeldern in Sibirien. Beide Vorhaben waren unter Villis tatsächlich ein Thema, beidesmal war Bykov im Spiel. „Boracay“ lautete der Codename für das milliardenschwere Gasgeschäft, das „aus wirtschaftlichen Gründen“ dann doch nicht zustande kam – wie Jahre zuvor schon ein ähnliches Projekt. Für seine Dienste, hieß es, sei der Lobbyist angemessen entlohnt worden. Auch am Kernkraftwerk Kaliningrad, an dem sich ausländische Investoren beteiligen können sollten, war EnBW „grundsätzlich“ interessiert. Ein entsprechendes Schreiben ging 2008 an die russische Regierung. Die Pläne hätten sich aber nie konkretisiert, versicherte der Konzern noch unter Villis. Es könne mithin keine Rede davon sein, dass der Vorstandschef den deutschen Atomausstieg im Osten unterlaufen wollte.

Beim öffentlichen Tauziehen zwischen Bykov und der EnBW geht es derweil auch um die Frage, von wem eigentlich die Initiative zur Aufarbeitung der Russland-Geschäfte ausgegangen sei. „Nicht Hans-Peter Villis war es“, wie von ihm dargestellt, „das war ich“, konstatiert der Russe auf seiner Homepage. Als Beleg veröffentlicht er einen Brief des obersten Konzernjuristen aus dem Jahr 2009. Gerne greife man den Vorschlag auf, schrieb der an Bykov, und lasse die Russland-Projekte von der Konzernrevision durchleuchten; zusammen mit externen Prüfern komme man dazu nach Zürich. Das Treffen fand auch statt. Doch es sei keineswegs der Beginn der Aufklärung gewesen, versichert die EnBW bis heute: Schon drei Monate zuvor habe die Konzernspitze eine „umfangreiche interne Untersuchung“ der Geschäftsbeziehungen zur Bykov-Gruppe eingeleitet.

„Besser ein magerer Vergleich als ein fetter Prozess“

Die Fronten zwischen der EnBW und Bykov hätten sich womöglich nie so verhärtet, wenn die Karlsruher dem Rat eines Vermittlers gefolgt wären. Beide Seiten hatten im Herbst 2010 einen prominenten Rechtsanwalt eingeschaltet: den früheren DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maiziere. Mehrfach traf man sich in dessen Berliner Kanzlei und erörterte, wie der Konflikt entschärft werden könnte. Doch die Bemühungen scheiterten, wohl auch, weil sich de Maiziere im Stockholmer Schiedsverfahren von der EnBW zu Unrecht als Berater von Bykov hingestellt sah; sein „Befremden“ darüber gab er umgehend zu Protokoll. Sein Schreiben nach Karlsruhe endete mit einer Empfehlung, die er als junger Anwalt von seinem Vater bekommen habe: „Mein Sohn, merke Dir: der magerste Vergleich ist immer besser als der fetteste Prozess.“