Von Moskau bis Sankt Petersburg - auf einer Flusskreuzfahrt auf der Wolga kann man die schönsten Seiten Russlands kennenlernen.

Sankt Petersburg - Zäh wie Schmieröl liegt die Wolga vor dem Bug - träge, gleichgültig, als könne sie nichts mehr erschüttern. Viel gesehen hat dieser Fluss über die Jahrhunderte und mit ihm Russland. Der Strom, der längste Europas, strahlt an diesem Abend jene Schwermut aus, die auch der russischen Seele gerne attestiert wird. Ein Rückblick: Es ist noch Sommer, die schönste Zeit für eine solche Reise. Die Viking Truvor, ein eleganter Flusskreuzer, pflügt durch das torfige Wasser. Es ist 22 Uhr, die Sonne steht hoch, noch immer. Je weiter man in Russlands Norden gelangt, desto später wird es finster.

 

Am Ziel dieser Reise, in Sankt Petersburg, legt sich im Juni und Juli jede Nacht gar nur eine kurze Dämmerung über die Stadt. Doch bis dahin sind es noch mehr als 1500 Kilometer durch Flüsse, Kanäle und Seen. An Bord bläst der Wind ins Gesicht und den Kopf frei vom Alltag. Er macht Platz für die Gedanken an Moskau, die pulsierende Metropole, die die Truvor erst tags zuvor verlassen hat. Russlands Hauptstadt kommt wuchtig daher. Der Kreml, Russlands Machtzentrum, der weite Rote Platz, die Basilius-Kathedrale mit ihren neun Zwiebelkuppeln in allen Bonbonfarben - die Liste mit Moskaus Wahrzeichen ist lang. Dazu prägen die Stadt monumentale Bauten: die Christ-Erlöser-Kathedrale, die Sieben Schwestern, nach Stalins Launen im sozialistischen Zuckerbäckerstil erbaute Hochhäuser, oder die Metro mit ihren ballsaalgleichen Stationen. Das Gigantische bleibt hängen von Moskau, selbst wenn an Bord des Flusskreuzers der Blick zum Horizont längst wieder frei ist. Genauso aber kleine magische Momente. Wie etwa das junge Paar, das beschwingt über den Roten Platz tanzt, der Kreml und die bunten Kuppeln als monumentalfilmhafte Kulisse. Zwei, drei Drehungen nur, ein eingefangener Moment, der sich einbrennt. Wo ist sie, die russische Schwermut?

Das Gegenüber blickt drein, als wolle man silberne Löffel stehlen

Mit diesen Gedanken geht es weiter gen Norden, auf den Wasserwegen der Zaren, die ihrem Volk nicht nur mit dem Bau der Verbindungskanäle einen hohen Blutzoll abverlangten. Am Ufer stehen kleine, bunte Holzhäuser und zumindest dort, wo Moskau nicht mehr als ein paar Autostunden entfernt ist, große Villen. Vorbei an schaukelnden Ruderbooten mit Fischern. Himmelweite Unterschiede sind ein Charakteristikum im heutigen Russland. Den Menschen näher kommt man kaum, weder in den Städten noch unterwegs. Kein Lächeln, kein freundlicher Blick. Fremden gegenüber schickt sich das nicht. „Warum grinst du wie ein Idiot?“, heißt es gar im Volksmund. Ob die Aufseherin im Museum oder beim Kartenkauf in der U-Bahn: Das Gegenüber blickt drein, als wolle man silberne Löffel stehlen. Eine Schutzmaske, antrainiert während der kommunistischen Diktatur, kultiviert in der Ära Putin, die ja auch nicht unbedingt zu einem offenen Umgang miteinander anregt. Was unfreundlich wirkt, ist nur ehrlich. Aufgesetzt mögen es die Russen eben nicht. Wer sie privat kennenlernt, erlebt hingegen schnell große Herzlichkeit. Doch dafür ist eine solche Reise zu flüchtig. Aber es gibt Ausnahmen. Und die warten meist, wenn niemand damit rechnet.

Eine Kirche im Christi-Verklärungs-Kloster in Jaroslawl, Großstadt an der Wolga. Wie immer hält eine Babuschka Wacht - diese älteren Damen schauen meist besonders grimmig. Ganz anders hier: Sie lächelt so sanft und offen, wie das nur eine Oma kann. Kommt auf die Gäste zu und gibt ungefragt eine kleine Führung. In einem Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch und Russisch erklärt sie einzelne Fresken, lotst mit kleinen Handbewegungen durch die Kirche. Dass wir die Broschüre, aus der sie ihr Wissen hat, am Ende doch nicht kaufen wollen, kommentiert sie mit einem verständnisvollen Abwinken. Ihr Strahlen will sagen: „Ihr habt ja recht, braucht kein Mensch.“ Die Viking Truvor schwebt weiter, Karelien entgegen. Beinahe lautlos, vorbei an grünen Ufern. Das Wasser der Seen und Flüsse auf der einwöchigen Fahrt zeigt sich in allen Schattierungen: bräunlich, grün, anthrazit, im Licht des Sonnenuntergangs spät in der Nacht gar bernsteinfarben. Eintönig wird es nie: schauen, ausspannen, staunen, genießen, immer wieder garniert von kleinen Höhepunkten, wenn das Schiff ein paar Stunden anlegt. Wie etwa an der Insel Kishi im Onegasee, dem nördlichsten Punkt der Reise. Hier ist ein Freiluftmuseum mit rund 80 Holzgebäuden entstanden.

Der Höhepunkt des Ensembles ist die Verklärungskirche, gebaut ohne einen einzigen Eisennagel. Der letzte Anker dieser Reise fällt in Sankt Petersburg. Die Eremitage, der Katharinenpalast mit dem Bernsteinzimmer oder Schloss Peterhof, das russische Versailles: Sehenswürdigkeiten von Weltrang. Die Stadt fühlt sich weit weniger russisch an als Moskau, ist touristischer und könnte überall in Europa liegen. Einzigartig wiederum sind die Weißen Nächte. Trotz eines straffen Besichtigungsprogramms muss das Bett noch warten. Es ist kurz vor Mitternacht, Ziel der Newski-Prospekt, die große Prachtstraße. Die Sonne steht tief, aber sie brennt noch immer in die Gesichter. Die Petersburger Jugend feiert das Ende des Schuljahres, sonnige Lebensfreude mitten in der Nacht. Und von russischer Schwermut keine Spur.

Infos zu Sankt Petersburg

Anreise
Startpunkte für diese Reise sind Moskau oder Sankt Petersburg. Bei vielen Reedereien ist ein Anreisepaket inklusive. Zudem fliegen Lufthansa ( www.lufthansa.com ; etwa Gabelflug ab/an Stuttgart mit Zwischenstopp in München ab etwa 330 Euro pro Person) und Air Berlin ( www.airberlin.com ; z. B. Gabelflug ab/an Stuttgart mit Zwischenstopp in Berlin-Tegel ab etwa 340 Euro pro Person) mehrmals täglich in beide Städte; es wird ein sogenannter Gabelflug benötigt, da der Zielflughafen der Anreise und der Startflughafen der Rückreise nicht gleich sind.

Flusskreuzfahrt
Kreuzfahrtsaison ist von Mai bis Oktober. Für die Einreise nach Russland braucht man ein Visum, das meist die Reederei besorgt und im Reisepreis inbegriffen ist. In beiden Metropolen hat man drei bis vier Tage Zeit und schläft auf dem Schiff, allerdings etwas außerhalb der Stadtzentren - es ist deshalb kein zusätzliches Hotel nötig. Die beschriebene Reise wurde auf dem Schiff Viking Truvor unternommen ( www.viking-flusskreuzfahrten.de ). Viking bietet immer wieder besondere Rabatte an, dann ist eine Doppelkabine pro Person ab 1399 Euro zu bekommen. Weitere Anbieter sind Nicko Tours, www.nicko-tours.de , oder Lernidee Erlebnisreisen, www.lernidee.de.

Allgemeine Informationen
Russisches Fremdenverkehrsbüro in Deutschland, Eisenacher Straße 11, 10777 Berlin; www.russlandinfo.de .