Die Bildungsreferentin des Landesverbandes erhellt in einem Vortrag die Geschichte der Bewegung. Doch in vielen Vereinen fehlt der Nachwuchs.

Rutesheim - Weg mit den alten Zöpfen. Aber nicht bei den Landfrauen in Rutesheim, sondern in den Köpfen der Menschen. Denn die Landfrauen, den meisten durch die Kuchenbuffets bei örtlichen Festen bekannt, sind deutlich mehr als Bäckerinnen mit einem Händchen fürs leckere Stück Kuchen zum Sonntagskaffee.

 

Das hat Rita Reichenbach-Lachenmann, Bildungsreferentin des Landfrauenverbandes Württemberg-Baden, eindrucksvoll vor gut drei Dutzend Teilnehmerinnen in ihrem Vortrag im Rutesheimer Feuerwehrsaal geschildert. Und schon der Ausflug in die Historie zeigt, wie tatkräftige Frauen die Rechte ihrer Geschlechtsgenossinnen, aber auch die Bindung untereinander zu stärken suchten.

Fortbildung als eines der wichtigsten Standbeine

Die Landfrauen als Verein gab es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts, als die ostpreußische Gutsherrin Elisabeth Boehm 1898 den ersten „Landwirtschaftlichen Hausfrauenverein“ gründete. Wesentliche Zielsetzungen des Vereins waren schon damals die Förderung von Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten und die Anerkennung der hauswirtschaftlichen Arbeit als Berufsarbeit. 1934 wurden die Hausfrauenvereine aufgelöst und, wie alle Verbände dieser Art, in den Reichsnährstand zwangseingegliedert. Erst 1947, als die Alliierten das Vereinsverbot in Deutschland langsam lockerten, gründete Marie-Luise Gräfin Leutrum zu Ertingen aus Unterriexingen die ersten Landfrauenvereine im Süden Deutschlands, aus denen der heutige Verband entstanden ist.

Die Gräfin hatte zwei Bedingungen bei der Gründung des Frauenverbandes in ihrer Region: Zum einen sollten die Vereine offen sein für alle Frauen des ländlichen Raumes, nicht nur für Bäuerinnen. Zweitens sollte der Verband eigenständig und nicht anderen, zum Beispiel dem Bauernverband, angegliedert sein.

Der Gräfin sei Dank

Dem Engagement der Gräfin Leutrum ist zu verdanken, dass auch die Rutesheimer Landfrauen bis heute nach eigenen Überlegungen die Ziele verfolgen können, die in der Satzung festgeschrieben sind: „Wir haben in erster Linie einen Bildungsauftrag. Unser Ziel ist die Erwachsenenbildung für Frauen. Und wir sind eine politische Interessenvertretung“, beschreibt die Bildungsreferentin die Aufgaben der Landfrauen. „Wir engagieren uns für die wirtschaftliche, rechtliche und gesundheitliche Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft.“

Dafür stellen die Landfrauen so einiges auf die Beine, ihr Bildungsprogramm ist so bunt gemischt und vielfältig wie es die Vereinsmitglieder selbst sind. Jede Ortsgruppe bietet andere Vorträge, Exkursionen und Kurse zu völlig unterschiedlichen Themenbereichen an. Ob Sprachkurs oder Yoga, ob gemütlicher Nachmittag unter dem Motto „Spielen, stricken, schwätzen“ oder eine Lehrfahrt zum Pforzheimer Gasometer, das Programm ist so vielseitig, dass die Auswahl nicht eben leicht fällt. Reichenbach-Lachenmann erzählt auch von einer Ortsgruppe im Hohenlohischen, die einen Grundkurs in Englisch initiiert hat, „denn die Damen wollen in drei Jahren eine Exkursion nach Cornwall unternehmen“, sagt sie und lacht. Auch für solche Pläne schafft der Verband Raum.

Es fehlt an Nachwuchs

Der Verband ist ein anerkannter Bildungsträger und wird vom Land entsprechend gefördert. Er nutzt das in enormer Vielfalt, trotzdem fehlt es an Nachwuchs. „Aber wir versuchen mit immer neuen Ideen, Frauen für uns zu gewinnen“, erzählt Christa Scheef, die erste Ortsvorsitzende der Rutesheimer Landfrauen. Auch Nichtmitglieder können an den Terminen teilnehmen und den Verband so kennenlernen. Das ist wichtig, denn: „Die Menschen binden sich heute ungleich schwerer“, weiß die Bildungsreferentin. Deshalb nehmen die Landfrauen verstärkt zeitlich begrenzte Kurse ins Programm auf.

Doch auch, wenn die Landfrauen und ihr vielseitiges, auch politisches Engagement in vielen Köpfen noch nicht angekommen ist, zumindest wissen die Stadtoberen von Rutesheim genau, was sie an ihnen haben: „,Das Stadtfest im nächsten Jahr? Nicht ohne meine Landfrauen’, hat unser Erster Beigeordneter Martin Killinger gesagt“, erzählt Christa Scheef. „Diese Wertschätzung tut gut.“

Die Rutesheimer Landfrauen tüfteln mit ihrem Verband schon an der nächsten Idee für eine offene Begegnung: „Ein Frauenfrühstück vielleicht“, überlegen sie, samstags, damit auch Berufstätige den Verband ungezwungen kennenlernen können. Eine gute Gelegenheit, mit alten Vorurteilen aufzuräumen und sich selbst ein Bild zu machen – weg mit dem alten Zopf!