Ein Blick zurück auf 2022: Anfang Juni verbreitet sich in Weil der Stadt eine Nachricht wie Lauffeuer: Ein Toter am Bahnhof. Der Täter führte zuvor ein tadelloses Leben. Was war passiert?

Schlimme Dinge gibt es überall, bloß nicht vor der eigenen Haustüre – denkt man häufig, bis dann tatsächlich etwas passiert, das wachrüttelt. Den Weil der Städtern mag es diesen Sommer mutmaßlich so ergangen sein, als sich nach einem frühsommerlichen Samstagabend die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitete: ein Toter am Weil der Städter Bahnhof. Plötzlich standen, statt wartenden Kleinstädtern, in weiße Schutzkleidung gehüllte Beamte vor dem Bahnhof und an den Gleisen, fotografierten den Tatort und sicherten Spuren wie im sonntäglichen Fernsehkrimi. Was war passiert? Wer war das Opfer? Und warum wurde die Tat überhaupt begangen?

 

Sonderkommission „Kepler“ mit 35 Beamten im Einsatz

Schnelle Antworten auf die vielen Fragezeichen bekamen die Weil der Städter in den Tagen nach der Tat erst einmal nicht. Und überhaupt war rund um die Tat zunächst wenig bekannt. Am Samstag, 4. Juni, war das Opfer, ein 63-Jähriger Mann, in die am Bahnhof wartende S-Bahn gestiegen und wenig später zusammengebrochen. Auch eine Auseinandersetzung mit einem weiteren Mann soll es gegeben haben, unklar war aber zunächst sogar, an welcher Ursache der 63-Jährige überhaupt verstorben war.

Die extra gegründete Sonderkommission „Kepler“, für die 35 Beamte im Einsatz waren, veröffentlichte aus ermittlungstaktischen Gründen vorerst nur sporadisch neue Informationen, wandte sich stattdessen mit Zeugenaufrufen und Bildmaterial von Überwachungskameras an die Bevölkerung. Laut Rüdiger Maier, dem damaligen Leiter der Sonderkommission, war das Hinweisaufkommen aber eher gering – obwohl zum Tatzeitpunkt das Frühlingsfest der Weiler Stadtkapelle stattgefunden und es deshalb erhöhten Betrieb am Bahnhof gegeben hatte.

Nach anfänglichen Sorgen in den sozialen Medien darüber, dass der Täter noch auf freiem Fuß war, konnte die Sonderkommission nur zwei Tage nach der Tat einen Verdächtigen festnehmen. Wenige Monate später folgte dann die Verhandlung vor dem Landgericht Stuttgart. Damit wurden auch neue Details über den 76 Jahre alten Tatverdächtigen bekannt: Ein „tadelloses Leben“ habe der Angeklagte aus Renningen bis zur Tat geführt, hieß es nach dem ersten Verhandlungstermin in unserer Zeitung. Bis zu seinem Ruhestand 2010 war er Abteilungsdirektor mit Prokura bei einer Versicherung und im Anschluss weiterhin als Dozent tätig. Vor Gericht trat er höflich und redegewandt auf.

Richter verurteilt Angeklagten zu lebenslanger Haft

Er und das 63 Jahre alte Opfer kannten sich vom Pfandflaschensammeln – und waren sich nicht gerade zugetan. Im Juli 2020 hatten sich die Wege der beiden erstmals gekreuzt, es gab Streit um Pfandflaschen, der Angeklagte holte sich eine blutende Lippe und eine beschädigte Brille. Auch am Schicksalstag im Juni gerieten die zwei Männer wieder aneinander. Am Bahnhof in Weil der Stadt versetzte der 76-Jährige seinem Opfer diesmal einen Messerstich, der durch den Lungenflügel in die Herzkammer ging, und an dem der 63-Jährige wenige Zeit später starb.

Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert, da der Angeklagte in Notwehr gehandelt habe. Doch das sah der Richter nicht so. Für ihn war klar, dass das Opfer überrascht wurde, es gab keine Abwehrverletzungen. Das Urteil: lebenslange Haft, mindestens 15 Jahre also. „Ich bin bis heute fassungslos über das Geschehen vom 4. Juni dieses Jahres, das mein Leben in einen Abgrund gestürzt hat“, sagte der Angeklagte vor Gericht. Inzwischen hat er, so die Staatsanwaltschaft, Revision eingelegt.

„Keine bleibende Verunsicherung entstanden“

Für das kleine Weil der Stadt, in der die Beamten laut Polizeistatistik hauptsächlich wegen Einbrüchen oder Sachbeschädigungen auf den Plan gerufen werden, war der Vorfall einschneidend. „Natürlich war die Stadtgesellschaft in unserem beschaulichen Weil der Stadt zunächst schockiert“, sagt auch Bürgermeister Christian Walter zur Tat. Inzwischen, besonders nach der Gerichtsverhandlung, ist in Weil der Stadt aber wieder Ruhe eingekehrt. „Mit dem heutigen Wissen über die spezielle Konstellation dieses Einzelfalls ist meinem Empfinden nach nun aber keine bleibende Verunsicherung entstanden“, so der Bürgermeister.