Seit August ist Sandra Vöhringer Schulleiterin an der Schickardtschule. Gemeinschaftliches Lernen sieht sie als Modell, von dem die Gesellschaft profitiert. Auch die PISA-Studie belegt dies.

S-Süd - Freundlich grüßt Sandra Vöhringer ein paar Schüler, die durchs Treppenhaus eilen, ehe sie ihr Reich als Schulleiterin der Stuttgarter Schickhardtschule betritt. Sie wirkt aufgeräumt. Offenbar ist sie in der Gemeinschaftsschule angekommen, an die sie Ende August von Schwieberdingen aus gewechselt ist. „Natürlich muss man den neuen Arbeitsplatz erst einmal kennenlernen“, resümiert sie die ersten Monate. „Ich halte nichts davon, herzukommen und den anderen zu erzählen, wie alles laufen muss. Jede Schule ist anders. Es gilt, ihre Eigenheiten und die gewachsenen Strukturen schätzen zu lernen.“

 

Gemeinschaftliches Lernen stärkt Zusammenhalt

Was Vöhringer in jedem Fall zu schätzen weiß, sind die Chancen, ihre Vision von der Sekundarstufe für die Gemeinschaftsschule zu verwirklichen. Im Landkreis Ludwigsburg ist sie mit diesem Anliegen trotz Unterstützung durch Eltern und Kollegen gescheitert. In Stuttgart sieht es nun vielversprechend aus. Ein entsprechender Antrag liegt dem Kultusministerium vor, und die Schulleiterin ist zuversichtlich, dass eine Genehmigung erfolgt. „Wenn es an einigen Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg möglich ist, Abitur zu machen, es aber ausgerechnet in der Landeshauptstadt nicht funktionieren würde, wäre das schon seltsam“, sagt sie.

Sandra Vöhringer, Jahrgang 1969, ist eine engagierte Verfechterin des ein- oder zweigliedrigen Schulsystems. Die Philosophie, Schüler nach Klasse Vier in unterschiedliche Leistungsstufen aufzuteilen, hält sie für einen Irrweg. „Es gibt keine falschen Schüler für eine Schule“, sagt sie. „Es gibt nur falsche Konzepte.“ Die Pisa-Studien belegten, dass Länder, in denen mehr gemeinschaftlich gelernt werde, erfolgreicher seien. Vöhringers Fokus liegt allerdings nicht auf den messbaren Spitzenleistungen. Sie präferiert das Modell Gemeinschaftsschule auch aus gesellschaftlicher Perspektive: „Der Schultyp, den jemand besucht, geht oft mit einer Stigmatisierung einher“, erklärt sie. Hauptschülern würde oft implizit vermittelt, sie seien ein bisschen dumm, aber dafür ja handwerklich geschickt. Solche Tendenzen trügen zu einer Spaltung der Gesellschaft bei und bremsten viel Potenzial aus. Naiv wirkt die Vision der Schulleiterin vom gemeinsamen Lernen in keinem Moment. Natürlich sei es nicht ausreichend, alle zusammen in einen Unterrichtsraum zu setzen, betont sie. Veränderung bedürfe funktionierender Gesamtkonzepte. Das schließt zusätzliche Finanzmittel ebenso ein wie den Mut, ein Projekt wie die Sekundarstufe an der Schickhardtschule durchzusetzen.

Das benachbarte Schickhardtgymnasium wäre ein idealer Kooperationspartner. Schüler im Schlabber-Look sind an diesem Morgen in der Schickhardtstraße nicht zu sehen. Sandra Vöhringer seufzt, als das Stichwort Jogginghose fällt. Einzelne Medien zeichneten vor Jahren ein verzerrtes Bild der damaligen Rektorin der Schwieberdinger Glemstalschule. Sie wurde als Mode-Diktatorin dargestellt. Im Kern ging es allerdings darum, die Räume einer anderen Lehranstalt mitnutzen zu können, an der Jogginghosen bereits untersagt waren. Unabhängig davon sieht Vöhringer den bewussten Umgang mit Kleidung als interessantes Lern-Feld: „Wir hatten hier vor einiger Zeit Stuttgarter Rotarier zu Besuch, die Bewerbungsgespräche geführt haben“, berichtet sie. „Unsere Schüler hatten sich, dem Anlass entsprechend, besonders sorgsam gekleidet und stellten fest, dass das eigene Auftreten durch Kleidung durchaus beeinflusst wird. Auch das kann zur Chancengleichheit beitragen.“

Als Reizthema ist die Jogginghose wieder angesagt