Der One World Chor mit hiesigen und geflüchteten Sängern schafft Gemeinschaft. Man singt gemeinsam, trinkt Kaffee und hilft sich gegenseitig. Nun sucht die Chorgemeinschaft in Stuttgart-Süd Unterstützer.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Amir Natanaee hat gerade erfahren, dass er wohl nicht in Deutschland bleiben kann, dass er nach Afghanistan abgeschoben werden soll. Der 25-Jährige hat Angst vor diesem fremden, instabilen Land, das er nicht kennt und wohin er zurück soll. Doch in diesem Augenblick sitzt er mit Britta Wente im Café Nachbarschaft des Generationenhauses und soll über den One World Chor erzählen, über seine Erfahrungen und wie es ihm dort ergeht. Und da ist es, als würde bei dem jungen Mann ein Schalter umgelegt, ein Tor in eine andere, schönere Welt sich auftue. Amir Natanaee lächelt. Das Singen im Chor ist für ihn die schönere Seite des Seins. „Und am liebsten würde ich Singer-Songwriter werden.“

 

Die Gedanken sind frei

Jeden zweiten Sonntag treffen sich die zehn bis 20 Sänger des One World Chors im Generationenhaus zur Probe unter professioneller Leitung von Arnd Pohlmann. Die Idee dazu stammte aus den Reihen des Freundeskreises Flüchtlinge Süd in Stuttgart und war aus einem Projektchor entstanden, der erstmals 2015 im Süden beim Willkommensfest gesungen hatte. Es gab noch ein zweites Chorprojekt für einen Gottesdienst mit Asylpfarrer Joachim Schlecht. „Da haben 70 Leute mitgesungen. Und irgendwann haben wir uns gedacht, es wäre schön, nicht immer wieder einen neuen Chor aus dem Boden zu stampfen, sondern regelmäßig zu singen“, berichtete Chorleiter Pohlmann vor einiger Zeit im Gespräch mit einem evangelischen Kirchenvertreter.

Der One World Chor funktioniert nicht wie andere Chöre, zu dessen Proben immer die gleichen Sängerinnen und Sänger erscheinen. Es gibt zwar auch hier einen harten Kern von Stammsängern, aber ansonsten ist die Zusammensetzung bei jeder Probe neu, und auch die Gruppenstärke variiert. Eine klassische Chorarbeit mit Sopran, Alt, Tenor und Bass ist so nicht machbar. „Wir singen in der Regel einstimmig, manchmal teile ich ein in Frauen- und Männerstimmen, in hoch und tief. Mehr geht nicht“, erklärt Arnd Pohlmann.

Dafür schwingt viel Herzblut mit. „Jeder kann ein Lied aus seiner Heimat vorschlagen, das wir zusammen einstudieren“, sagt Amir Natanaee. So ist im Chor auch musikalisch fast jede Nation vertreten. Zum Repertoire gehören syrische, irakische und eritreische Lieder ebenso wie „Die Gedanken sind frei“ von Hoffmann von Fallersleben oder der Popschlager „Wunder gescheh’n“ von Nena.

Fremdartige Melodien

Hinter dieser Musik steckt viel Arbeit: Die Texte werden in die lateinische Schrift übertragen, dann übersetzt. Schließlich will ja jeder wissen, was er singt. Im Anschluss werden die Melodien einstudiert, was nicht leicht ist, weil die meisten keine Noten lesen können und, weil beispielsweise arabische Melodien für deutsche Ohren nicht sehr eingängig sind und umgekehrt. Es dauert, bis das sitzt. Andererseits, sagt Chorsängerin Britta Wente, „ist es einfacher, eine fremde Sprache zu singen als zu sprechen. Vielleicht liegt es am Rhythmus.“ Natanaee schöpft aus dem gemeinsamen Singen auch Inspiration für die Lieder, die er selber schreibt – wenngleich vorerst nur für sich im Stillen. Außerdem, sagt er, habe er in der Chorgemeinschaft Freunde gefunden. „Wir helfen uns einfach gegenseitig – bei Krankheit, Sprachproblemen oder sonst etwas.“

Jetzt benötigt der Chor Unterstützung, um weitersingen zu können: Er braucht Sänger und Spender. Die nächsten Proben sind am 17. November und 1. Dezember, jeweils um 15 Uhr im Generationenhaus Heslach. Spendenkonto: Evangelische Kassengemeinschaft, IBAN: DE96 6005 0101 0002 9150 21; Verwendung: „Spende Freundeskreis Böblinger Straße One World Chor“.