Im Lockdown fehlt zwei Profi-Sängerinnen der Kontakt zum Publikum. Deshalb treten sie nun regelmäßig vor dem Alten Schloss in Stuttgart auf – und bezaubern ihre Laufkundschaft.

Stuttgart - Man traut kaum seinen Ohren: Welch wunderbarer Gesang weht von irgendwo her mitten in der Innenstadt? Das klingt anders als übliche Straßenmusik, das lässt von lang entbehrter Oper und Konzert träumen. Magisch angezogen folgt man den Klängen und entdeckt ihren Ursprung: Magdalena Fischer (39), Mezzosopran, und Eleonore Majer (55), Sopran, zwei Künstlerinnen mit klassischer Gesangsausbildung, die den Platz vor der Kulisse des Alten Schlosses zu ihrer Bühne gemacht haben.

 

Gerade sind die letzten jubilierenden Töne des Blumen-Duetts aus der Oper „Lakmé“ von Leo Delibes verklungen, da nutzt ein Herr die kurze Unterbrechung des Konzerts: „Sie singen playback?“, fragt er misstrauisch und deutet auf das technische Equipment, das die Sängerinnen vor sich aufgebaut haben. „Nur die Klavierbegleitung kommt aus der Konserve“, gibt Eleonore Majer Auskunft. Und lässt auf seinen immer noch skeptischen Blick einfach noch mal ihren hohen Sopran für ein paar Takte der Blumenarie erklingen. Überzeugender kann die Antwort nicht ausfallen. Das zahlreiche Publikum, das andächtig verharrt und lauscht, applaudiert beglückt und verzückt. Und belohnt die Künstlerinnen großzügig, wie der Blick ins Obolus-Kästchen zeigt.

Es gibt Ratschläge, Bitten und Aufträge

Das Glück ist auf beiden Seiten. „Wir erleben so viel Unterstützung und spüren, dass sich die Menschen freuen, persönlich berührt und auch gerührt sind, weil Musik starke Emotionen auslöst“, berichten Magdalena Fischer und Eleonore Majer. Immer wieder kämen Zuhörer auf sie zu. Mit nett gemeinten Ratschlägen: ob sie schon mal daran gedacht hätten, zur Oper zu gehen. Oder ob sie von der Oper seien. Auch mal mit einer Bitte wie jener Dame, die das Blumen-Duett noch einmal hören wollte, weil es die Lieblingsarie ihres Vaters war. Auch, wie jüngst, mit einem Auftrag: beim Geburtstag der Mutter aufzutreten. Was die beiden Künstlerinnen, die man für festliche oder auch traurige Anlässe buchen kann (E-Mail: ellen.magdalena@web.de), mit Freude erfüllt haben.

Ihr Repertoire mit Arien, Duetten, Kunstliedern reicht von Purcell über Mozart, Brahms, Puccini, Offenbach, Mendelssohn-Bartholdy bis Rachmaninow. Magdalena Fischer singt die Habanera, „obwohl ich gar kein Carmen-Typ bin“, Eleonore Majer schlüpft in die Rolle des Cherubino aus „Figaros Hochzeit“, und zur Barcarole aus „Hoffmanns Erzählungen“ habe einmal, erzählen sie, ein zufällig vorbeikommender Balletttänzer spontan getanzt. Die beiden genießen diese Nähe zu ihrem Publikum, „es ist wunderbar, dass hier die Distanz wegfällt“. Die Markthändler würden sie sogar manchmal mit kleinen Geschenken, einer Brezel oder Blümchen, überraschen. Ihr Gesang schafft eine Atmosphäre von heitererer Leichtigkeit, die, wer weiß, sogar die Lust auf Blumen fördert. Wie auch immer: Plötzlich und unverhofft klassischen Gesang hören zu dürfen, einfach so auf der Straße, völlig unprätentiös und dabei hochvirtuos, verschönt den Tag und klingt lange nach. „Tage mit einem solchen Auftritt“, bekräftigt Eleonore Majer, „geben mir einen besonderen Kick und euphorische Freude.“

Eine Kollegin aus Berlin gibt den Anstoß

Natürlich ist es dem Lockdown zu verdanken, dass die beiden Künstlerinnen zu Straßensängerinnen wurden. „Aus der Not geboren“, weil ihnen die Bühne für ihre Kunst und das Publikum fehlten. Als Magdalena Fischer im Oktober von einer Kollegin hörte, dass sie in Berlin den Auftritt als Straßensängerin gewagt habe und großen Erfolg ernte, war das wie eine Initialzündung. Sich allein zu präsentieren, dafür habe ihr freilich der Mut gefehlt, erzählt sie jetzt: „Ich habe überlegt, wer ist verrückt genug und hat Zeit mitzumachen.“ Eleonore Majer war die Richtige. Die beiden haben sich in der Gächinger Kantorei, dem renommierten Chor der Bach-Akademie unter der Leitung von Helmuth Rilling, kennengelernt und auf einer Tournee durch Südamerika angefreundet.

Eleonore Majer war immer schon abenteuerlustig. Inspiriert von Plácido Domingo zog es die gebürtige Sindelfingerin nach Mexico City, wo sie an der Hochschule für Musik ihr Gesangsstudium absolvierte, das sie um ein weiteres Studium der Gesangspädagogik am Mozarteum in Salzburg ergänzte. Magdalena Fischer aus Filderstadt legte Staatsexamen und Diplom für Schulmusik und Gesang an der international renommierten Hochschule für Musik in Detmold ab. Aus dem Schuldienst wurde dann nichts, doch als Gesangspädagogin und Musikvermittlerin für Chorgesang arbeitet sie heute oft in Schulen für das Projekt der Gaechinger Cantorey – so der heutige Name der Formation von Chor und Orchester – zur Förderung von Kindern und Jugendlichen. Außerdem singt sie im Kammerchor Stuttgart von Frieder Bernius und leitet einen Frauenchor in Neuhausen. „Man muss flexibel sein“, pflichtet Eleonore Majer bei.

Erster Auftritt im strömenden Regen

Beinahe buchstäblich zum Sprung ins kalte Wasser wurde der erste Auftritt als Straßensängerinnen. „Jetzt oder nie“, hätten sie an einem Sonntag im Oktober ihren ganzen Mut zusammengenommen und seien losge-zogen zur Johanneskirche, obwohl es in Strömen geregnet habe. „Wir haben angefangen zu singen, und es war wie ein Magnet: Alle Spaziergänger unterm Schirm blieben stehen, hörten zu, applaudierten und spendeten. Wir waren ganz glücklich.“

Das sind sie immer noch. Eleonore Majer verrät, was für sie der größte Gewinn ist: „Dass wir uns getraut haben. Das hat uns verändert.“ Darum werden sie ihre Freiluft-Auftritte auch nicht einstellen, wenn der Lockdown endlich vorbei ist: „Wir machen weiter, solange wir Wertschätzung spüren.“ Das nächste Mal am 6. März um 13 Uhr am Schillerplatz. Und sie hegen einen Plan: eine Reise in den Süden, die sie mit Singen finanzieren. Der Erfolg ist ihnen im Land der Canzone und des Belcanto sicher.