Die erste Saison der drei neuen Staatstheater-Intendanten Burkhard C. Kosminski, Viktor Schoner und Tamas Detrich ist vorbei. Schauspiel, Oper und Ballett legen ihre Saisonzahlen vor. Doch die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Gibt es eine Steigerungsform des Adjektivs „ausverkauft“? Das Stuttgarter Ballett jedenfalls war in der an diesem Wochenende zu Ende gehenden Saison 2018/19 noch ausverkaufter als zuvor. Nach den vorläufigen Abschlusszahlen der Stuttgarter Staatstheater, die unserer Zeitung vorliegen, konnte der neue Intendant Tamas Detrich mit seiner Kompanie alles steigern, was auch unter seinem Vorgänger Reid Anderson schon gut war: die Zahl der Vorstellungen (von 112 auf 119), die Zahl der Besucher (von 116 000 auf 125 000) und last not least die Einnahmen: von 5,1 auf 5,4 Millionen Euro, eine Steigerung von 4,6 Prozent.

 

Und dann ist da natürlich die sagenhafte Auslastungsquote: nunmehr 98 Prozent (zuvor 96). In Stuttgarter Ballett-Vorstellungen bleiben Zuschauerplätze nur zufällig frei. „Das Einspielergebnis der Sparte lag deutlich über den Erwartungen und dem Vorjahresergebnis“, sagt dazu Marc-Oliver Hendriks, der Geschäftsführende Intendant. „Es handelt sich damit um eine der wirtschaftlich erfolgreichsten Spielzeiten in der Geschichte des Stuttgarter Balletts.“ Und auch Tamas Detrich zeigt sich kurz vor seinem Saisonfinale äußerst zufrieden: „Mich freut vor allem der Zuspruch der Zuschauer. Ich wollte die Neugierde unseres Publikums durch eine große Vielfalt an Stilen und Choreografen wecken.“ Er sei „überglücklich über die eindeutige Unterstützung durch die Zuschauer“ – und natürlich „wahnsinnig stolz auf unsere Tänzerinnen und Tänzer.“

Im Schauspiel waren die Startbedingungen kompliziert

Nach einer Punktlandung sehen die Zahlen im Schauspiel aus: Die Auslastungsquote der letzen Spielzeit von Armin Petras wurde wieder erreicht (79 Prozent). Doch der neue Intendant Burkhard C. Kosminski hatte harte Startbedingungen: Wegen Bauarbeiten konnte er erst Mitte November am Schauspielhaus starten, seine Saison war mithin rund zwei Monate kürzer als die der Kollegen. So kommt er auf hundert Vorstellungen weniger als sein Vorgänger Petras (326 statt 426), was sich dann natürlich auch in den absoluten Zuschauerzahlen niederschlägt: 109 000; die Saison zuvor 118 000). Hendriks: „Im direkten Vergleich zu einem entsprechend verkürzten Vorjahreszeitraum konnte das Schauspiel die Besucherzahlen leicht steigern.“ Und was gar nicht in die Statistik eingegangen ist, sind die rund 50 000 Besucher der „Probegrube“ des Künstlers Tobias Rehberger im Schlossgarten.

„Es ist sehr schön zu spüren, dass nach der anfänglichen Skepsis das Vertrauen ins Schauspiel Stuttgart als Ort der Kunst und des Dialogs wieder da ist“, kommentiert Schauspielchef Kosminski die Zahlen. Aber er sieht für sich noch Luft nach oben: „Eine der nächsten Aufgaben besteht darin, deutlich mehr Abonnenten zu gewinnen.“ Die seien zu Beginn seiner Intendanz auf einem historisch niedrigen Stand gewesen. „Die Zahlen konnten wir bislang noch nicht so steigern, wie wir uns das gewünscht hätten.“

In der Oper ist noch Luft nach oben

Und die Oper? Deren Zuschauer-Abwärtstrend zeichnete sich bereits im Lauf der Saison ab. Im Staatstheater ist man froh, dass die Auslastungsquote schlussendlich doch bei über 70 Prozent verblieben ist; aber sie ist nun mal von 74 auf 71 Prozent gesunken. Die Oper hat zwar unterm Strich 3000 Besucher mehr erreicht als in der letzten Saison von Jossi Wieler, dieses Plus ist aber nicht in Stuttgart selbst, sondern auf Gastspielen erzielt worden. Die hiesige Zuschauerzahl ist trotz gestiegener Zahl an Vorstellungen praktisch gleich geblieben (aufgerundet 194 000), die Summe der Einnahmen von 7,8 auf 7,5 Millionen Euro gesunken. Erfolgreich verlaufen ist der Start des „Join“, also der Jungen Oper im Nord: Die Zuschauerzahlen stiegen in dieser Teilsparte von 8229 auf 8907.

Die Suche nach Gründen für dieses sicher nicht befriedigende Opern-Ergebnis fällt dem Intendanten Viktor Schoner nicht leicht: „Wir alle, die wir an der Staatsoper arbeiten, spüren die große Begeisterung des Publikums.“ Und tatsächlich: Nicht nur die Premieren der Saison fanden mehrheitlich Zustimmung, auch der neue Generalmusikdirektor Cornelius Meister erntet mit seiner unprätentiösen Art und neuen Ideen viel Sympathie. Schoner weist auf viele Projekte hin, „die ohne Ticketing funktionieren, etwa das populäre neue Wilhelma-Konzert oder die Gläserne Opernwerkstatt“. Ansonsten „mag die prozentuale Auslastung einem demografischen Trend in Deutschland geschuldet sein“. Zudem seien „stabile Zahlen in Zeiten des Umbruchs und der Erneuerung kein schlechtes Signal. In der hiesigen Wirtschaft ist Ähnliches zu beobachten.“ In der neuen Saison werde die Oper die „Öffnung des Hauses und die umfangreiche Vermittlungsarbeit für alle Altersgruppen“ fortsetzen.

Dass die Staatstheater insgesamt, also inklusive aller Gastspiele, in der Saison 2018/19 nunmehr 430 000 Besucher zählen konnten, 3000 mehr als in der Saison zuvor, und dass die Einnahmen summa summarum nur um 0,7 Prozent auf jetzt 14,8 Millionen Euro gesunken sind, haben die Bühnen also vor allem dem Ballett zu verdanken. Diese Sparte kann aber seinen Spielplan-Output derzeit kaum noch steigern. Mit anderen Worten: In der kommenden Saison müssen alle ran.