Am Wochenende steigt auf dem Stuttgarter Wasen das zweitägige Kessel-Festival. Mit dabei: die in Ludwigsburg lebende Sally Grayson, die 2016 für „The Voice of Germany“ gecastet wurde.

Stuttgart -

 

Auf der Bühne, mit Gitarre und nietenbesetzter Lederjacke, scheint Sally Grayson komplett zu sein. Mit ihrer Independent-Band „Black Swift“ hat die aus Michigan stammende Sängerin gerade ihre EP „Desert Rain“ mit vier neuen Songs im Stuttgarter Club Cann vorgestellt und dem Publikum eingeheizt: Am Ende wollte keiner mehr gehen, eine Gitarre lag für kurze Zeit nicht in den Händen des Gitarristen, sondern auf dem Saalboden – und nachdem die in Ludwigsburg lebende Musikerin ihre Fans zu tierischen Lauten aufgefordert hatte, „Howl like a dog“, heulten sie noch lange nach dem Konzert wie getretene Hunde: Auuuuuuh!

Sally Graysons Musikstil ist eine Mischung aus Americana, Desert-Rock und Post-Punk und lässt sich mit dem Sound eines Tarantino-Films vergleichen. Noch mehr: mit den Kompositionen von Ennio Morricone, gemischt mit Calexico oder Queens of the Stone Age, die Grayson ebenso zu ihren Vorbildern zählt wie Tom Waits und Nick Cave. Schon in Teenagerjahren spielte die US-Amerikanerin in Grunge- und Metalbands, in Minneapolis nahm sie mit ihrer damaligen Band „Stand By“ zwei Platten auf. Und wie das so ist, veränderte sich über die Jahre hinweg ihr Stil: „Meine Musik ist stark von Country beeinflusst. Country habe ich früher gehasst“, sagt sie, „denn meine Eltern hörten diese Sachen, aber heute merke ich, dass das einfach in mir ist“.

Obdachlosenarbeit in Indien

Black Swift – der Name bezeichnet sowohl sie selbst als auch ihre Band – gründete Sally Grayson, als sie vor vierzehn Jahren der Liebe wegen nach Deutschland kam. Die studierte Malerin arbeitete damals an einer Bilderserie über Vögel. Beim Stöbern in einem Buch fand sie den „Black Swift“, den Schwarzsegler, der dann zu ihrem Markenzeichen wurde. Zu den prägenden Erlebnissen in ihrem Leben zählt sie aber die Jahre, die sie in Indien verbracht hat. Dort arbeitete sie für eine Hilfsorganisation, die sich um die Krankenversorgung der Obdachlosen kümmerte. „Diese wichtige Arbeit gemacht zu haben, bedeutet mir sehr viel“, sagt sie, doch sie musste dabei auch lernen, Grenzen zu ziehen: „Irgendwann konnte ich nicht mehr.“ Zur selben Zeit lernte sie dort auch ihren Mann kennen, mit dem sie nach Deutschland zog. Heute wohnt das Paar mit neunjährigen Zwillingen in Ludwigsburg.

„In meinen Songs schreibe ich viel Unterschiedliches“, sagt Grayson, die am Sonntag auch beim Kessel-Festival auftritt, „mir geht es immer darum, zu zeigen, dass wir alle gleich wertvoll sind.“

Auf „Desert Rain“ erzählt sie unter anderem davon, wie es ist, durch eine schwierige Zeit zu gehen. Wenn jemand ihre Songs hört und sich gerade in einem Tal befindet, soll er durch ihre Musik neuen Mut schöpfen und sagen können: „Du schaffst das. Du bist nicht alleine.“ Diese Botschaft ist ihr wichtig, schon die erste Singleauskopplung „Downpour“ („Platzregen“) vermittelt das, wenn es heißt: „Will you come and walk with me today? Will you come beside me in the rain?“ – „Kommst du und stehst an meiner Seite? Kommst du auch, wenn’s regnet?“. Innere Stärke zu entwickeln, auch wenn die Dämonen noch so groß sind, dazu fordert dann das sehr persönliche Stück „To the Strenght within“ auf. „Diesen Text habe ich für mich geschrieben“, sagt Grayson. Die zentrale Zeile lautet: „Keep moving on, and carry on.“ („Nicht aufgeben, weiter machen!“). Der Song hat einen warmen, rollenden Rhythmus und fließt selbst weiter und weiter . . .

Stimmgewaltig, intelligent, komplex

Sally Grayson ist ihr eigenes Plattenlabel. Alles ist selbst entwickelt, vom Cover bis zur Werbung. Wie viel Arbeit darin steckt, kann sie manchmal selbst kaum glauben. „Desert Rain, ihre neue EP, will sie deshalb auch nicht auf Streaming-Plattformen kostenlos zur Verfügung stellen. Stattdessen kann man „Downpour“ als Kostprobe auf ihrer Website herunterladen, auch bei Spotify ist dieser Song sowie das Vorgängeralbum „See me Human“ zu hören. Produziert wurde „Desert Rain“ von Sylvia Massy, die schon mit Johnny Cash, Prince oder Tool gearbeitet hat und – für System of a Down – mit der Produzenten-Legende Rick Rubin.

Vor drei Jahren, 2016, machte Grayson bei „The Voice of Germany“ mit, nachdem ein Talentscout bei ihr anrief und sie in die Fernsehshow bat. Dort war sie so erfolgreich, dass sie es ins Team Fanta, dem Team von Michi Beck und Smudo von den Fantastischen Vier, schaffte. „Es war eine gute Erfahrung“, sagt sie, obwohl sie kantigere Musik dem Mainstream vorzieht, „aber ich liebe es einfach, auf der Bühne zu stehen.“ Mit „Black Swift“ geht es in diesem Jahr von Ludwigsburg noch auf Tour in die USA, unter anderem nach Nashville, Tennessee.

Ihre Fans lieben Sally Grayson für ihre warmherzige und offene Art – und auf der Bühne ist sie mit ihrer Band schlicht fantastisch: abwechslungsreich, stimmgewaltig, musikalisch intelligent und hochkomplex. Derzeit freut sich die Rockröhre über das neue Album, auf den Auftritt am Sonntag beim Stuttgarter Kessel-Festival und auf die bevorstehende US-Tour. Für die Zeit danach hat sie auch schon ein paar Ideen. Stillstand gibt es bei diesem Energiebündel nicht.