Sam Mendes erzählt in dem Film „1917“, der nächsten Donnerstag ins Kino kommt, in einer einzigen Einstellung vom Ersten Weltkrieg – basierend auf Erinnerungen seines Opas. Im Gespräch erklärt er, worauf es ihm bei dieser cineastischen Kriegserfahrung ankam.

Stuttgart - Bei den Golden Globes wurde „1917“ als bestes Drama ausgezeichnet und Sam Mendes für die beste Regie. Dabei ist sein Film sowohl inhaltlich als auch ästhetisch alles andere als ein typischer Blockbuster.

 

Mr. Mendes, Sie arbeiten in „1917“ mit einer langen Plansequenz ohne Schnitte wie „The Revenant“ oder „Birdman“ . . .

Beide Filme bewundere ich sehr, aber mir ging es bei „1917“ darum, die Zeit zu einem echten und relevanten Element der Geschichte zu machen. Diese Geschichte in einer Einstellung zu erzählen, dient einzig dazu, dem Publikum ein echtes Gefühl für den Weg und die Erlebnisse der Protagonisten zu vermitteln. Jede Sekunde, die vergeht, soll spürbar sein, auf eine klaustrophobische Weise. Schon vom ersten Moment an, als mir der Gedanke kam, diese Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg zu erzählen, hatte ich auch die Vorstellung, sie visuell so umzusetzen.

Was war die größte Herausforderung?

Dass sich die Sache nicht schon nach einigen Minuten verbraucht. Einfach nur mit der Kamera hinterher- oder vorweglaufen, hätte nicht gereicht. Von Moment zu Moment mussten wir neu entscheiden, ob wir nah rangehen an die Männer, um eine emotionale Verbindung herzustellen, oder ob wir weit weg gehen und sie ganz klein zeigen in dieser riesigen Landschaft des Todes und der Zerstörung. Manchmal wollten wir den Blick des Publikums lenken, manchmal den Raum geben, dass jeder selbst Details entdecken kann. Anders als sonst, ging es nicht nur um das Verhältnis von Schauspieler und Kamera, sondern auch um den leeren Raum dazwischen. Das wurde wirklich kompliziert, weswegen wir extra lange geprobt haben.

Sechs Monate – ist da kein Luxus?

Unsere Hauptdarsteller sind jung und keine Stars. Mit ihnen zu proben, kostete also kein Vermögen. Außerdem haben wir zwar regelmäßig geprobt, aber natürlich nicht am Stück.

Für wen war diese Vorbereitung wichtiger: für die Schauspieler oder für Sie und Ihren Kameramann Roger Deakins?

Eher für Roger und mich. Aber es war klar, dass es auch ihnen hilft. Ich ließ sie auch bei den Proben Uniformen und Gewehre tragen, damit ihnen das in Fleisch und Blut übergeht. Und ich habe mit ihnen teilweise gearbeitet, wie ich es am Theater mache: Ich habe sie machen lassen, bin nebenher gelaufen und habe nur beobachtet, nichts kommentiert. Dabei entstehen oft hochinteressante Dinge, selbst wenn es in anderen Momenten wieder wichtig war, ganz konkrete Vorgaben zu geben und sich eng ans Drehbuch zu halten.

„1917“ ist Ihrem Großvater gewidmet, der im Ersten Weltkrieg kämpfte. Wie viel basiert auf seinen Erzählungen?

Ich würde es so sagen: Dies ist kein Film über meinen Großvater, aber es gibt ihn nur dank meines Großvaters. Er war als 17-Jähriger in diesem Krieg und hat mir viele seiner Erfahrungen erzählt. „1917“ ist eine Art Vergrößerung einer dieser Geschichten. Wenn er über den Krieg sprach, dann ging es nie um Helden oder um Mut, sondern darum, wie schmal der Grat zwischen Leben und Tod damals in jeder Minute war. Warum wurde der Kerl neben ihm von einem Granatensplitter getroffen und nicht er selbst? Diese Fragen trieben ihn um, seine Erzählungen waren viel existenzialistischer als jede Geschichtsstunde. Ich wollte auch nie keinen Film über den Ersten Weltkrieg drehen, sondern einen kleinen Einblick geben und in einem winzigen Ausschnitt zeigen, wie es für Menschen ist, Krieg zu erleben. Die beiden jungen Männer im Zentrum gehen ganz unterschiedlich damit um: Der eine kann gar nicht aufhören, sich umzuschauen und jede Ratte, jede tote Kuh wahrzunehmen, während der andere eigentlich Scheuklappen aufhat.

Hat Ihr Opa viel über den Krieg erzählt?

Das fing an, als ich darüber gelacht habe, dass er sich ständig die Hände wäscht. Mein Vater erzählte mir, dass Opa sich an den Schlamm der Schützengräben erinnert und an das Gefühl, nie sauber zu sein. Über 50 Jahre später noch hatte er das verinnerlicht. Das hat mich enorm beschäftigt. Also fragte ich – und er erzählte. Es ging da weniger darum, wer gegen wen kämpfte und warum, mein Opa hatte auch keinen analytisch-intellektuellen Blick. Er berichtete von ganz alltäglichen, menschlichen Erfahrungen, und genau die wollte ich einfangen. „1917“ ist kein politischer Film, sondern ein menschlicher. Ich glaube, alle jungen Männer haben den Krieges mehr oder weniger gleich erlebt, ob sie nun Briten, Franzosen oder Deutsche waren.

Was würde Ihr Opa zu „1917“ sagen?

Er war später im Leben Schriftsteller und hat vier oder fünf Romane veröffentlicht sowie eine Autobiografie, in der einige Kriegserfahrungen vorkommen. Er war ein Geschichtenerzähler, charismatisch, theatralisch und mit lauter Stimme, wohl auch deswegen haben seine Erinnerungen uns Enkel so gepackt. Sein Wunsch war es, dass ich auch mal Autor werde. Und ich glaube, dass „1917“ ihm gefallen würde.

In Nebenrollen sind Stars wie Colin Firth und Benedict Cumberbatch zu sehen . . .

Ich wollte Gefühl dafür zu vermitteln, das diese Figuren nicht bloß eine Funktion haben, sondern an ihnen ganz eigene Geschichten hängen, die vermutlich viel größer sind als die der Protagonisten. Diese Männer spielen in diesem Krieg vermutlich deutlich zentralere Rollen als unseren beiden jungen Soldaten. Ihre Lebensgeschichten kreuzen die unserer Protagonisten nur für winzige Momente, aber ich wollte, dass der Eindruck entsteht, dass wir auch ganze Filme über jeden dieser anderen Männer hätten drehen können.

Was war anstrengender: James Bond zu inszenieren oder nun „1917“ zu drehen?

Bond war definitiv komplizierter. Während dieser Film hier vom Krieg handelt, ist das Drehen eines 007-Films ein echter Krieg (lacht). So ein riesiger Action-Blockbuster besteht aus sehr vielen beweglichen Einzelelementen, die man als Einzelner nie alle im Blick haben kann. Man braucht ein riesiges Team und Wochen strategischer Planung. Halb Mexico City abzusperren, um mit 12 Kameras, Hubschraubern und 5000 Statisten inmitten unersetzbarer aztekischer Ruinen zu drehen, ist einfach Stress. „1917“ war auch anstrengend, allein weil wir von früh bis spät gelaufen sind, aber viel geradliniger und fokussierter: Wir konnten alle Bestandteile in eine Reihe legen und mit nur einer Kamera arbeiten.