Reportage: Robin Szuttor (szu)

Monat für Monat lauern sie auf den Eisprung, und immer folgt die Enttäuschung. Sie geht ins Yoga, um ihren Beckenboden zu entspannen. Sie versucht es mit Fruchtbarkeitsmassagen. Aber die Periode kommt trotzdem. Oma fragt schon: „Wie lange wollt ihr’s euch denn noch überlegen?“ Sabine achtet auf jede kleinste Regung im Unterleib. Alles ruhig. Zu ruhig. Einmal ist sie schon eine Woche über dem Zyklus. Dann blutet sie doch wieder.

 

Überall nur schwangere Frauen. Auf der Straße, im Park, im Supermarkt: überall Babyglück. Und sie feiert ihren 37. Geburtstag. „Jetzt hast du einen Partner, mit dem alles passt“, denkt sie manchmal, „aber die Krönung ist uns nicht vergönnt.“

Sie schiebt Frank zu einem Infoabend des Stuttgarter Kinderwunschzentrums. Danach machen sie einen Untersuchungstermin aus. Im Wartezimmer geht es zu wie im Taubenschlag. „Ich hätte nie gedacht, dass so viele mit dem gleichen Problem kämpfen: Hausfrauen, Männer im Zwirn, Griechen und Italiener, die ja familiär noch mehr unter Druck stehen.“ Sie trifft dort sogar einen Geschäftskollegen. Seitdem haben sie ein Geheimnis und sind per Du.

Ein Befund wie ein Fallbeil

Dann ist das Ergebnis der Untersuchung da. Bei ihr: alles in Ordnung, außer einer leichten Schilddrüsenüberfunktion. „Sooo, und dann kommen wird zu Ihnen.“ Der Mediziner erzählt etwas von ungeklärter Azospermie. Frank versteht nicht gleich. „Wir haben bei Ihnen überhaupt keine Spermien gefunden.“ Ein Befund wie ein Fallbeil. „Als hätte man ihm erklärt, er habe Krebs“, sagt Sabine Schuster.

Sabine Schuster ist 39 Jahre alt, sie wohnt mit ihrem Mann Frank in einer Kleinstadt am Neckar. Eine Siedlung für junge Familien. Verkehrsberuhigt. Reihenhäuschen mit winzigem Garten. Der Kindergarten ist fast nebenan, die Omas und Opas sind auch in der Nähe. Papa hat einen sicheren Job, Mama ist immer da. Eine gute Startposition für Bruno. Die Schusters haben eisern am Familienglück gearbeitet.

Als sich Sabine und Frank im Winter 2009 kennenlernen, sprechen sie bald von Nachwuchs. Bei den vorigen Partnern war es für beide nie ein Thema, jetzt schon. Doch so einfach geht das nicht. Ein Jahr fruchtloser Versuche zieht ins Land.

Lauern auf den Eisprung

Monat für Monat lauern sie auf den Eisprung, und immer folgt die Enttäuschung. Sie geht ins Yoga, um ihren Beckenboden zu entspannen. Sie versucht es mit Fruchtbarkeitsmassagen. Aber die Periode kommt trotzdem. Oma fragt schon: „Wie lange wollt ihr’s euch denn noch überlegen?“ Sabine achtet auf jede kleinste Regung im Unterleib. Alles ruhig. Zu ruhig. Einmal ist sie schon eine Woche über dem Zyklus. Dann blutet sie doch wieder.

Überall nur schwangere Frauen. Auf der Straße, im Park, im Supermarkt: überall Babyglück. Und sie feiert ihren 37. Geburtstag. „Jetzt hast du einen Partner, mit dem alles passt“, denkt sie manchmal, „aber die Krönung ist uns nicht vergönnt.“

Sie schiebt Frank zu einem Infoabend des Stuttgarter Kinderwunschzentrums. Danach machen sie einen Untersuchungstermin aus. Im Wartezimmer geht es zu wie im Taubenschlag. „Ich hätte nie gedacht, dass so viele mit dem gleichen Problem kämpfen: Hausfrauen, Männer im Zwirn, Griechen und Italiener, die ja familiär noch mehr unter Druck stehen.“ Sie trifft dort sogar einen Geschäftskollegen. Seitdem haben sie ein Geheimnis und sind per Du.

Ein Befund wie ein Fallbeil

Dann ist das Ergebnis der Untersuchung da. Bei ihr: alles in Ordnung, außer einer leichten Schilddrüsenüberfunktion. „Sooo, und dann kommen wird zu Ihnen.“ Der Mediziner erzählt etwas von ungeklärter Azospermie. Frank versteht nicht gleich. „Wir haben bei Ihnen überhaupt keine Spermien gefunden.“ Ein Befund wie ein Fallbeil. „Als hätte man ihm erklärt, er habe Krebs“, sagt Sabine Schuster.

Er legt sich unters Chirurgenmesser für eine Tese: Unter Vollnarkose wird ihm Gewebe aus den Hoden entnommen, um daraus möglicherweise Samen zu gewinnen. Sie betet: „Lieber Gott, lass die Ärzte was finden.“ Die Operation, die tagelangen Schmerzen danach – alles umsonst. Bis dahin war das Thema Samenspende für Frank und Sabine ganz weit weg. „Aber Außenstehende sehen das anders als Betroffene.“

Ihre letzte Hoffnung: Ein Hamburger Superprofessor soll anscheinend Spermien hervorzaubern, wo andere Ärzte erfolglos waren. Aber Frank reicht’s. Das tut er sich nicht noch mal an. Beide sind am Boden. Und die Tipps von Freunden – ein Hobby suchen, ein Tier aus dem Heim holen, sich ehrenamtlich um Kinder kümmern – helfen gar nicht. Es gibt Momente, da überlegt sie, ihren Schwager um einer Samenspende zu bitten. Aber Frank will das nicht, und sie dann auch nicht mehr. Er lässt die Sitzheizung im Auto aus, trinkt kein Bier mehr, sie kocht ihm Diät, gibt ihm homöopathische Mittelchen – vielleicht läuft die Spermienproduktion ja doch an. Sie läuft nicht.

Der Entschluss ist wie eine Erlösung

Irgendwann kommen sie zum Schluss: Wir hören jetzt auf mit den Verkrampfungen und versuchen es bei der Samenbank. Eine Spende ist ihnen lieber als eine Adoption, so können sie dem Kind wenigstens einen Teil ihrer Gene mitgeben. Der Entschluss ist wie eine Erlösung. Spermien beherrschen die Beziehung. „Wir haben nur noch Bücher über Spermien gelesen, über Spermien geredet, über Spermien nachgedacht.“ Nun sehen sie endlich wieder einen Weg, nicht nur eine Sackgasse.

Sie heiraten, um die bürokratischen Hürden flach zu halten, gehen zum Jugendamt für die Vaterschaftsanerkennung. Sie machen einen Termin beim Genetiker und bei einem zweiten, neutralen, Arzt, der auch sein Okay für die Behandlung geben muss. Es folgen Bauchspiegelung, Zyklusmonitoring, Eileiteruntersuchungen. Und das Wichtigste: die Auswahl des Spenders.

Sabine Schuster schickt ein Foto von ihrem Mann zur Erlanger Samenbank. Nicht die Blutgruppe des Spenders soll ausschlaggebend sein, sondern das Aussehen. Das bedeutet zwar, dass man bei einem Bluttest irgendwann mal durch Zufall feststellen könnte, dass Frank nicht der Vater ist. Aber sie wollen dem Kind eh nicht verschweigen, wo es herkommt.

Eine Liste mit potenziellen Spendern

Die Samenbank trifft eine Vorauswahl von zehn Männern. Den Schusters bleibt die irritierende Aufgabe, einen davon als Erzeuger ihres Kindes herauszusieben. Immer wieder gehen sie die Liste durch:

Einer ist deutsch-russischer Abstammung, 1,76 Meter groß, wiegt 90 Kilo, hat braune Haare und braune Augen. Von Beruf ist er Industriemechaniker. Seine Hobbys sind Modellbau, tauchen, segeln, lesen, singen, kochen. – Vielleicht.

Den Tschechen wollen sie eher nicht.

Den Türken auch nicht.

Einer war früher mal Schülersprecher, spielt Fußball in der Bezirksliga, liest gerne und kann gut surfen. – Vielleicht.

Einer würde richtig gut passen. Aber sein Job stört sie irgendwie: Zollbeamter.

Einer studiert International Economics, spielt im Schachklub und fährt Cross Country. Über das Internet erfahren sie, dass das was mit Mountain Bikes zu tun. Hört sich alles gut an. Aber er ist zu klein.

Dann gibt es noch den Studenten der Werkstoffwissenschaften. 1,82 Meter groß, 84 Kilo, deutsch. In seiner Freizeit spielt er Tennis und Spuash, und – was den Schusters besonders gefällt – er kann klassische Gitarre. Er ist der Favorit.

In die Freude mischt sich Sorge

Sabine zeigt ihrer Mutter die Liste. Die nähme auch den Gitarrenspieler. Damit ist es entschieden. Sie bestellen seinen Samen. „Eigentlich bin ich ein Mensch, der sich schnell ekelt. Ich gehe nie auf öffentliche Toiletten, kann nicht mal Selbstgebackenes von fremden Leuten essen. So etwas Intimes wie eine Samenspende war für mich früher unvorstellbar. Aber es geht.“

Vor der Befruchtung spritzt sie sich Hormone, um die Reifung der Eizellen zu fördern. Als Nebenwirkungen bekommt sie Kopfschmerzen, Wassereinlagerungen und heftige Stimmungsschwankungen. Zwei Versuche schlagen fehl. Aber irgendwann merkt Frank, dass ihr oft schlecht wird. Sie ist tatsächlich schwanger.

Zur Freude mischt sich schnell die Sorge, dass das Kind wieder abgehen könnte. Im Frühjahr 2012 wird Bruno geboren. Alle Spannung fällt von ihnen ab. Dem Kind geht’s gut. „Uns war schwindlig vor Glück.“

Die Schusters haben insgesamt 5000 Euro bezahlt. Aber nur selten klappt es schon beim dritten Versuch. Sie hat Frauen kennen gelernt, die mehrere Zehntausend Euro ausgaben. Auch Sabine Schuster hätte es wohl sehr lange probiert. „Wahrscheinlich so lange, bis das Geld ganz ausgegangen wäre – meine Oma hatte ich ja schon angepumpt“. Paaren, bei denen der Mann zumindest eingeschränkt Spermien produziert, zahlt die Krankenkasse in der Regel drei Versuche für die Kinderwunschbehandlung. Sabine und Frank nicht: Keine eigenen Spermien, kein Zuschuss.

Bruno soll früh aufgeklärt werden

„Es vergeht kein Tag, am dem ich nicht an den Mann denke, von dem ich ein Kind habe“, sagt Sabine. „Ich sehe ihn ja immer vor mir: Alles, was mein Sohn nicht von mir hat, ist womöglich von ihm.“ Sabine und Frank sind sparsam, Bruno verschenkt alles. Ob das seine Art ist? Bruno ist sportlich, klettert überall hin. Ein Geschenk von ihm? „Manchmal denke ich, es wäre interessant, ihn kennen zu lernen. Dann denk ich wieder: Lieber nicht, das wäre blöd.“

Sabine und Frank wollen ihren Sohn schon früh aufklären und nie anlügen. „Vielleicht fangen wir im Schulalter an, mit ihm darüber zu reden. Das soll am besten sein für seine Entwicklung“, sagt sie. Es gibt Stunden, da hat Sabine Angst vor der Zukunft. Angst, dass noch viele Prüfungen auf sie warten. Dass sie es auf den großen Unbekannten abwälzt, wenn Bruno mal Probleme macht. Dass er ihr fremd wird – äußerlich oder charakterlich. Dass er später dagegen rebelliert, seinen echten Vater nicht zu kennen. Dass er Identitätsprobleme bekommt. Dass alles aus der Balance gerät.

Doch Vertrauen ist stärker als alles andere. Wenn Bruno auch nicht Franks Gene hat, vielleicht wird er doch wie er. „Man kopiert auch viel als Kind“, sagt Sabine. Und im Grunde ist es ja Franks Sohn. Es war auch seine Schwangerschaft. Er war da, als Sabine in den Straßengraben kotzte oder nach den Hormonspritzen so mies drauf war, dass sie sich selber nicht leiden konnte. Er litt mit ihr bei der schweren Geburt. Nach 24 Stunden im Kreißsaal wurde schon der Notkaiserschnitt vorbereitet, dann kam er doch. Die Monate, in denen Bruno nachts durchgeschrien hat, lag Frank auch wach. Er hat jedes Beschwernis mit Geduld und Liebe getragen. Er und sein Sohn sind ein Herz und eine Seele. Abends zur Schlafenszeit, wenn Sabine noch Fernsehen guckt, gehen die Männer schon mal die Treppe hoch. Sie würde da nur stören.