Die biedere Kleinstadt Nürtingen hat immer mit dem extravaganten Stuttgarter gefremdelt. Wer war der kunstverliebte Nervenarzt?

Nürtingen - Auf 54 Grad zwei Minuten Nord/10 Grad 56 Minuten Ost. Das sind die Koordinaten, die die Stelle kennzeichnen, an der die sterblichen Überreste von Ottomar Domnick nach seinem Tod am 14. Juni 1989 der Ostsee übergeben worden sind – weit weg vom Nürtinger Waldfriedhof. Auch im Tod haben der Künstler und Kunstförderer und die Stadt nicht zusammen gefunden. Die biedere Kleinstadt und der weltoffene Lebemann, das hat zu Lebzeiten Ottomar Domnicks nicht gepasst. Die Nürtinger haben immer mit dem vermögenden Stuttgarter Nervenarzt gefremdelt, der da vor ihrer Haustüre, mitten im Schutzgebiet auf der Oberensinger Höhe, ein wie eine Trutzburg wirkendes Betonhaus hat bauen lassen. Daran hat auch die hohe Hecke nichts geändert, genauso wenig wie die Tatsache, dass das 1967 nach den Plänen des Stuttgarter Architekten Paul Stohrer errichtete Haus schon im Jahr 1982 unter Denkmalschutz gestellt wird.

 

Der damalige Nürtinger Oberbürgermeister Karl Gonser selbst soll sich dafür eingesetzt haben, dass das Gebäude nicht an dem schon von Domnick und Stohrer ausgeguckten Bauplatz in Kirchheim, sondern in Nürtingen gebaut wird.

Arzt und Kunstförderer

„Der Gestus der Freiheit“, hat Werner Esser, der langjährige Kurator der Stiftung, ein Kapitel zur Einführung in die Sammlung Domnick überschrieben. Darin beschreibt Werner Esser, wie Domnick im Jahr 1946 seine neue Arztpraxis auf der Stuttgarter Gänsheide in einem inspirierenden Umfeld eröffnet. Nebenan wohnt der Kunstkritiker Hans Hildebrandt, nur wenige Schritte entfernt arbeitet der Künstler Willi Baumeister in seinem Atelier. Das unweit gelegene Künstlerlokal Bubenbad dient als Treffpunkt einer Szene, in der sich Domnick fortan bewegen sollte. Sein Interesse gilt der abstrakten Malerei der Nachkriegszeit und deren fließenden Übergängen zu Psychologie und Philosophie – sicherlich auch beeinflusst von seinem Beruf als Nervenarzt.

Als Kunstförderer öffnet er den Abstrakten die Türen zum internationalen Kunstgeschehen. So organisiert er im Jahr 1948 im Auftrag der französischen Besatzungsregierung den Salon des Realités Nouvelles in Paris, an der unter anderem Max Ackermann, Willi Baumeister, Hans Hartung, Fritz Winter und Rupprecht Geiger als Repräsentanten der Zones Occupées en Allemagne teilnehmen.

Wegbereiter für experimentellen Film

Als Filmemacher bahnt er mit dem vielfach ausgezeichneten Werk „Jonas“ dem experimentellen Film in Deutschland den Weg. Als Kunstsammler legt er sein Augenmerk auf die Frühwerke der Künstler, die er meist schon bei ihrer Entstehung erwirbt. Im Jahr 1952 wird seine Sammlung erstmals als geschlossene Präsentation in der Staatsgalerie Stuttgart gezeigt. Vom Jahr 1967 an findet sie ein Zuhause in der Villa, die ihm sein Freund Stohrer zugleich als Wohnhaus und als Museum entwirft. Rund um das Haus legt Domnick einen Skulpturengarten an, in dem Natur, Kunst und Architektur in Dialog zueinander treten. Dort, unter einer von Karl-Heinz Türck geschaffenen Skulptur, ist auch seine leere Urne neben der seiner zwei Jahre später verstorbenen Frau Greta vergraben – als späte Versöhnung mit der Stadt, in der er 22 Jahre lebte.