Bei Sandra Maischberger brilliert Norbert Röttgen (CDU) mit einer Analyse des US-Chaos, durch das er alle Demokratien geschwächt sieht. Und wird nur getoppt vom fesselnden Bericht eines Augenzeugen im Kapitol.

Stuttgart - Bei früheren Talkrunden der ARD zu den USA war stets ein Vertreter der US-Republikaner oder Anhänger von Donald Trump dabei – bei Sandra Maischbergers „Die Woche“ am Donnerstagabend hat man auf diese Ausgewogenheit verzichtet. Wenn Twitter Trump ausblendet, darf es die ARD wohl auch. Und die etwas simple Leitfrage der Sendung – ist Trump verantwortlich für die Ausschreitungen in Washington? – war rasch von allen sechs Studiogästen beantwortet: ja, aber natürlich. Als Aufhetzer, Ermunterer des Mobs und geistiger Brandstifter.

 

„Weg von den Türen!“ brüllten die Polizisten

Überaus packend aber war die Schilderung des FAZ-Korrespondenten Majid Sattar, der bei der Sitzung des Kongresses im Kapitol als Pressevertreter anwesend war. Gerade habe der Republikaner Ted Cruz gesprochen, da seien zwei Saaldiener erschienen und hätten Sitzungsleiter Mike Pence bei Seite genommen und herausgeholt, dann aber sei ein Sergeant gekommen, habe von einem „Notfall“ berichtet und da habe man noch geglaubt, „irgendein verirrter Eindringling“ sei vielleicht im Kapitol, als dann kurz darauf Polizisten in Schutzkleidung und mit Sturmgewehren in den Saal stürmten und „Weg von den Türen!“ brüllten, habe man den Ernst der Lage erkannt. Vier Stunden habe man verbarrikadiert in einem Tunnel im Keller verbracht, und danach die Sitzung fortgesetzt.

Naiv Trumps Kundgebung beobachtet

In solchen Momenten fühlten sich alle als Gemeinschaft, so Sattar, die Republikaner, Demokraten, Journalisten und Saaldiener, aber nach dem Ende des Spektakels habe es wieder konfrontative Szenen gegeben, Journalisten machten den Trump loyal ergebenen Ted Cruz „mitverantwortlich“, der trump-kritische Republikaner Mitt Romney soll Ted Cruz angegangen sein mit Worten wie „Das hast du nun davon“. Majid Sattar, war vor der Sitzung bei der Trump-Kundgebung vor dessen Anhängern, die habe er dann frühzeitig verlassen, um ins Kapitol zu gehen. „Ich hatte mich da naiv gefragt: Wo wollen die denn eigentlich alle hin. Ist doch alles abgesperrt.“ Dabei hatte es Trump ja selbst gesagt: „Wir werden zum Kapitol gehen.“

Der Mob hat den Tempel der Demokratie besudelt

Als schwärzesten Tag in der Geschichte der USA beschrieb die langjährige US-Korrespondentin Tina Hassel (ARD) den Mittwoch. Mit dem Kapitol sei „etwas Heiliges, ein Tempel der Demokratie“ von dem Mob „besudelt worden“, am schlimmsten habe sie empfunden, dass die Menge die US-Flagge demontiert und eine Trump-Flagge aufgehängt habe. „Die Demokratie war im Stresstest. Aber sie hat am Schluss bestanden“, so Hassel, denn die Sitzung sei ja fortgesetzt und der Wahlsieg von Joe Biden bestätigt worden.

Für den außenpolitischen Experten der CDU, Norbert Röttgen, dauert der Test aber noch an. Röttgen bezeichnete die Mittwochsrede Trumps, der ja nur von „grenzlosem Narzissmus“ geleitet sei, als „letzten Anstiftungsakt“ nach vier Jahren des Leugnens, des Aufstachelns und Anstiftens. Typisch für den fein argumentierenden Intellektuellen Röttgen war, dass er das Wort „Bananen-Republik“, das sowohl Ex-US-Präsident George W. Bush als auch Moderatorin Maischberger gebrauchten, von ihm nicht zu hören ist: „Von dem US-Präsidenten ging ein Verhalten aus, dass man sonst nur von nicht organisierten Staaten kennt“, sagte Röttgen.

Die Demokratie hat an Ansehen verloren

Der CDU-Politiker, der sich ja auch um den Vorsitz seiner Partei bewirbt, glaubt, dass Joe Biden einen echten „Neuanfang“ wagen müsse, zum Wohle der USA. „Das Kapitol ist nur ein Gebäude. Aber unter diesen Bedingungen von Hass, Feindschaft und Gegnerschaft im Land hat Biden die Aufgabe, die US-Demokratie zu retten.“ Dass Länder wie der Iran nun auf das Scheitern des westlichen Demokratiemodells zeigten, das sei ja deutlich. „Die US-Demokratie ist objektiv geschwächt“, so Röttgen, es habe durch die Ereignisse von Washington einen „Ansehensverlust“ der Demokratie gegeben. Der Westen stehe im Systemwettbewerb mit China, das sich technologisch und wirtschaftlich überlegen sehe. Wenn in dieser Lage mit den USA „die mächtigste Volkswirtschaft der Welt und die älteste Demokratie“ wanke, dann schwäche das das gesamte demokratische System. Im Übrigen habe man „den Hass und die Verächtlichmachung des Staates“ auch in Deutschland.

Von den Republikanern, der Schwesterpartei der CDU, sei er im übrigen tief enttäuscht, so Röttgen. Er begrüße es sogar, dass die im Kongress die Mehrheit an die Demokraten verloren hätten.

Das Problem sind nicht die „Bekloppten“

Auf die Republikaner aber wird es in Zukunft entscheidend ankommen. Welchen Weg werden sie einschlagen? Den Trumpismus ohne Trump weiterführen? „Diese Typen“, so Röttgen, die das Kapitol gestürmt hätten, „die sind ja nicht das Problem“. Das Problem seien „nicht die Bekloppten und der Mob“, sondern die „Normalos“, die Trump und seinen Aggressionen ihre Stimme gegeben hätten. Sandra Maischberger zitierte hierzu eine aktuelle Umfrage von YouGov,wonach 45 Prozent der US-Republikaner die Randale von Washington für gut befanden und nur 27 Prozent darin eine Bedrohung der Demokratie sehen.

Auch der deutsch-amerikanische Moderator Ron Williams wies daraufhin, das 70 Millionen Wähler von Trump noch voll von dessen „Gift“ seien. Das Feuer, das Trump gelegt habe, das werde nicht sobald verschwinden, und er selbst fürchte sogar um das Leben der neuen Vizepräsidentin Kamala Harris und des Präsidenten Joe Biden. Beim Schutz des Kapitols vor „Black-Live-Matters“-Demonstranten seien die Sicherheitskräfte übrigens wesentlich martialischer aufgetreten, so Williams. „Wären jetzt Schwarze bei der Demo gewesen, hätte es mehr Blut gegeben.“

Trump als unfähig zum Amt erklären?

In der Frage, ob es zur Feststellung einer Amtsunfähigkeit von Trump durch sein eigenes Kabinett kommen könnte, blieb die Runde vage – eher verneinend. Ja, es gebe wohl Gespräche, hieß es. „Für die Republikaner könnte der Sturm aufs Kapitol auch ein Weckruf sein“, meinte die US-Politologin Sudha David-Wilp. „Die nächsten zwei Wochen werden noch sehr lang werden.“

Der Journalist und USA-Kenner Ansgar Graw meinte, das Verfahren sei im Prinzip möglich, wenn Vizepräsident Mike Pence es wegen geistiger Umnachtung des Präsidenten beispielsweise initiiere, aber es gehe ja gar nicht, „wenn sich das halbe Kabinett vorher in die Büsche schlägt“. Craw äußerte – was Trump anbelangt – einen Wunsch für die Zukunft: Der solle seine „verrückten Anhänger“ in einer eigenen kleinen Partei einbinden – außerhalb der Republikaner. „Seine Unternehmen sind ja hoch verschuldet. Er muss sich ja irgendwie beschäftigen.“