Die mittelalterlichen Wandmalereien in der Martinskirche Waiblingen-Neustadt müssen dringend restauriert werden. Denn als Folge einer Konservierungsaktion in den 1950er-Jahren platzt der Putz samt der aufgemalten Farbe ab.

Waiblingen - Der heilige Veit sitzt in einem großen gelben Kessel, das heiße Öl steht ihm bis zum Bauchnabel. Zwei Schritte weiter an der Wand entlang ist Veits Kollege Laurentius abgebildet. In einer Hand, hoch erhoben, hält er sein Erkennungszeichen: den Grillrost, auf dem er der Legende zufolge qualvoll zu Tode gemartert worden ist. „Ich sitze oft hier im Chor und entdecke immer wieder etwas Neues“, sagt Joachim Bauer, der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde in Waiblingen-Neustadt, über „seine“ Martinskirche und deren uralte Wandmalereien (siehe „Eine Rarität im Remstal“).

 

Der Putz bröckelt, die Bilder zerbröseln

Kürzlich zum Beispiel hat er im romanischen Chorbogen zwischen Blütenranken und Heiligen zum ersten Mal ein Schiff mit geblähten Segeln entdeckt. Na sowas? „Es hat sich als Bischofsmütze entpuppt“, sagt Joachim Bauer und lacht – der dazugehörige Bischof ist im Laufe der Jahrhunderte abhanden gekommen. Oder er versteckt sich unter einer der vielen übereinander liegenden Farbschichten an der Wand. Eben diese bereiten der Kirchengemeinde und den Fachleuten derzeit Sorge, denn an vielen Stellen haben sich Risse gebildet, teils platzt der Putz samt Farbe von der Wand, die Bilder zerbröseln.

Die Hauptschuld daran trägt eine von Restauratoren im Jahr 1954 auf die Wand aufgetragene Schicht aus Kasein. Sie sollte die Darstellungen schützen und für leuchtende Farben sorgen. „Im Nachhinein hat sich aber gezeigt, dass sich die Kaseinschicht zusammenzieht. Deshalb bilden sich Risse und der Putz löst sich von der Wand“, erzählt Angelika Lorinser. Seit acht Jahren ist sie Mitglied des Kirchengemeinderats und die Sorge um die Wandmalereien ein fester Bestandteil ihres Amts. Auch seien durch die Kaseinschicht Verfärbungen entstanden, sagt Angelika Lorinser.

Eine Restauratorin, welche die Wandmalereien vor einem Vierteljahr in Augenschein genommen hat, kam daher zu dem Schluss: Das Kasein muss runter. Auf die Frage, wie die Schicht am besten entfernt wird, hat die Fachfrau auch eine Antwort gefunden. Bei einer Reinigung mit Alkohol oder destilliertem Wasser, so zeigte sich, drohen Farbverluste. „Deshalb hat sich das Landesamt für Denkmalpflege für eine Trockenreinigung entschieden“, fasst Angelika Lorinser den aktuellen Stand zusammen. Mit Trockenreinigungsschwämmen aus Naturlatex – früher wurde altes Brot verwendet – entfernen die Restauratoren die Kaseinschicht soweit es geht.

„Der ganze Chor wird abgerubbelt“, sagt die Kirchengemeinderätin – 140 Quadratmeter Geduldsarbeit. Zudem muss verhindert werden, dass sich die Farbschichten weiter von der Wand ablösen. Hohlräume werden hinterspritzt, sprich: festgeklebt.

Im Jahr 1966 ist die Kaseinschicht wegen Pilzbefalls mit Formalin begast worden. An manchen Stellen hat sich die Substanz daraufhin derart fest mit dem Untergrund verbunden, dass sie nicht mehr abzulösen ist. „Dort wird es in 20, 30 Jahren Kahlstellen geben“, prophezeit Lorinser.

Dieser Tage beantragt die Kirchengemeinde Zuschüsse beim Landesdenkmalamt. Gibt die Behörde grünes Licht, dann könne die Restaurierung im kommenden Jahr beginnen, sagt Joachim Bauer. „Wir rechnen mit Gesamtkosten von rund 175 000 Euro“, sagt der Pfarrer, „und haben keine Ahnung, wie hoch der Zuschuss am Ende sein wird.“

Was jetzt unter Putz schlummert, bleibt verdeckt

Nicht nur die Kunstwerke müssen saniert werden, auch der Sockel unterhalb braucht einen frischen Anstrich. Ein Kraftakt für die Kirchengemeinde, die vor einigen Jahren einen den Förderverein gegründet hat, der mit allerlei Aktionen und Veranstaltungen Geld für die Martinskirche sammelt. Was diese heute zur Rarität macht, sei früher quasi die Regel gewesen, sagt Joachim Bauer: „Alle Kirchen waren so ausgemalt.“ Dass sich unter den zum größten Teil verputzten Wänden des Kirchenschiffs weitere Malereien verbergen, gilt als sicher. „Wir würden zu gerne wissen, was darunter steckt. Doch was jetzt unter Putz liegt, bleibt so, das ist die Vorgabe des Denkmalamtes“, bedauert Angelika Lorinser.

Doch auch ohne neue Freilegungen bleiben die Wände der Martinskirche ein großes Bilderbuch, in dem es ständig Neues zu entdecken gibt. Erst recht, wenn der Chor im Zuge der Sanierung auch noch eine neue Beleuchtung erhalten hat: in den Ecken platzierte Strahler sollen Details besser sichtbar machen.

Eine Rarität im Remstal

Entdeckung
Lange Zeit waren die Wandmalereien in der Martinskirche in Waiblingen-Neustadt unter Putz verborgen und vergessen. Entdeckt wurden sie zufällig: im Jahr 1954, als die Orgel im Chor ausgebaut wurde und der Putz beschädigt wurde. Nach der Freilegung waren noch zwei Mal Restauratoren am Werk: 1979 sowie 1984/1985.

Kirchenkunst
Der Chor der Ende des 13. Jahrhunderts erbauten Martinskirche ist um das Jahr 1380 mit Wandmalereien verziert worden. Das Kirchenschiff wurde einige Jahre später, um 1420, ebenfalls mit Bildern ausgeschmückt.

Technik
Bei den Wandbildern handelt es sich um Malereien in Secco-Technik, sie wurden auf trockenen Untergrund aufgebracht. Im Gegensatz dazu werden Fresken auf nassen Putz („al fresco“) gemalt.

Themen
Der oder die unbekannten Künstler haben biblische Geschichten und Legenden dargestellt. Im Chor ist die Familiengeschichte Jesu abgebildet – von Marias Geburt und Hochzeit über die Geburt Jesu bis hin zu Geschichten aus dessen Kindheit. Im Kirchenschiff sind die Malereien nur zum Teil freigelegt, der Rest liegt unter Putz. Zu sehen sind dort eine Darstellung des Jüngsten Gerichts sowie die Passionsgeschichte.

Führungen
Die nächste öffentliche Führung ist am 27. September, Beginn 17 Uhr. Gruppen können gegen eine Spende auch Sonderführungen buchen (0 71 51/ 8 35 61 oder kontakt@neustadt-evangelisch.de).